§ 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A a.F. ist grundsätzlich keine bieterschützende Norm. Ausnahmsweise kann sich ein Bieter auf sie berufen, wenn das Angebot in Marktverdrängungsabsicht abgegeben wurde. Dafür trägt der Bieter die Darlegungs-und Beweislast.
§ 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A 2012; § 16 d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A 2016
Leitsatz
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Herstellung zweier Baugruben, die Entsorgung der anfallenden Erdmassen sowie die Wiederverfüllung nach Erstellung des Untergeschosses an einem Gebäude im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Insgesamt gingen darauf 10 Angebote ein. Nach Submission lag des Angebot des Bieters A auf Platz 1, das des B auf Platz 2. Beide Angebote wichen deutlich vom Durchschnittswert aller abgegebenen Angebote und der Kostenschätzung des AG ab.
Im folgenden forderte der AG die beiden Bieter zur Aufgliederung ihrer Einheitspreise sowie zur näheren Erläuterung ihrer Angebote auf, dem beide Bieter nachkamen. Nach Mitteilung des AG, den Zuschlag auf das Angebot des A zu erteilen, machte B nach Rüge in seinem Nachprüfungsantrag geltend, das Angebot des A sei nach § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A auszuschließen. Er selbst sei seit 28 Jahren auf dem relevanten Markt tätig und verfüge daher über eine ausgezeichnete Marktkenntnis. Diese lasse es ausgeschlossen erscheinen, dass das Angebot des A, das ca. 22 % preiswerter sei als sein eigenes, auskömmlich kalkuliert worden sei. Ein Angebot mit diesem Abstand sei vielmehr darauf angelegt, nicht nur den AG zu übervorteilen, sondern auch die Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.
Die Entscheidung
Die VK Bund gibt dem AG Recht und verwirft den Nachprüfungsantrag bereits wegen fehlender Antragsbefugnis des A als unzulässig. Soweit A seinen Antrag auf § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A stütze, wonach der Zuschlag nicht auf ein einen unangemessen niedrigen Preis erteilt werden dürfe, sei folgendes festzuhalten:
Von einem unangemessen niedrigen Preis könne dann ausgegangen werden, wenn der angebotenen Gesamtpreis derart eklatant von dem angemessenen Preis abweiche, dass die Unangemessenheit sofort ins Auge falle. Alleine ein beträchtlicher Abstand zum nächstfolgenden Angebot sei jedoch kein hinreichendes Indiz für einen ungewöhnlich niedrigen Preis. Hinzukommen müssten Anhaltspunkte, dass der Niedrigpreis wettbewerblich nicht begründet sei, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Bieter in seiner Kalkulation grundsätzlich frei bleibe. Nach herrschender Meinung diene § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A aber in erster Linie dem Schutz des öffentlichen AG, der davor bewahrt werden solle, den Vertrag mit einem Anbieter abzuschließen, der aufgrund des unauskömmlichen Angebots in die Gefahr gerate, den Auftrag nicht oder nicht ordnungsgemäß ausführen zu können. Dem Schutz des Wettbewerbs könne die Norm nur in Ausnahmefällen dienen. Ein solcher Ausnahmefall könne dann vorliegen, wenn das Angebot in Marktverdrängungsabsicht abgegeben worden sei oder die Prognose begründe, der Bieter werde zu diesem Preis nicht über die gesamte Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrags leistungsfähig bleiben. Die Beweislast für eine Wettbewerbswidrigkeit bzw. Marktverdrängungsabsicht liege beim öffentlichen AG bzw. bei dem Wettbewerber, der sich hierauf berufe.
Ausgehend davon seien dem Vortrag des B keine Anhaltspunkte für ein wettbewerbsbeschränkendes oder unlauteres Angebot des A zu entnehmen. Die Besorgnis, dass A aufgrund des niedrigen Preises in Gefahr geraten könnte, den Vertrag nicht zu erfüllen, bestehe auch nach eigenem Vortrag des B nicht. Hier habe A selbst einen Umsatz in der Größenordnung von (…) und gehöre einem Konzernverbund an, so dass ihm hinreichende finanzielle Ressourcen zur Vertragsabwicklung zu Verfügung stünden. B habe auch nichts dafür vorgetragen, dass für ihn selbst die Gefahr bestehe, sein Unternehmen werde vom sachlich und räumlich relevanten Markt verdrängt, wenn er nicht den Zuschlag auf den streitgegenständlichen Auftrag erhalten sollte. In der mündlichen Verhandlung vor der VK habe er vielmehr deutlich gemacht, dass sein Überleben im Wettbewerb nicht von dem ausgeschriebenen Auftrag abhänge.
Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Erwägungen die Antragsbefugnis des B und damit die Zulässigkeit seines Antrags bejahen würde, wäre der auf die Unauskömmlichkeit des Angebots gestützte Abtrag jedenfalls auch unbegründet. So habe das OLG Düsseldorf erst vor kurzem deutlich gemacht, dass auf ein Unterkostenangebot der Zuschlag erteilt werden könne, wenn der Bieter mit diesem wettbewerbskonforme Ziele verfolge und er trotz Unauskömmlichkeit die Zuverlässigkeit nachweisen könne, den Auftrag ordnungsgemäß zu erfüllen. (OLG Düsseldorf, Beschl. V. 08.06.2016, VII-Verg 57/15).
Rechtliche Würdigung
Grundsätzlich schützt § 16 Abs. 6 Nr. 1 EG VOB/A bzw. die identische Norm des § 16 d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A, wonach der Zuschlag nicht auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis erteilt werden darf, nur den öffentlichen Auftraggeber – mit der Folge, dass die Vorschrift dem Bieter kein subjektives Recht im Sinn von § 97 Abs. 6 GWB einräumt. Ausnahmsweise kann jedoch seine Rüge der Unauskömmlichkeit zulässig sein, wenn sich der Verdacht eines Verdrängungswettbewerbs bestätigen sollte, wofür allerdings der Bieter beweisbelastet ist. Insoweit liegt die Entscheidung auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung (siehe z.B. OLG München, B. v. 21,05.2010 – Verg 2/10; OLG Düsseldorf, B.v.14.08.2009 – Verg 40/09; VK Münster, B. v. 15.09.2009 – VK 14/09)
Demgegenüber hat der Auftraggeber – trotz des eindeutigen Wortlauts des § 16 d Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A – durchaus die Möglichkeit, ein solches Unterkostenangebot zu bezuschlagen. Allerdings muss er davon überzeugt sein, dass der Bieter sowohl keine wettbewerbsverdrängende Absichten hegt als auch tatsächlich in der Lage ist, den Auftrag ordnungsgemäß zu erfüllen.
Praxistipp
Da der genannte § 16 d Abs.1 Nr. 1 EU VOB/A quasi ausschließlich dem Schutz des öffentlichen Auftraggeber dient, kann dieser dennoch ausnahmsweise den Zuschlag auf ein Angebot mit einem sog. „unauskömmlichen“ Preis erteilen. Ein solcher liegt in der Regel dann vor, wenn der Preis dieses Angebotes die Kalkulation des AG bzw. das nächsthöhere Angebot um ca. 10 % und mehr unterschreitet. Der AG ist dann verpflichtet, dieses Angebot einer genauen Prüfung zu unterziehen, insbesondere darauf, ob es in der Absicht abgegeben wurde, Mittbewerber vom Markt zu verdrängen und ob das Risiko besteht, dass der Bieter zu diesem Preis die Leistung in qualitativ ordentlicher Weise letztlich nicht erbringen kann. Kommt er bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis, dass diese Voraussetzungen nicht bestehen, kann er das Angebot bezuschlagen.
Bietern wird es in aller Regel dagegen sehr schwer fallen, zu begründen, warum sie durch das „unauskömmliche“ Angebot tatsächlich vom sachlich und räumlich relevanten Markt verdrängt werden bzw. evtl. in ihrer Existenz bedroht sind.
Michael Werner ist Rechtsanwalt und bei der DEGES GmbH in Berlin tätig. Herr Werner ist Experte im deutschen und europäischen Vergaberecht sowie im Bauvertragsrecht. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war Herr Werner langjähriger Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. und Mitglied im Deutschen Vergabe - und Vertragsausschuss des Bundes (DVA).
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