Große Sorgfalt müssen Auftraggeber im Rahmen der Angebotswertung nicht nur auf die Bewertung qualitativer Aspekte legen, wie die aktuelle Debatte um die Schulnoten-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zeigt. Auch solche Kriterien, die sich grundsätzlich arithmetisch und damit rein rechnerisch darstellen lassen, können in der Praxis der Vergabestellen Schwierigkeiten bereiten. Begeht der Auftraggeber in dieser Hinsicht einen Vergaberechtsverstoß, muss häufig die Angebotswertung wiederholt werden oder gar eine neue Ausschreibung erfolgen. Die Vergabekammer Baden-Württemberg hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass starre Punktabzüge für den jeweils nächsthöheren Angebotspreis vergaberechtlich unzulässig sind.
GWB § 127 Abs. 1; VOB/A- EU § 16d Abs. 2 Nr. 1
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im Rahmen eines europaweiten offenen Verfahrens Abbrucharbeiten und die Schadstoffsanierung für ein Hallenbad aus. Die Vergabeunterlagen sahen vor, dass das Angebot mit dem niedrigsten Preis 75 Punkte erhält. Für die preislich nächsthöheren Angebote war vorgesehen, dass diese jeweils 7,5 Punkte weniger erhalten. Unabhängig von den angebotenen Preisen war somit vorgegeben, dass das zweitplatzierte Angebot 67,5 Punkte, dass drittplatzierte Angebot 60 Punkte, usw. erzielen. Das Angebot der Antragstellerin im Vergabenachprüfungsverfahren war über 20 % günstiger als das des erstplatzierten Bieters. Gleichwohl lag das Angebot der Antragstellerin unter Berücksichtigung der neben dem Preis angewendeten Wertungskriterien nur auf dem zweiten Platz. Die Antragstellerin argumentierte nach erfolgloser Rüge im Nachprüfungsverfahren insbesondere, dass die Wertungsmethodik vergaberechtswidrig sei. Starre Punktabzüge seien nicht geeignet, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln. Vielmehr müssten die Wertungspunkte auch die konkreten Preisabstände widerspiegeln.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer entschied, dass die vom Auftraggeber verwendete Wertungsmethodik vergaberechtlich unzulässig ist. Die Punkteberechnungsmethode in Bezug auf die angebotenen Preise sei nicht geeignet, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis gemäß § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB und § 16d Abs. 2 Nr. 1 VOB/A-EU zu ermitteln. Die Punktevergabe trage den relativen Preisabständen zwischen den einzelnen Angeboten der Bieter nicht hinreichend Rechnung. Die Wertungsmethodik des Auftraggebers führe dazu, dass ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Preishöhen zwangsläufig immer jeweils 7,5 Punkte zwischen den Angeboten liegen. Daraus ergebe sich, dass das um mehr als 20 % günstigere Preisangebot der Antragstellerin sich in der Gesamtwertung nur mit einem Plus von 7,5 Punkten niederschlägt. Wäre das Preisangebot aber nur einen einzigen Euro günstiger gewesen, änderte sich an der Punktvergabe nichts. Die Vergabekammer stellt auf dieser Grundlage einen Verstoß mit den Vorgaben des § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB fest, wonach der Preis ausdrücklich in Relation zur Leistung gesetzt werden soll.
Die Vergabekammer Baden-Württemberg weist außerdem besonders darauf hin, dass der Preis mit erheblichem Gewicht in die Gesamtwertung einfloss. Wenn aber bereits der Auftraggeber dem Preis eine starke Gewichtung für den Zuschlag beimisst, dann müsse dem bei der Bewertung der Angebote in Bezug auf die Preisunterschiede entsprechend Rechnung getragen werden. Die Vorgehensweise des Auftraggebers führe somit zu wettbewerbswidrigen Verzerrungen. Das Vergabeverfahren sei daher aufzuheben.
Bei der erneuten Ausschreibung müsse der Auftraggeber berücksichtigen, dass auch die Heranziehung einer Standardumrechnungsformel aus einem der einschlägigen Vergabehandbücher oder die Berechnung der Angebote über einen Dreisatz sich aus den Vergabeunterlagen eindeutig entnehmen lassen müssen.
Praxistipp
Auftraggeber müssen bei der Ausarbeitung der Bewertungsmethode nicht nur in Bezug auf qualitative Kriterien, sondern auch bei quantitativen Kriterien (Angebotspreis, technische Parameter) große Sorgfalt anwenden. Die aktuelle Rechtsprechung führt dazu, dass sämtliche Vordrucke und Formblätter auch in Bezug auf Standardumrechnungsformeln überprüft und gegebenenfalls vergaberechtskonform angepasst werden müssen. Des Weiteren ist Auftraggebern zu empfehlen, die Wertungsmethodik in den Vergabeunterlagen transparent vorzugeben. In Bezug auf die Wertung des Angebotspreises dürfte beispielsweise die Darstellung eines fiktiven Rechenbeispiels die Transparenz erhöhen. Für die Wertung der angebotenen Preise ist von zentraler Bedeutung, dass die vergebenen Wertungspunkte auch die tatsächlichen Preisabstände widerspiegeln.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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