Kaum eine Thematik hat die Praxis öffentlicher Auftraggeber und die Rechtsprechung der Nachprüfungsinstanzen in den vergangenen Jahren so sehr bewegt, wie die Reichweite der rechtlich zulässigen Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise. Das OLG Düsseldorf hat nunmehr festgestellt, dass eine auf einem Angebotsvordruck geforderte elektronische Signatur nicht nachforderungsfähig ist, wenn diese nicht entsprechend den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers erfolgte. Allerdings kann eine Auslegung des Angebots ergeben, dass die geforderte Signatur nicht fehlt, sofern diese an anderer Stelle in den Angebotsunterlagen geleistet wurde (Beschl. v. 13.04.2016, VII-Verg 52/15). Die VK Bund hatte erstinstanzlich noch entschieden, dass die elektronische Signatur nachgefordert werden kann (Beschl. v. 06.10.2015 VK 2-91/15).
VOL/A § 19 EG Abs. 2; VOL/A § 16 Abs. 2; BGB §§ 133, 157
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im Rahmen eines europaweiten offenen Verfahrens IT-Leistungen aus. Das Vergabeverfahren wurde elektronisch durchgeführt. Das Dokument Angebotsvordruck forderte an einer genau bezeichneten Stelle ausdrücklich eine elektronische Signatur. Neben dem Angebotsvordruck, der alle relevanten Erklärungen der Bieter enthalten musste, waren noch ein Preisblatt und eine Erklärung über soziale Nachhaltigkeit abzugeben, die jedoch nicht unterzeichnet werden mussten. Ein Bieter leistete im Angebotsvordruck nicht die geforderte elektronische Signatur, übersendete jedoch mit Einreichung seines Angebots ein Anschreiben, das in der geforderten Weise elektronisch signiert war.
Die Entscheidung
Der Vergabesenat entschied, dass das Angebot nicht gemäß § 19 Abs. 3 lit. b) EG VOL/A zwingend von der Vergabe auszuschließen war. Nach dieser Vorschrift werden Angebote ausgeschlossen, die nicht unterschrieben bzw. nicht elektronisch signiert sind. Dabei ist die Vorschrift nicht nur dann einschlägig, wenn überhaupt keine Unterschrift bzw. Signatur vorhanden ist, sondern auch dann, wenn die geforderte Art der Signatur fehlt.
Das OLG Düsseldorf ist der Auffassung, dass nicht automatisch ein zwingender Ausschluss des Angebots gemäß § 19 Abs. 3 lit. b) EG VOL/A eintritt, sofern die geforderte Form für die Signatur fehlt. Vielmehr ist das Angebot nach allgemeinen, auch im Vergaberecht geltenden Grundsätzen gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Diese Auslegung ergibt vorliegend, dass die im Anschreiben enthaltene, ordnungsgemäß geleistete elektronische Signatur den gesamten Angebotsinhalt abdeckt, auch wenn die Signatur auf dem Angebotsvordruck nicht den Vorgaben des Auftraggebers entspricht.
Eine Nachforderung der fehlenden elektronischen Signatur war nach Ansicht des OLG Düsseldorf vergaberechtlich jedoch nicht zulässig. Die Möglichkeit, eine Unvollständigkeit im Angebot zu heilen, gilt nur für fehlende Erklärungen und Nachweise. Daraus folgt, dass zwar die fehlende Unterschrift unter einer dem Angebot beigefügten Erklärung, nicht aber die fehlende Unterschrift unter dem Angebot bzw. dem Angebotsschreiben selbst vom öffentlichen Auftraggeber nachgefordert werden kann.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des Vergabesenats ist diskussionswürdig, weil der Bieter die geforderte elektronische Signatur nicht an der ausdrücklich hierfür vorgesehenen Stelle geleistet hat. Eine Zurechnung der im Anschreiben erfolgten elektronischen Signatur lag nicht ohne weiteres nahe. Zum einen war ein Anschreiben nicht gefordert und zum anderen stellte dieses Anschreiben eine andere Datei dar. Hinzu kommt, dass die Formvorgaben des Auftraggebers nicht eingehalten wurden. Der Auftraggeber hatte unter der Androhung eines zwingenden Angebotsausschlusses eindeutig gefordert, dass der Angebotsvordruck elektronisch in der geforderten Weise signiert werden musste, weil dieser sämtliche angebotsrelevanten Erklärungen enthielt. Das OLG Düsseldorf hatte in seiner bisherigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fallkonstellationen zu erkennen gegeben, dass die Zurechnung einer Unterschrift oder einer elektronischen Signatur, die nicht an der geforderten Stelle erbracht wurde, rechtlich nur dann zulässig ist, wenn die Formvorgaben des Auftraggebers widersprüchlich waren (vgl. z. B. Beschl. v. 01.10.2014 VII Verg 14/14).
Bemerkenswert ist außerdem, dass die Vergabekammer des Bundes im erstinstanzlichen Kammerverfahren noch entschieden hatte, dass die fehlende bzw. nicht ordnungsgemäß erfolgte elektronische Signatur vom Auftraggeber nachgefordert werden könne. Die Vergabekammer des Bundes argumentierte, dass sich der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 3 lit. a) EG VOL/A und der Tatbestand des § 19 Abs. 3 lit. b) EG VOL/A teilweise überschneiden. Der erste Tatbestand betrifft die Konstellation des Angebotsausschlusses, sofern nicht die geforderten oder nachgeforderten Erklärungen enthalten sind, der zweite Tatbestand den Ausschluss wegen fehlender Angebotsunterschrift oder -signatur.
Dieser wenig überzeugenden Auslegung der Vergabekammer des Bundes erteilte das OLG Düsseldorf eine klare Absage. Nach Ansicht des Senats handelt es sich bei dem Angebotsvordruck nicht um eine Erklärung oder um einen Nachweis. Zudem waren dem Angebot sämtliche Erklärungen und Nachweise beigefügt. Diese Überlegungen des OLG Düsseldorf überzeugen. Wenn jedoch der Angebotsvordruck letztlich den gesamten Angebotsinhalt darstellte, hätte es nahe gelegen, das Angebot wegen der fehlenden ordnungsgemäßen elektronischen Signatur von der weiteren Angebotswertung auszuschließen. Schließlich stand somit fest, dass das Angebot insgesamt nicht ordnungsgemäß elektronisch signiert war. Die Zurechnung einer ordnungsgemäß geleisteten Unterschrift aus einer anderen Datei begegnet darüber hinaus vor dem Hintergrund von Manipulationsmöglichkeiten gewissen rechtlichen Bedenken (vgl. hierzu auch VK Südbayern, Beschl. v. 21.05.2015 Z3-3-3194-1-08-02/15).
Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist auch mit Blick auf das am 18. April 2016 in Kraft getretene neue Vergaberecht bei Liefer- und Dienstleistungsvergaben von Bedeutung. Während § 19 Abs. 2 Satz 1 EG VOL/A auf das Fehlen einer Erklärung oder eines Nachweises abstellte, kann nach der nunmehr geltenden Vorschrift des § 56 Abs. 2 VgV der öffentliche Auftraggeber
den Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen.
Der Wortlaut des § 56 Abs. 2 VgV spricht gegenüber der alten Fassung des § 19 Abs. 2 EG VOL/A für eine etwas weitere Auslegung. Es ist damit zu rechnen, dass die vergaberechtliche Rechtsprechung klären muss, inwieweit unvollständige oder fehlerhafte Unterlagen vervollständig oder korrigiert werden dürfen. Vor diesem Hintergrund bleibt die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten.
Dr. Martin Ott
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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