Zur Frage, ob ein Spielraum der Bieter bei der Angebotslegung, wie z.B. bei der Verwendung von funktionalen Leistungsbeschreibungen, Auswirkungen auf die Gestaltung der Zuschlagskriterien hat.
Der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium ist bei funktionalen oder teilfunktionalen Leistungsbeschreibungen im Regelfall unzulässig. Er ist nur dann zulässig, wenn trotz der funktionalen Elemente die Leistung so detailliert beschrieben ist, dass vergleichbare Angebote zu erwarten sind.
§ 7 EG Abs. 13 VOB/A, § 7 EG Abs. 9 VOB/A
Sachverhalt
Die Vergabestelle, eine niedersächsische Gemeinde, hatte Straßenbauarbeiten für eine Ortsumfahrung europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Leistungsbeschreibung erfolgte zunächst durch ein Leistungsverzeichnis mit Baubeschreibung. Nach verschiedenen Bieterfragen änderte die Vergabestelle die Leistungsbeschreibung in Bezug auf die Teilleistung Bodenverbesserungsmaßnahmen in eine funktionale Leistungsbeschreibung ab. Das alleinige Zuschlagskriterium Preis wurde nicht verändert. Ein Bieter rügte diese Änderung. Enthalte eine Leistungsbeschreibung funktionale Elemente, müsse bei der Angebotswertung auch die Qualität des Angebots bewertet werden. Es sei unzulässig, allein den Preis als Zuschlagskriterium anzuwenden. Die Vergabestelle wies die Rüge zurück, woraufhin der Bieter ein Nachprüfungsverfahren initiierte.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer Lüneburg wies den Nachprüfungsantrag jedoch als unbegründet zurück. Die Änderung der Leistungsbeschreibung hin zu einer teilfunktionalen Leistungsbeschreibung sei vergaberechtskonform, da sie für alle Bieter transparent und diskriminierungsfrei erfolgte. Denn die Vergabestelle hatte alle Bieter in gleicher Weise über die Änderung informiert, ihnen aktualisierte Unterlagen zur Verfügung gestellt und die Angebotsfrist so verlängert, dass alle Bieter die Gelegenheit hatten, auf die Änderung zu reagieren.
Nach der VOB/A EG sei zwar die Leistungsbeschreibung durch Leistungsverzeichnis nach § 7 EG Abs. 9 VOB/A der Regelfall. Eine Leistungsbeschreibung, bei der anstelle eines Leistungsverzeichnisses hinsichtlich einer Teilleistung ein Leistungsprogramm vorgegeben wird (sog. teilfunktionale Ausschreibung), sei nach § 7 EG Abs. 13 VOB/A nur zulässig, wenn dies nach Abwägung aller Umstände als zweckmäßig anzusehen ist. Dafür reicht es aus, wenn ein Auftraggeber wie hier nachvollziehbar angibt, in Bezug auf die funktional beschriebene Teilleistung von dem bei den Bietern vorhandenen Know-how profitieren zu wollen.
Es sei weiter vergaberechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vergabestelle an dem Zuschlagskriterium 100% Preis auch nach der Änderung der Leistungsbeschreibung festhielt. Zwar sei ein reines Preiskriterium bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung grundsätzlich ungeeignet zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots. Hier sei der funktionale Teil der Leistungsbeschreibung aber so untergeordnet, dass die Angebote auch ohne Qualitätskriterien ausreichend vergleichbar gewesen seien.
Rechtliche Würdigung
Dass eine Änderung der Leistungsbeschreibung während einer laufenden Ausschreibung jederzeit möglich ist, ist kaum noch in Frage zu stellen. Anderenfalls würde man den Auftraggeber dazu zwingen, Angebote zu akzeptieren, die er so möglicherweise gar nicht mehr benötigt. Dass eine Änderung der Leistungsbeschreibung transparent vorgenommen werden muss und nicht dazu führen darf, dass bestimmte Bieter benachteiligt oder bevorzugt werden, versteht sich von selbst.
Was die Zulässigkeit der Einbeziehung funktionaler Elemente in die Leistungsbeschreibung betrifft, so überinterpretiert die Vergabekammer die Anforderungen von § 7 EG Abs. 13 VOB/A, auch wenn sie die Entscheidung der Vergabestelle letztlich als vergaberechtskonform bewertete. Nach der überwiegenden Auffassung betreffen die Anforderungen von § 7 EG Abs. 13 VOB/A lediglich die vollständig funktionale Leistungsbeschreibung. Die teilfunktionale Leistungsbeschreibung ist hingegen ohne weiteres zulässig. Aber auch die Wahl einer vollständig funktionalen Leistungsbeschreibung darf den Auftraggebern nicht zu sehr erschwert werden. Nach § 7 EG Abs. 13 VOB/A reicht es aus, wenn die Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm zweckmäßig ist. Dabei kommt den Auftraggebern ein großer Spielraum zu.
Soweit die Vergabekammer die Zulässigkeit des Preises als alleiniges Wertungskriterium bei funktionalen Leistungsbeschreibungen kritisch beurteilt, liegt sie auf einer Linie etwa mit dem OLG Düsseldorf. Diese Rechtsprechung ist nicht unumstritten. Sie birgt die Gefahr, dass ein Bieter ganz bewusst ein Luxusangebot abgibt, um bei der (zwingend notwendigen) Qualitätswertung zu punkten.
Praxistipp
Eine rein funktionale Leistungsbeschreibung oder eine rein konstruktive Leistungsbeschreibung gibt es in der Realität nicht. Praktisch jede Ausschreibung auch im Baubereich stellt eine Mischform dar, mit mehr oder weniger funktionalen Elementen. Wenn die funktionalen Elemente dabei nicht völlig untergeordneter Natur sind, müssen Auftraggeber zwingend neben dem Preis weitere Zuschlagskriterien gestalten, mit denen sie in die Lage versetzt werden, die Ausfüllung der funktionalen Vorgaben durch die Angebote qualitativ zu bewerten. Anderenfalls laufen sie Gefahr, dass ein Bieter mit gerichtlicher Hilfe die Ausschreibung kippen könnte. Die Anwendungsfälle für reine Preisausschreibungen dürften damit weiter abnehmen.
Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.
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