In einer kleinen Serie möchten wir Ihnen in loser Folge die Beiratsmitglieder im DVNW vorstellen. Unser heutiger Interviewpartner Prof. Dr. Michael Eßig ist Leiter des Forschungszentrums für Recht und Management öffentlicher Beschaffung (FoRMöB) und Inhaber des Lehrstuhls für Materialwirtschaft und Distribution der Universität der Bundeswehr München.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Hirsch ist er Akademischer Leiter eines berufsbegleitenden MBA-Studiengangs mit Schwerpunkt in der öffentlichen Beschaffung. Er forscht und publiziert schwerpunktmäßig auf den Gebieten des Strategischen Beschaffungsmanagements, des Supply Chain Managements, der öffentlichen Beschaffung und des Defence Supply Managements und hat Lehraufträge an der University of San Diego, an der Universität St. Gallen und an der Wirtschaftsuniversität Wien inne. Von 2010 bis 2012 war er Vizepräsident der Universität der Bundeswehr München. Prof. Dr. Eßig ist Mitglied im Beirat des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
Lieber Herr Prof. Dr. Eßig, wie sind Sie eigentlich zum Vergaberecht bzw. öffentlichen Auftragswesen gekommen?
Michael Eßig: Ich habe nach dem Studium mit einer Promotion begonnen – und mich bei einem Lehrstuhl beworben mit der festen Absicht, im Bereich Marketing zu forschen. Mein damaliger Chef Prof. Arnold hat mich dann von der Bedeutung des Einkaufs überzeugt – so liegt bspw. das durchschnittliche Einkaufsvolumen eines Industriebetriebs bei über 50% des Umsatzes! – und das Thema hat mich in Promotion, Habilitation und eigenem Lehrstuhl nicht mehr losgelassen. An der Universität der Bundeswehr in München bot sich dann die Chance, den Bereich der öffentlichen Beschaffung weiter zu vertiefen – und ich habe gesehen, was dort sowohl wissenschaftlich wie auch ganz praktisch noch getan werden kann: Ein weites und hochinteressantes Feld!
… und wollten Sie je wieder davon weg? Was macht das Thema für Sie so spannend?
Michael Eßig: Nein, das Thema lässt mich nicht mehr los – und das ist auch gar nicht schlimm, im Gegenteil. Ein Wissenschaftler sucht ja immer nach Forschungsbedarf und da sehe ich viele, viele Themen. Mich freut sehr zu sehen, wie viele enorm engagierte Menschen in diesem Bereich arbeiten und ihren Beitrag leisten, das Thema voranzubringen. Die Anforderungen sind aus meiner Sicht hoch: Es geht nicht „nur“ um eine kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Optimierung, sondern gerade das Zusammenspiel mit rechtlichen und nicht zuletzt auch politischen Fragestellungen macht den großen Reiz des Themenfeldes aus.
Sie sind Mitglied im Beirat des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW). Aus welchem Grund engagieren Sie sich ehrenamtlich für das Netzwerk?
Michael Eßig: Die öffentliche Beschaffung mit ihrem geschätzten Einkaufsvolumen von über 350 Mrd. Euro jährlich in Deutschland bietet aus meiner Sicht große Potentiale! Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte leisten und beeinflusst gleichzeitig wesentlich die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors insgesamt (man denke bspw. an digitale Prozesse): Öffentliche Beschaffung hat eine strategische Rolle! Diese kann sie aber nur ausfüllen, wenn sie in ihrer Bedeutung wahrgenommen und entsprechend etabliert wird. Dazu leistet das DVNW einen wesentlichen Beitrag und hilft öffentlichen Einkäufer/innen, sich unkompliziert zu organisieren und von- bzw. miteinander zu lernen und so die öffentliche Beschaffung voranzubringen. Mir macht es große Freude zu sehen, welche Fortschritte die öffentliche Beschaffung dank vieler engagierter öffentlicher Einkäufer/innen in den letzten Jahren gemacht hat – und bin gespannt, welche wichtigen Aufgaben zukünftig noch vor uns liegen werden.
Was glauben Sie, ist der größte Nutzen des DVNW für seine Mitglieder?
Michael Eßig: Strategischer öffentlicher Einkauf funktioniert nur mit entsprechenden Ressourcen – und die wichtigste Ressource ist Wissen. Das DVNW stellt dieses Wissen zur Verfügung: Aus der Praxis für die Praxis. So entsteht eine echte „Community“. Professionalisierung der öffentlichen Beschaffung bedeutet, dass man öffentlichen Einkauf als „Profession“ und damit ein echtes Berufsbild entwickeln muss – und das geschieht zunehmend aus der Praxis heraus, wozu ein Netzwerk wie das DVNW einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leistet.
Das neue Vergaberecht für den Oberschwellenbereich ist jetzt seit dem 18. April 2016 in Kraft. Ihr vorläufiges Zwischenfazit?
Michael Eßig: Die Vergaberechtsreform ist der Einstieg in einen „echten“ Systemwechsel des Vergaberechts. Die alte Kaskade wurde durch ein neues System aus GWB, VgV bzw. den Schwesterverordnungen und UVgO abgelöst. Die Bedeutung der Vergaberechtsreform ist deshalb nicht hoch genug einzuschätzen – und der Wechsel gelang auch noch einigermaßen geräuschlos! Die Grundideen sind absolut zu begrüßen: Der Wechsel vom Preis- zum Qualitäts- bzw. „echten“ Wirtschaftlichkeitswettbewerb, die Weiterentwicklung zur strategischen Beschaffung, der Wandel zum elektronischen Einkauf, die Angleichung von Unter- und Oberschwellenbereich etc. pp. Allerdings bleiben Baustellen: Wie geht es mit dem Baubereich und der VOB weiter, die im neuen System noch einen echten Bruch darstellen? Wie gelingt es, nicht nur strategische Ziele einzubauen, sondern die Vergabe zu einer tatsächlich strategischen öffentlichen Beschaffung weiterzuentwickeln? Wie können wir doch etwas ausufernde Regelungsdichte sinnvoll handhaben? Wie geht es mit den Landesvergabegesetzen weiter, damit wir die Zersplitterung endlich aufheben können? Wie gelingt es, die Attraktivität öffentlicher Aufträge weiter zu erhöhen und so einen deutlich intensiveren Bieterwettbewerb zu realisieren? Es bleibt spannend!
Wo besteht aus Ihrer Sicht der größte Reformbedarf im Vergaberecht?
Michael Eßig: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob der Reformbedarf in erster Linie im Vergaberecht liegt – ich fürchte, dass wir uns damit abfinden müssen, dass es so richtig einfach nicht mehr wird. Natürlich gibt es immer Optimierungsmöglichkeiten, man denke nur an die Heterogenität der Landesvergabegesetze. Mir erscheint mindestens genauso wichtig, dass die Politik die Vergabestellen mit den Ressourcen ausstattet, die der enormen Verantwortung und dem enormen Potential im Sinne der oben genannten 350 Mrd. Euro entspricht. Wenn es gelingt, die Vergabe zu einem strategischen öffentlichen Einkauf weiterzuentwickeln, haben wir ungeheuer viel erreicht!
Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Eßig!
Lesen Sie auch die bislang erschienenen Interviews mit den Beiratsmitgliedern Norbert Portz, Hans-Peter Müller, Anja Theurer und Martin Hake.
Alle Mitglieder des DVNW Beirats finden Sie hier.
Über das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW):
Das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) vereint Experten und Entscheider im Vergaberecht und Public Sector. Dazu zählen öffentliche Einkäufer aus Bund, Ländern und Kommunen, überregional tätige Organisationen und NGOs, ebenso wie global aufgestellte Unternehmen und leistungsstarke Mittelständler. Das DVNW repräsentiert damit wie kein zweites Netzwerk den Public Sector in Deutschland. Das DVNW ermöglicht und fördert als unabhängige Plattform den Wissens- und Erfahrungsaustausch seiner Mitglieder und ist u. a. Veranstalter des Deutschen Vergabetages. Der ehrenamtliche Beirat des DVNW berät und unterstützt das DVNW in fachlicher Hinsicht.
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