Kommunale Wohnungsbaugesellschaften sind öffentliche Auftraggeber, auch wenn nur ein geringer Teil ihrer Tätigkeit im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art umfasst. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften stehen im Spannungsverhältnis zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und wettbewerbsorientierter marktwirtschaftlicher Tätigkeit in einem herausfordernden Marktumfeld. Wann für sie der persönliche Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet ist, hat nunmehr das OLG Brandenburg entschieden.
§ 99 Nr. 2 GWB a.F. / § 99 Nr. 2 GWB n.F.
Leitsätze
Sachverhalt
Die Auftraggeberin ist eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Alleinige Gesellschafterin ist die Stadt O. In dem Errichtungsvertrag aus dem Jahr 1990 wird der Gesellschaftszweck wie folgt bestimmt:
(1) Zweck der Gesellschaft ist vorrangig die sozialverantwortbare Wohnungsversorgung der breiten Schichten der Bevölkerung (gemeinnütziger Zweck).
In den Jahren 2002 und 2014 wurde der Gesellschaftsvertrag erneut geändert, wobei der Gesellschaftszweck seit dem Jahr 2002 unverändert lautet:
(1) Zweck der Gesellschaft ist sozialverträgliche Bereitstellung von Wohnraum zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen.
In den Jahren 2015 und 2016 vergab die Auftraggeberin Bauleistungen für die Errichtung von fünf Stadtvillen. Das Vorhaben umfasst fünf Wohnhäuser mit 47 Wohnungen und hat einen geschätzten Gesamtauftragswert von ca. 10 Mio. Euro. Sämtliche Bauvergaben erfolgten im nichtförmlichen Verfahren ohne Bekanntmachung im Amtsblatt der EU.
Die Antragstellerin, die von der Kanzlei der Verfasser in dem Verfahren vertreten wurde, wurde ebenso wie die Beigeladenen zu 1) und 2) durch das mit der Planung beauftragte Ingenieurbüro A. zur Abgabe eines Angebotes für das Gewerk Lüftung aufgefordert. Hierzu wurde ihr ein Leistungsverzeichnis übersandt, in dem unter der Kategorie „Vergabeverfahren“ als Ausschreibungsart „öffentliche Ausschreibung“ angegeben war.
Nach Eingang der Angebote wurden die sich beteiligenden Unternehmen aufgefordert, ihre Angebote im Hinblick auf bevorstehende Vergabeverhandlungen preislich zu überarbeiten. Im Ergebnis der Bietergespräche wurden die Angebote der Beigeladenen bezuschlagt. Hierauf forderte die Antragstellerin die Auftraggeberin zur Übersendung einer öffentlichen Niederschrift über die Vergabeentscheidung auf. Die Auftraggeberin wies dies ab, denn die Leistungen seien vorliegend im Rahmen privatrechtlicher Ausschreibungspraxis begrenzt ausgeschrieben worden.
Die Antragstellerin stellte Nachprüfungsantrag und trug vor, die Leistungen hätten in einem förmlichen Vergabeverfahren beauftragt werden müssen, denn die Auftraggeberin sei öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB a. F. Diese wendete ein, sie sei nicht zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrzunehmen. Zwar solle sie nach ihrem Gesellschaftszweck auch sozialverträglichen Wohnraum bereitstellen, entscheidend sei jedoch, dass sie als Wohnungsunternehmen in einem wettbewerblich ausgeprägten Marktumfeld tätig sei. Die Vergabekammer wies dies zurück und bestätigte die Rechtsauffassung der Antragstellerin. Hiergegen wendete sich die Auftraggeberin mit ihrer sofortigen Beschwerde zum Brandenburgischen OLG.
Die Entscheidung
Das Gericht weist die Beschwerde zurück. Die Auftraggeberin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB a.F.
Zu den Tatbestandsmerkmalen des § 98 Nr. 2 GWB a.F. führt das Gericht aus:
Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers sei funktional zu bestimmen (EuGH, Urt. v. 01.02.2001, Rs. C-237/99 OPAC). Deswegen käme es bei der Beurteilung der Auftraggebereigenschaft nach § 98 Nr. 2 S. 1 GWB a.F. nicht allein darauf an, ob die juristische Person des privaten Rechts zu dem besonderen Zweck gegründet worden sei, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrzunehmen. Vielmehr sei auf die tatsächliche Tätigkeit des Unternehmens abzustellen. Weiter führt das Gericht aus, dass es unerheblich sei, ob die betreffende Einrichtung nur im Allgemeininteresse liegende Aufgaben ausübe. Selbst wenn nur ein relativ geringer Teil der Tätigkeit des Unternehmens auf die Wahrnehmung solcher Aufgaben gerichtet sei, stehe dies der Einordnung des Unternehmens als öffentlicher Auftraggeber nicht entgegen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.1998, Rs. C-360/96 Arnheim). Nach der sog. Infizierungstheorie führe die Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben unweigerlich dazu, dass das Unternehmen in Gänze vergaberechtlich als öffentlicher Auftraggeber einzuordnen sei.
Vorliegend sei die Gesellschaft satzungsgemäß zu dem besonderen Zweck errichtet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrzunehmen. Denn die sozialverträgliche Wohnraumbereitstellung umfasse auch den Bereich des sozialen Wohnungsbaus und der sozialen Wohnraumförderung; mithin Bestandteile der öffentlichen Daseinsvorsorge und somit eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe. Zudem sei im letzten Beteiligungsbericht der Stadt O. im Hinblick auf den nach § 91 Abs. 6 der Brandenburger Kommunalverfassung (BbgKVerf) erforderlichen Nachweis über die Erfüllung eines öffentliches Zweckes dargelegt, dass die Stadt mit ihrer Beteiligung an der Auftraggeberin die ihr obliegende öffentliche Aufgabe der Wohnraumversorgung erfülle. Der § 2 Abs. 2 BbgKVerf bestimme darüber hinaus, dass der soziale Wohnungsbau zu den der Gemeinde obliegenden Aufgaben gehöre. Die Stadt O. bediene sich auch tatsächlich der Auftraggeberin zur Erfüllung dieses Zweckes. So plane die Auftraggeberin seit 2015 im Stadtgebiet 23 Wohnungen für Mieter mit Wohnberechtigungsschein und für Flüchtlinge. Dies entspreche unzweifelhaft dem Aufgabenbereich der sozialen Wohnraumversorgung. Schließlich sei es unerheblich für die Qualifikation als öffentlicher Auftraggeber, ob jeweilige Aufgaben auch von Privatunternehmen erfüllt würden. (vgl. EuGH, Urt. v. 10.04.2008 Aigner).
Soweit die Auftraggeberin vorträgt, dass für sie das Merkmal der Nichtgewerblichkeit nicht erfüllt sei, da u.a. das streitgegenständliche Vorhaben die Nachfrage in einem höherpreisigen Marktsegment bediene, hält das Gericht dem entgegen, dass es für die Tatbestandsverwirklichung unerheblich sei, ob neben der Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auch Tätigkeiten mit Gewinnererzielungsabsicht ausgeübt würden. (vgl. EuGH, Urt. v. 15.01.1998, C-44/96 Mannesmann Austria). Zudem schließe das Vorliegen eines Wettbewerbes in dem konkreten Marktbereich nicht aus, dass sich ein vom Staat kontrolliertes Unternehmen von anderen Überlegungen als von marktwirtschaftlichen leiten lasse. Insbesondere im Falle von Aufgaben, bei deren Erfüllung der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses einen entscheidenden Einfluss behalten möchte, sei in der Regel eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art anzunehmen. (vgl. EuGH, Urt. v. 22.05.2003 Korhonen). Die soziale Wohnraumversorgung stelle eine solche Aufgabe dar. Es sei kennzeichnend für heutige kommunale Wohnungsbaugesellschaften, dass die Aufgaben der sozialen Wohnraumförderung mit einem nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichteten Wohnungsbau verbunden würden. Hierdurch könnten die kommunalen Wohnungsunternehmen gerade ihre besondere Pflicht zur sozialverträglichen Wohnraumbereitstellung effizient und kostensparend erfüllen.
Rechtliche Würdigung
Das Gericht legt, ausgehend von der umfangreichen Rechtsprechung des EuGH, überzeugend und ausführlich dar, wann ein kommunales Unternehmen in Privatrechtsform öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB a.F. bzw. § 99 Nr. 2 GWB n.F. ist und schafft hiermit einen klaren und praktikablen Maßstab.
Das Gericht stellt insbesondere klar, dass es vor dem Hintergrund der Infizierungstheorie und für die Einordnung eines kommunalen Unternehmens in Privatrechtsform als öffentlicher Auftraggeber bereits ausreicht, wenn ein nur geringer Teil der von dem Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art sind. Diesbezüglich entfaltet der Gründungszweck des Unternehmens lediglich eine Indizwirkung. Entscheidend ist vor dem Hintergrund des funktionalen Auftraggeberbegriffs die tatsächliche Tätigkeit am Markt. Hierbei ist auch die Selbst- und Außendarstellung des Unternehmens beachtlich.
Folgerichtig stellt das Gericht fest, dass, soweit die kommunale Beteiligung an dem betreffenden Unternehmen mit einer kommunalverfassungsrechtlich gebotenen sozialen Zweckbindung einhergeht, in der Regel davon auszugehen ist, dass das Unternehmen im betroffenen Bereich nichtgewerblich im Allgemeininteresse tätig wird. Hierdurch wird das Unternehmen in Gänze infiziert.
Praxistipp
Der Beschluss ist wegen der kommunalverfassungsrechtlichen Zweckbindung an die Daseinsvorsorge für alle kommunalen Unternehmen in Brandenburg sowie in anderen Bundesländern mit vergleichbaren Regelungen auch nach der neuen Rechtslage von erheblicher Bedeutung, denn § 98 Nr. 2 GWB a.F. wurde in § 99 Nr. 2 GWB übernommen. Die Erbringung einer nichtgewerblichen, im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeit eröffnet den persönlichen Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts. Dies selbst dann, wenn die konkrete Aufgabe bei einer Gesamtbetrachtung nur einen unwesentlichen Teil der Aktivitäten des Unternehmens ausmacht. Dabei ist auf die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung und nicht allein auf den Gründungszweck des Unternehmens abzustellen. Für kommunale Unternehmen, die nicht nach den Regeln des Kartellvergaberechts ausschreiben, gilt es nach der Entscheidung des OLG Brandenburg zur Vermeidung von Nachprüfungsverfahren daher umso genauer zu prüfen, ob sie für ihre Gesellschafter im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnehmen.
Spannend bleibt nach der Entscheidung nicht zuletzt die Frage, ob es wegen der kommunalverfassungsrechtlichen Bindung an die Daseinsvorsorge noch einen Bereich geben kann, in dem kommunale Unternehmen nicht auch zugleich auch öffentliche Auftraggeber im Sinne des Kartellvergaberechts sind. Für Brandenburg dürfte diese Frage wohl zu verneinen sein.
Áron Horváth ist Rechtsanwalt in der auf das Vergabe- und Baurecht spezialisierten Kanzlei MD Rechtsanwälte in Potsdam. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen in allen Fragen rund um die Beschaffung der öffentlichen Hand und vertritt diese vor den Vergabekammern und Vergabesenaten der Oberlandesgerichte. Herr Horváth tritt zudem regelmäßig als Referent in Seminaren zu vergabe- und EU-beihilferechtlichen Themen auf.
Max Stanko ist Rechtsanwalt bei der auf das Vergabe- und Baurecht spezialisierten Kanzlei MD Rechtsanwälte in Potsdam. Er berät und begleitet bundesweit öffentliche Auftraggeber bei der Konzeption und Durchführung von Vergabeverfahren sowie Unternehmen bei der Teilnahme an solchen. Regelmäßig vertritt er Bieter und Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem tritt Herr Stanko als Referent in vergaberechtlichen Seminaren auf.
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