Auch unterhalb des EU-Schwellenwertes ist ein Ausschluss eines Bieters wegen negativer Erfahrungen bei früheren Aufträgen möglich. Hierzu bedarf es einer vom Auftraggeber sorgfältig dokumentierten negativen Prognose.
§ 6a Abs. 2 Nr. 7; § 16 b Abs. 1; § 16 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A 2016
Leitsatz
- Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit ist ausschlaggebend, ob bei einer Gesamtabwägung die positiven oder die negativen Erfahrungen mit der Antragstellerin objektiv größeres Gewicht haben. Zum Ausschluss der Antragstellerin wegen Unzuverlässigkeit bedarf es einer dokumentierten negativen Prognose.
- Für die Feststellung mangelnder Zuverlässigkeit liegen nachvollziehbare sachliche Gründe vor, dass aufgrund der nachweislichen schweren Verfehlung in der Vergangenheit auch für den zu vergebenden Auftrag schwere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bewerbers bestehen.
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte auf Grundlage der VOB/A Fahrbahnmarkierungen auf Landes- und Kreisstraßen öffentlich ausgeschrieben. In den Bewerbungsbedingungen hatte er auch die Nachweise zur Eignung bekanntgegeben: Präqualifizierte Unternehmen sollten den Nachweis durch Eintragung in das PQ-Verzeichnis führen, nichtpräqualifizierte sollten das ausgefüllte Formblatt Eigenerklärung zur Eignung vorlegen. Einziges Wertungskriterium war der Preis. Bieter A wies seine Eignung durch Eintragung in das PQ-Verzeichnis nach und legte ein Angebot vor, das preislich den ersten Platz belegte. Mit Informationsschreiben vom 07.06.2016 teilte der AG dem A mit, dass sein Angebot keine Berücksichtigung finde. Zwar habe A seine Eignung formell nachgewiesen; im Rahmen der materiellen Eignungsprüfung war er jedoch als ungeeignet zu bewerten. Die Prüfung bisheriger Verträge mit A hätte ergeben, dass erhebliche Pflichtverletzungen wie Schlechtleistungen, Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, fehlerhafte Abrechnungen, Nichtleistung trotz mehrfacher Aufforderungen sowie vertragliche Pflichtverletzungen festgestellt worden seien. Auch wäre nicht erkennbar, dass A Maßnahmen in organisatorischer, personeller oder technischer Hinsicht eingeleitet hätte, welche künftig vergleichbare Vertragsverletzungen ausschließen würden. A sei daher unzuverlässig und müsse gemäß § 16 b Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen werden. A wehrt sich dagegen nach erfolgloser Rüge mit Nachprüfungsantrag.
Die Entscheidung
Die VK gibt hier dem AG Recht. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A würden Bauleistungen an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu angemessenen Preisen in transparenten Vergabeverfahren vergeben. Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit seien bei Öffentlicher Ausschreibung im Rahmen der Wertung der Angebote anhand der Angaben in der Präqualifikationsliste oder der Eigenerklärungen sowie der weiteren geforderten Nachweise zu bewerten. Diesen Anforderungen sei hier A in seinem Angebot gerecht geworden.
Für die Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters im Vergabeverfahren sei aber maßgebend, inwieweit die Umstände des einzelnen Falles die Aussage rechtfertigten, er werde die von ihm angebotenen Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens seien, vertragsgerecht erbringen. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei eine Prognoseentscheidung, die auch aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens eines Bewerbers erfolge. Die mangelnde Sorgfalt bei der Ausführung früherer Arbeiten sei hierbei durchaus ein Kriterium, das zur Unzuverlässigkeit eines Bewerbers führen könne. Hierfür sei es erforderlich, dass durch den Auftraggeber eine umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte unter angemessener Berücksichtigung des Umfangs, der Identität des Ausmaßes und des Grades der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzungen stattfinde. Gemäß § 6a Abs. 2 Nr. 7 VOB/A 2016 sei eine Prüfung der Angaben erforderlich, ob nachweislich eine schwere Verfehlung vorliege, die die Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stelle. Schwer sei eine Verfehlung dann, wenn sie erhebliche Auswirkungen habe. Dazu zählten u.a. ständige (wiederholte) Nichteinhaltung von Vertragsfristen, mangelnde Bauausführung, nicht prüfbare Abrechnung der Bauleistungen, Vertragskündigungen und Schadensersatzforderungen wegen nicht erbrachter oder schlechter Leistung.
Entscheidend sei dabei, dass dem AG angesichts des früheren Verhaltens des A nicht zugemutet werden könne, mit dem Unternehmer erneut in vertragliche Beziehungen zu treten. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit sei ausschlaggebend, ob bei einer Gesamtabwägung die positiven oder die negativen Erfahrungen mit A objektiv größeres Gewicht hätten. Zum Ausschluss des A wegen Unzuverlässigkeit bedürfe es einer dokumentierten negativen Prognose, wonach die in der Vergangenheit festgestellte mangelhafte Leistung für den zu vergebenden Auftrag erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des A begründeten. Diese Feststellungen müssten bereits in der Dokumentation gemäß § 20 VOB/A enthalten sein.
Der AG habe hier den Angebotsausschluss wegen mangelnder Zuverlässigkeit und fehlender Leistungsfähigkeit bei früheren Aufträgen des A von 2013 bis 2015 ausführlich dokumentiert. Er habe in seinem Formblatt zur Eignungsprüfung und im Informationsschreiben vom 07.06.2016 genau begründet, weshalb A für die Ausführung der Leistungen für die Ausschreibung 2016 ungeeignet sei. Die Begründung, mit der der AG den Bieter A aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen habe, folge aus dem Protokoll der Eignungsprüfung vom xx.xx.2016 für Markierungsarbeiten im Zuge von Jahresausschreibungen. Hier seien die wiederholten Vertragspflichtenverletzungen des A, der enorme Aufwand des AG für Nachfristsetzungen und Mahnungen, die Auswirkungen auf die Verträge, die mehrfachen Aufklärungsgespräche, die Erklärungen des A, seine nicht eingehaltenen Zusagen zu personellen und organisatorischen Maßnahmen, die rechtskräftigen Vertragskündigungen sowie die Prognose für künftige Jahresverträge mit dem Bieter A aufgeführt. Die Entscheidung des AG, dass begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des A bestünden, die konkret ausgeschriebene Leistung zu erbringen, sei auch von einem ausreichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Der AG habe dargelegt, dass die bisherigen Beanstandungen nunmehr bei der aktuellen Ausschreibung erneut auftreten würden und dem A angelastet werden könnten.
Im Ergebnis sei die Eignungsprüfung daher nicht zu beanstanden. Für die Feststellung mangelnder Zuverlässigkeit lägen nachvollziehbare sachliche Gründe vor, dass aufgrund der nachweislichen schweren Verfehlung in der Vergangenheit auch für den zu vergebenden Auftrag schwere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bieters A bestünden.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Auch unterhalb der Schwellenwerte ist der Auftraggeber nicht gezwungen, trotz des alleinigen Wertungskriteriums „niedrigster Preis“ einem Bieter auf dessen billigstes Angebot den Auftrag zu erteilen, mit dem er in der Vergangenheit mehr als schlechte Erfahrungen gemacht hat. Vor dem Ausschluss des Angebotes muss sich der Auftraggeber aber in einer Gesamtabwägung mit seinen positiven bzw. negativen Erfahrungen mit dem Bieter auseinandersetzen. Kommt er dabei zu einer negativen Prognose für den aktuell zu vergebenden Auftrag, hat er dies ausführlich und sorgfältig zu dokumentieren. Wenn danach nachweislich und nachvollziehbar schwere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bieters bestehen, kann das Angebot nach § 16 Abs.2 Nr. 3 iVm § 6a Abs. 2 Nr. 7 VOB/A , und nicht- wie hier die VK festgestellt hat- nach § 16 b Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen werden.
Praxistipp
Für den Bereich oberhalb des EU-Schwellenwertes (am Bau: EUR 5,225 Mio.) ist darauf hinzuweisen, dass es seit 18.04.2016 für derartige Fälle nun explizit eine gesetzliche Regelung gibt siehe § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bzw. § 6 e Abs. 6 Nr. 7 EU VOB/A. Wie die obige Entscheidung der Vergabekammer zeigt, ist der Ausschluss eines Bieters wegen negativer Vorerfahrung auch unterhalb des EU- Schwellenwertes unter ähnlichen Voraussetzungen möglich. Ansatzpunkt ist dabei § 16 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A, wonach ein Angebot ausgeschlossen werden kann, wenn nachweislich eine schwere Verfehlung begangen wurde, die die Zuverlässigkeit als Bewerber bzw. Bieter in Frage stellt. Zum Nachweis dieser schweren Verfehlung bedarf es der bereits oben genannten sorgfältigen Gesamtabwägung und deren Dokumentation.
Michael Werner
Michael Werner ist Rechtsanwalt und bei der DEGES GmbH in Berlin tätig. Herr Werner ist Experte im deutschen und europäischen Vergaberecht sowie im Bauvertragsrecht. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war Herr Werner langjähriger Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. und Mitglied im Deutschen Vergabe – und Vertragsausschuss des Bundes (DVA).
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