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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 04/12/2016 Nr. 28130

OLG Düsseldorf bestätigt und konkretisiert Schulnotenrechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016 – VII-Verg 25/16)

EntscheidungKann die Schulnotenrechtsprechung trotz des TNS-Dimarso-Urteils des EuGH unter dem novellierten Vergaberecht fortgesetzt werden? – zugleich eine Antwort auf Ortner, Vergabeblog.de vom 25/09/2016, Nr. 27344.

Das OLG Düsseldorf hält in seiner ersten einschlägigen Entscheidung nach dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH an seiner Auffassung fest, dass die Bewertungsmethode den Bietern spätestens in den Vergabeunterlagen bekannt gemacht werden muss und reine Schulnoten oder Punktesysteme als Bewertungsmethode nicht ausreichen. Diese Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf ist hoch umstritten (dazu: Ortner, Vergabeblog.de vom 22/02/2016, Nr. 24682) und war vom EuGH nicht bestätigt worden (dazu:  Neusüß, Vergabeblog.de vom 21/08/2016, Nr. 27080).

Die noch zum alten Recht ergangene Entscheidung legt nahe, dass das Gericht beabsichtigt, die Schulnotenrechtsprechung unter dem novellierten Vergaberecht fortzusetzen. Das OLG Düsseldorf muss sich aber auch dann mit dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH auseinandersetzen. Nach dem Urteil des EuGH sind abstrakte Bewertungsmethoden zulässig und müssen dem Bieter nicht bekannt gegeben werden. Das Urteil erging zwar ebenfalls noch zum alten Recht. Nach Auffassung des Autors spricht aber viel dafür, das TNS-Dimarso-Urteil auf die neue Rechtslage zu übertragen.

Für die Praxis ist die Entscheidung aus zwei weiteren Gründen relevant:

Erstens hielt das OLG Düsseldorf die zu beurteilende Vergabe für ein gelungenes Beispiel, wie der öffentliche Auftraggeber der Schulnotenrechtsprechung gerecht werden kann: Für jedes Zuschlagskriterium hatte der Auftraggeber die Erfüllungsgrade durch Subkriterien ausdifferenziert. Daran können sich öffentliche Auftraggeber orientieren.

Zweitens soll die Schulnotenrechtsprechung auch im Unterschwellenbereich Anwendung finden.

Das vom Gericht zu beurteilende Vergabeverfahren war im Ergebnis nicht rechtmäßig, da durch andere Zuschlagskriterien ortsfremde Bieter ungerechtfertigt diskriminiert worden seien (dieser Punkt ist nicht Gegenstand dieser Besprechung).

§ 97 Abs. 1 und 2 GWB; §  127 Abs. 4 und 5 GWB

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb Aufträge über „Assistierte Ausbildung“ nach §§ 130 SGB III und 16 SGB II für das Gebiet der Agentur für Arbeit Bayreuth-Hof aus.

Das Wertungssystem der Vergabestelle sieht fünf Wertungsbereiche vor. Die Wertungsbereiche I. bis IV. betreffen die einzureichenden Konzepte (Gewichtung 80 %); der Wertungsbereich V. bezieht sich auf Bisherige Erfolge und Qualität (Gewichtung 20 %).

In den Wertungsbereichen I. bis IV. sollen die Angebote nach folgendem Maßstab bewertet werden:

  • 0 Punkte erhält das Angebot, das nicht den Anforderungen entspricht.
  • 1 Punkt erhält das Angebot, das mit Einschränkungen den Anforderungen entspricht.
  • 2 Punkte erhält das Angebot, das den Anforderungen entspricht.
  • 3 Punkte erhält das Angebot, das der Zielerreichung in besonderer Weise dienlich ist.

In den streitbefangenen Wertungsbereichen I.2 und III.1 wurde das vorstehende Schema hinsichtlich Erfüllungsgraden wie folgt durch Subkriterien ausdifferenziert:

Wertungskriterium I.2 (Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren)

  • 0 Punkte: Art und Umfang der Zusammenarbeit sind falsch bzw. nicht beschrieben. Oder: Zielsetzung und Zielgruppe sind falsch bzw. nicht berücksichtigt.
  • 1 Punkt: Art und Umfang der Zusammenarbeit sind nur allgemein/unkonkret beschrieben. Oder: Zielsetzung oder Zielgruppe sind falsch oder nicht berücksichtigt.
  • 2 Punkte: Art und Umfang der Zusammenarbeit sind konkret beschrieben. Und: Zielsetzung und Zielgruppe sind berücksichtigt.
  • 3 Punkte: Die Voraussetzungen für eine Bewertung mit 2 Punkten sind erfüllt. Und: Aufbau und Funktionalität einer Netzwerkbildung sind detailliert erläutert.

Wertungskriterium III.1 (Strategie für die Teilnehmer)

  • 0 Punkte: Die Erläuterungen zur Unterstützung der Teilnehmer (wie und womit) fehlen.
  • 1 Punkt: Erläuterungen zur Unterstützung der Teilnehmer (wie und womit) sind vorhanden.
  • 2 Punkte: Erläuterungen zur Unterstützung der Teilnehmer (wie und womit) sind vorhanden. Die Unterstützungsleistung ist konkret beschrieben und lässt einen Ausbildungsabschluss erwarten.
  • 3 Punkte: Die Voraussetzungen für eine Bewertung mit 2 Punkten sind erfüllt. Und: Zusätzlich wird dargestellt, wie der Teilnehmer auch weiterhin an den Austausch- und Lernangeboten teilnimmt, wenn die Teilnahme an diesen nur außerhalb der Arbeitszeit möglich ist.

Im Wertungskriterium V (Bisherige Erfolge und Qualität) konnte nur mehr als 1 Punkt erreicht werden, wenn ein Bieter mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Referenzen im Bezirk der Vergabestelle nachweisen konnte.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf hält mit deutlichen Worten an seiner Schulnotenrechtsprechung fest (Rn. 44 der Entscheidung):

Unter anderem durch Beschluss vom 16. Dezember 2015 (VII-Verg 25/15) hat der Senat entschieden, dass das reine Schulnotensystem in Vergabeverfahren, welche die unionsrechtlichen Auftrags-Schwellenwerte erreichen (wegen der Gleichheit der Überprüfungsmaßstäbe freilich auch bei Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte), aufgrund völliger Unbestimmtheit und Intransparenz der Bewertungsmaßstäbe als vergaberechtswidrig auszuscheiden hat. Das reine und durch keine weiteren Unterkriterien konkretisierte Schulnotensystem überantwortet die Angebotswertung in Gänze einem ungebundenen und völlig freien Ermessen des Auftraggebers, und zwar nicht nur auf der letzten Meile der Angebotswertung. Es gestattet willkürliche Bewertungen, die bei Massengeschäften wie dem vorliegenden praktisch kaum zu vermeiden und zu kontrollieren sind, und erzeugt die Gefahr von Manipulationen, vor denen der Wettbewerb als solcher sowie – mit drittschützender Wirkung – Bieterunternehmen durch Festlegen und Bekanntgeben transparenter Bewertungsmaßstäbe zu schützen sind.“ (Hervorhebungen durch Unterzeichner)

Die Vergabestelle habe den unbestimmten Wertungsmaßstab des Schulnotensystems aber weiter (wie im Sachverhalt angegeben) aufgegliedert und dadurch für fachkundige Bieterunternehmen hinreichend aussagekräftige und bestimmte Anhaltspunkte gegeben, worauf es der Vergabestelle für den jeweiligen Erfüllungsgrad ankomme. Der Wertungsmaßstab sei daher nicht zu beanstanden.

Rechtliche Würdigung

Überraschender Weise nutzt das OLG Düsseldorf nicht die Gelegenheit, sich mit dem Urteil des EuGH vom 14.07.2016 (C-6/15, TNS Dimarso) auseinanderzusetzen, es erwähnt dieses Urteil nicht einmal.

Der EuGH hat entschieden, dass Bewertungsmethoden nicht veröffentlicht werden müssen und einfache Bewertungskategorien zur Bestimmung der Qualität wie „hoch“, „ausreichend“ und „niedrig“ ausreichend sein können (dazu unter 1.). Die nochmals wiederholte Forderung des OLG Düsseldorf nach Veröffentlichung ausdifferenzierter Bewertungsmethoden lässt sich mit dieser Entscheidung nicht vereinbaren (dazu unter 2.).

Sowohl die bisherige Entscheidung des OLG Düsseldorf als auch die Entscheidung des EuGH ergingen aber zum alten Vergaberecht. Die Ausführungen des OLG Düsseldorf legen nahe, dass das Gericht die Schulnotenrechtsprechung künftig mit den neuen Regelungen zu den Zuschlagskriterien in §  127 Abs. 4 GWB und Art. 67 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU begründen will. Dieser Ansatz überzeugt nicht, da diese Neureglungen lediglich die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung des EuGH kodifizieren. Das TNS-Dimarso-Urteil ist daher auf die neue Rechtslage übertragbar (dazu unter 3.).

Auch unabhängig von der Rechtsprechung des EuGH überzeugt die Schulnotenrechtsprechung weiterhin nicht (dazu unter 4.).

1. Die TNS-Dimarso-Entscheidung des EuGH

a) Im Urteil vom 14.07.2016 (C-6/15, TNS Dimarso) hat der EuGH entschieden, dass eine Vergabestelle nicht verpflichtet ist, die Bewertungsmethode den Bietern mitzuteilen.

Die Feststellung des EuGH gilt ohne Ausnahme: Das vorliegende Gericht hatte den EuGH ausdrücklich danach gefragt, unter welchen Umständen eine Pflicht zur Transparenz besteht. Auch der Generalanwalt (Schlussanträge vom 10.3.2016 – C-6/15, Rn. 40, 47 und 85), dem der EuGH sonst regelmäßig folgt, hatte noch vorgeschlagen, eine Pflicht zur Bekanntmachung der Bewertungsmethode anzunehmen, wenn

  • durch die Bewertungsmethode die Zuschlagskriterien oder die Gewichtung der Kriterien verändert werden,
  • die Bewertungsmethode, wäre sie bei Erstellung des Angebots den Bietern bekannt gewesen, die Angebotserstellung hätte beeinflussen können
    oder
  • sie unter Berücksichtigung von Umständen erlassen wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten.

Der EuGH ist dieser Empfehlung des Generalanwalts nicht gefolgt, sondern hat eine Pflicht zur Veröffentlichung der Bewertungsmethode ganz allgemein abgelehnt. Er hat lediglich daran erinnert, dass die Bewertungsmethode keine Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung bewirken darf. Diese und die übrigen vom Generalanwalt genannten Umstände haben aber nach Auffassung des EuGH offensichtlich nicht zur Folge, dass die Bewertungsmethode zu veröffentlichen ist.

b) In dem zitierten Urteil des EuGHhatte die Vergabestelle angegeben, dass das Kriterium Qualität mit 50 % zu gewichten ist. Als nicht veröffentlichte Bewertungsmethode hatte sie die Erfüllungsgrade „hoch“, „ausreichend“ und „niedrig“ festgelegt. Weder der EuGH noch der Generalanwalt haben diese Bewertungsmethode als grundsätzlich vergaberechtswidrig eingestuft. Beide haben sie nur unter dem Aspekt kritisiert, dass damit der Qualität kaum das Gewicht von 50 % zukommen könnte, da Unterschiede von Angeboten mit „hoher“ Qualität nicht mehr zum Tragen kämen, wenn eines dieser Angebote beispielsweise sogar „exzellent“ sei (Generalanwalt, a.a.O., Rn. 56).

2. Anwendung auf die Schulnotenrechtsprechung

a) Das Urteil des EuGH steht der Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf diametral entgegen. Im Vergleich zu den – nach dem EuGH grundsätzlich zulässigen Erfüllungsgraden – „hoch, ausreichend, niedrig“ ist das Schulnoten- oder Punktesystem deutlich differenzierter (so auch: VK Lüneburg, Beschl. v. 27.09.2016, VgK-39/2016, Rn. 121).

Dass es für den Bieter bei der Erstellung des Angebots vorteilhaft sein könnte, die Bewertungsmethode zu kennen, ist für den EuGH gerade kein Grund, dass die Bewertungsmethode veröffentlicht werden muss. Statt der vom OLG Düsseldorf befürchteten Willkür betont der EuGH, dass zur Wertung von Angeboten ein Beurteilungsspielraum des Auftraggebers erforderlich sei.

b) Auch der EuGH erinnert in der Entscheidung allerdings daran, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung durch die Bewertungsmethode nicht verändert werden dürfen. Insbesondere muss die Bewertungsmethode eine der Gewichtung entsprechende differenzierte Bewertung erlauben (und bei 50 % Gewichtung nicht nur drei Stufen wie in der TNS-Dimarsio-Entscheidung). Die Bewertungsmethode und die Gewichtung der Zuschlagskriterien müssen daher miteinander in Einklang gebracht werden. Eine Anforderung, die Bewertungsmethode in ihren Abstufungen zu konkretisieren, also festzulegen, was hoch, ausreichend oder niedrig ist, wie dies vom OLG Düsseldorf verlangt wird, lässt sich daraus aber nicht ableiten.

c) Das OLG Düsseldorf könnte seine Schulnotenrechtsprechung aber vollständig aufrechterhalten, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass das nationale Recht strengere Anforderungen an die Transparenz stellt als das EU-Recht.

aa) Entgegen der Auffassung von Ortner, Vergabeblog.de vom 25/09/2016, Nr. 27344, könnte der nationale Gesetzgeber höhere Anforderungen an die Transparenz stellen, als das EU-Recht vorgibt. Bei der Wirkungsweise europäischer Rechtssetzungsakte wird zwischen einer Voll- und einer Mindestharmonisierung unterschieden. Bei einer Vollharmonisierung dürfen die Mitgliedstaaten nicht von den EU-Regelungen abweichen, bei einer Mindestharmonisierung dürfen sie hingegen strengere Regelungen erlassen. Welche Art der Vollharmonisierung vorliegt ist – für jede Regelung einer Richtlinie – durch Auslegung zu ermitteln.

Ortner geht davon aus, dass es sich bei den Vergaberichtlinien um vollharmonisiertes Recht handelt. Das hätte zur Folge, dass die Mitgliedstaaten nicht transparenter sein dürften als von den Vergaberichtlinien vorgegeben. Da öffentliche Auftraggeber zumeist Teil des Mitgliedstaates sind, hätte dies absurde von Ortner auch nicht behauptete Folgen, dass eine zu transparente Vergabe vergaberechtswidrig wäre. Die Frage ist vielmehr, ob die Richtlinie es den Mitgliedstaaten verbietet, ihren öffentlichen Auftraggebern strengere Vorgaben zu machen als vom EU-Recht verlangt, also den Handlungsspielraum der öffentlichen Auftraggeber einzuschränken. Es ist aber EU-rechtlich kein Grund erkennbar, warum ein Mitgliedstaat die öffentlichen Auftraggeber nicht dazu zwingen können sollte, von mehreren europarechtskonformen Verhaltensweisen nur eine umzusetzen: Das Vergaberecht dient der Umsetzung des Binnenmarktes und nicht dem Schutz der öffentlichen Auftraggeber der Mitgliedstaaten vor zu strengen Regelungen ihrer Parlamente. Für eine solche Regelung hätte die EU im Übrigen auch gar nicht die erforderliche Kompetenz. Der nationale Gesetzgeber könnte daher seinen öffentlichen Auftraggebern höhere Transparenzpflichten vorgeben als EU-Recht dies verlangt.

bb) Die Auffassung, das nationale Recht sei im Hinblick auf Transparenzanforderungen strenger als das EU-Recht, ist aber nicht überzeugend: Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der nationale Gesetzgeber über die Anforderungen des EU-Rechts hinausgehen wollte, vielmehr handelt es sich um eine teils wörtliche 1:1 Umsetzung der entsprechenden Richtlinien.

cc) Im Ergebnis ist das OLG Düsseldorf daher zwar nicht europarechtlich, aber durch bundesrechtliche Regelungen an die Rechtsprechung des EuGH gebunden.

3. Schulnotenrechtsprechung unter dem novellierten Vergaberecht

Fraglich ist aber, ob die Schulnotenrechtsprechung unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH unter dem novellierten Vergaberecht fortgesetzt werden könnte.

a) Die Richtlinie 2014/24/EU und das neugefasste GWB sehen Anforderungen an Zuschlagskriterien vor, die im bisherigen Recht nicht enthalten waren. In Art. 67 Abs. 4 2014/24/EU heißt es:

Die Zuschlagskriterien dürfen nicht zur Folge haben, dass dem öffentlichen Auftraggeber uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen wird. Sie müssen die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten und mit Spezifikationen einhergehen, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen gestatten, damit bewertet werden kann, wie gut die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Im Zweifelsfall nehmen die öffentlichen Auftraggeber eine wirksame Überprüfung der Richtigkeit der von den Bietern beigebrachten Informationen und Nachweise vor.

Umgesetzt wird diese Regelung in §  127 Abs. 4 GWB:

Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Lassen öffentliche Auftraggeber Nebenangebote zu, legen sie die Zuschlagskriterien so fest, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind.

Vergleicht man diese Vorgaben mit der oben zitierten Begründung der Schulnotenrechtsprechung durch das OLG Düsseldorf, so fällt auf, dass das OLG Düsseldorf auf die Willkürfreiheit, die Überprüfbarkeit und die Gewährleistung des Wettbewerbs abstellt, alles Punkte, die in § 127 Abs. 4 GWB ebenfalls genannt werden. Das Gericht scheint fast vorab unter die neue Norm zu subsumieren, obgleich noch das alte Recht anwendbar war.

Das Gericht könnte seine Schulnotenrechtsprechung zukünftig also mit einer Änderung der Richtlinie und des GWB rechtfertigen und sich auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit der entgegengesetzten Rechtsprechung des EuGH ersparen, wenn die Feststellungen des EuGH zum alten Recht auf das neue Recht nicht übertragbar wären.

b) Es spricht allerdings viel dafür, dass Art. 67 Abs. 4 2014/24/EU und nachfolgend §  127 Abs. 4 GWB nur die bisherige Rechtsprechung des EuGH kodifizieren und damit keine Rechtsänderung bewirken. So hat der EuGH bereits zum alten Recht festgestellt, dass es für die Vergabestelle möglich sein muss, die Erfüllung von Zuschlagkriterien effektiv zu kontrollieren und das die Transparenzpflicht dazu dient, die Gefahr von willkürlichen Entscheidungen zu verhindern (EuGH, Urteil vom 06. November 2014 C-42/13, Rn. 44, juris; EuGH, Urteil vom 04. Dezember 2003 C-448/01, Rn 52, juris).

Auch die Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs hat der EuGH bereits aus dem Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz abgeleitet (Vgl. nur EuGH, Urteil vom 29. April 2004 C-496/99 P, Rn. 108ff., juris).

Aus den neuen Regelungen ergeben sich daher keine Anforderungen, die nicht vom EuGH in der TNS-Dimarso-Entscheidung bereits zu berücksichtigen waren.

Im Übrigen sieht auch die neue Rechtslage keine Pflicht zur Veröffentlichung der Bewertungsmethode, sondern ausdrücklich nur eine Pflicht zur Veröffentlichung der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung vor, vgl. Art. 67 Abs. 5 Richtlinie 2014/24/EU und §  127 Abs. 5 GWB. Auf die nahezu gleichlautende Vorgängerregelung stellte der EuGH in der TNS-Dimarso-Entscheidung maßgeblich ab.

c) Im Ergebnis ist dem OLG Düsseldorf eine einfache Fortsetzung der Schulnotenrechtsprechung nach dem TNS-Dimarso-Urteil des EuGH auch unter dem neuen Vergaberecht verwehrt.

4. Inhaltliche Kritik an der Schulnotenrechtsprechung

Auch inhaltlich überzeugt die Schulnotenrechtsprechung (weiterhin) nicht:

Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein Bieter nicht durch eine ex-post-Transparenz, d. h. eine Begründung der Bewertungsentscheidung durch die Vergabestelle und eine anschließende Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen, hinreichend geschützt werden kann. Immerhin ist anerkannt, dass das Bewertungsschema von Schulnoten im Bildungsbereich eine ausreichende ex-ante-Transparenz darstellt (vgl. zur Übertragbarkeit auf das Vergaberecht überzeugend: VK Lüneburg, a.a.O., Rn. 120), obgleich dort die Entscheidungen, beispielsweise bei Schulabschlüssen oder bei Staatsexamina, grundrechtssensibler sind als bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Die Bewertung von Konzepten als Zuschlagskriterium wird durch die Schulnotenrechtsprechung in weiten Teilen tatsächlich unmöglich: Welcher Bieter beschreibt die Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren nicht konkret, wenn genau dies in den Bewertungsmethode gefordert wird. Ob sich aus dem eingereichten Konzept z. B. durch innovative Ansätze tatsächlich eine gute Zusammenarbeit mit den Akteuren ableiten lässt, ist hingegen gar nicht mehr Gegenstand der Bewertung. Der entschiedene Fall ist ein gutes Beispiel dafür: Alle Angebote hatten in den entsprechenden Zuschlagskriterien die volle Punktzahl. Die Schulnotenrechtsprechung widerspricht damit europäischem und nationalem Recht, wonach weiche Kriterien ausdrücklich zulässig sind – und zwar nicht nur pro forma. Dann muss der Auftraggeber diese Kriterien aber auch tatsächlich bewerten können.

Schließlich wird die Reichweite des allgemeinen Transparenzgrundsatzes im Hinblick auf die Zuschlagskriterien abschließend in § 127 Abs. 5 GWB festgelegt.

Richtig ist indes, dass die Bieter wissen müssen, worauf es dem öffentlichen Auftraggeber bei dem jeweiligen Zuschlagskriterium ankommt, §  127 Abs. 4 GWB. Dieses ist aber eine Frage der Ausgestaltung und der Beschreibung der Zuschlagskriterien, nicht der Bewertungsmethode. Falls das OLG Düsseldorf und andere Oberlandesgerichte die Schulnotenrechtsprechung aufgeben, ist zu erwarten, dass sie entsprechend höhere Anforderungen an die Ausformulierung der Zuschlagskriterien stellen.

Verwunderlich ist, dass dem OLG Düsseldorf eine Differenzierung nach konkreter und allgemeiner Beschreibung der Zusammenarbeit im entschiedenen Fall als Bewertungsmaßstab ausreicht (Wertungskriterium I.2). Unter welchen Umständen eine Beschreibung konkret ist oder nicht, lässt der Vergabestelle einen nahezu ebenso großen Beurteilungsspielraum wie bei der Festlegung von Schulnoten, wenn als Zuschlagskriterium eine konkrete Beschreibung der Zusammenarbeit gefordert wird.

Praxistipp

In der Praxis müssen die Vergabestellen trotz der Fülle an Gegenargumenten die Schulnotenrechtsprechung regelmäßig zur Risikominimierung weiterhin berücksichtigen.

Es ist daher zu empfehlen,

  1. die Bewertungsmethode den Bietern spätestens in den Vergabeunterlagen bekannt zu geben,
  2. in den Zuschlagskriterien und der Bewertungsmethode so genau wie möglich zu beschreiben, worauf es der Vergabestelle ankommt,
  3. zu begründen, wenn eine konkrete Beschreibung der Zuschlagskriterien oder Bewertungsmethode nicht möglich ist oder zur Bewertung des Zuschlagskriteriums kontraproduktiv wäre (z. B. Vorwegnahme der Lösung, Verhinderung von innovativen Ansätzen).

Sie sollten dabei aber (weiterhin) beobachten, wie sich Ihre Vergabekammer und Ihr Oberlandesgericht zu der Schulnotenrechtsprechung und der Rechtsprechung des EuGH positionieren. Die erste Vergabekammer (VK Lüneburg, Beschl. v. 27.09.2016, VgK-39/2016) ist aufgrund der EuGH-Entscheidung jedenfalls schon von der Schulnotenrechtsprechung abgerückt.

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Dr. Peter Neusüß

Der Autor Dr. Peter Neusüß ist Rechtsanwalt der Sozietät Sparwasser & Heilshorn Rechtsanwälte, Freiburg. Herr Dr. Peter Neusüß berät im Bereich des Vergabe-, Bau-, Abfall- und Energierechts insbesondere die öffentliche Hand, aber auch private Unternehmen. Er begleitet  und unterstützt öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren von der Vorbereitung einschließlich der Einbindung der (kommunalen) Gremien über die Erstellungder Vergabeunterlagen und Bieterinformationen bis hin zur Zuschlagserteilung und vertritt sie, soweit erforderlich, in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten.

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