Das Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers ist eine der Stellschrauben des Vergaberechts, derer sich der Auftraggeber bedienen kann, um das Vergabeverfahren inhaltlich zu gestalten. Dennoch ist diese eingeräumte Freiheit mit Bedacht einzusetzen. Einmal festgelegte Mindestanforderungen dürfen nach Ablauf der Angebotsfrist nicht mehr ohne weiteres geändert werden.
§§ 19, 1 ThürVgG, §§ 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, 13 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 5 VOB/A – 1. Abschnitt 2012.
Sachverhalt
Zur Modernisierung u.a. der Küchentechnik der Landesfeuerwehrschule wurden zwei Multifunktionsgargeräte mit ergonomisch angeordneter elektronischer Steuerung über ein Tastenfeld oder Touch-Paneel in geeigneter Ausführung und Stabilität nach VOB/A, 1. Abschnitt ausgeschrieben. Beide Geräte sollen über einen Multi-Kerntemperaturfühler mit mind. 5 Messpunkten verfügen.
Die „Beschwerdeführerin“ gab fristgerecht ein Angebot ab und lag nach Submission auf Platz 4 mit einem preislichen Abstand von +7,05 %-Punkten zur Erstplatzierten. Das Angebot enthielt jedoch in zwei Positionen Rechenfehler, so dass nach rechnerischer Korrektur das Angebot von Platz 4 auf Platz 5 abfiel, bei einem preislichen Abstand zum Bestbieter von nunmehr 523 %-Punkten.
Bezuschlagt werden sollte ein Angebot der Erstplatzierten. Die von ihr angebotenen Kombidämpfer verfügen allerdings über (nur) 4 statt 5 Messpunkte. Dies sei nach ihrem Vortrag allerdings unschädlich, da die von ihr angebotenen Dampfgarer im Ergebnis gleichwertig seien und identische Garergebnisse erzielt werden könnten.
Die Zuschlagsentscheidung rügte die nunmehr 5-platzierte Bieterin gegenüber dem Auftraggeber. Der Auftraggeber, der der Rüge nicht abhelfen wollte, ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 ThürVgG verpflichtet, die Vergabeakte zur Entscheidung über die Rüge an die Vergabekammer weiterzuleiten. Auf diesem Wege findet nach dem Landesvergaberecht eine Überprüfung durch die Vergabekammer auch im Unterschwellenbereich statt.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg!
Die Vergabekammer erkennt in dem Angebot der Erstplatzierten zwar eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen, die zum zwingenden Ausschluss des Angebotes gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A-2012 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-2012 führe, ein Zuschlag auf das Angebot der Beschwerdeführerin käme aber wegen des unangemessen hohen Preises nach § 16 Abs. 6 Nr. 1 VOB/A-2012 nicht in Betracht.
Da es sich um eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen handele, habe die Vergabekammer eine mögliche Gleichwertigkeit des Kombigeräts zu zwei autarken Geräten nicht zu prüfen. Sofern von der Erstplatzierten vorgetragen wird, dass in der Praxis identische Garergebnisse erreicht werden könnten, komme es hierauf nicht an. Durch die Festlegung, dass die „Multikerntemperaturfühler mit mind. 5 Messpunkten“ ausgestattet sein müssen, hat der Auftraggeber eine zwingend zu erreichende Mindestbedingung in die Vergabeunterlagen eingeführt. Die Vergabekammer überprüfe daher „nur die Einhaltung des dem Auftraggeber eröffneten Beurteilungsspielraumes. Dieser wurde vorliegend durch die unrechtmäßige Wertung des Angebotes der Fa. …, in welchem ein konkret geforderter Mindestwert nicht erreicht wurde, überschritten.“
Hinsichtlich der im Angebot der Beschwerdeführerin enthaltenen Rechenfehler, verweist die Vergabekammer auf die Auslegungsregel des § 16 Abs. 4 Nr. 1 VOB/A-2012 (§ 16c Abs. 2 Nr. 1 VOB/A-2016), wonach der Einheitspreis maßgebend ist, wenn der Gesamtbetrag einer Ordnungszahl (Position) nicht dem Ergebnis der Multiplikation von Mengenansatz und Einheitspreis entspricht. Danach wurde die rechnerische Korrektur des Angebots der Beschwerdeführerin vergaberechtskonform vorgenommen. Die Korrektur des Einheitspreises sei wegen des bestehenden Verhandlungsverbotes in § 15 Abs. 3 VOB/A-2012 nicht möglich.
Die Angebotswertung ist danach unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer vom Auftraggeber zu wiederholen.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der Vergabekammer Thüringen vermag nur in Teilen zu überzeugen.
Sofern die Vergabekammer hier von einem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich des Vorliegens von zwingenden Ausschlussgründen (§ 16 VOB/A) ausgeht, der durch eine unrechtmäßige Wertung des Angebots der Bestplatzierten überschritten wurde, ist dem zu widersprechen. § 16 Abs. 3 VOB/A, der einleitend formuliert „ausgeschlossen werden“, räumt dem Auftraggeber gerade keinen Beurteilungsspielraum ein, der von der Nachprüfung nur auf richtige Tatsachenermittlung zu überprüfen wäre.
Die Vergabekammer geht weiter davon aus, dass das von der Leistungsbeschreibung abweichende Angebot der Erstplatzierten eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen darstelle. Dabei verkennt die Kammer allerdings, dass der Bestplatzierte eine von der Beschreibung (mind. 5 Messpunkte) abweichende Leistung (mit lediglich 4 Messpunkten) anbietet. Dabei handelt es sich um ein technisches Nebenangebot, welches bei Nichtzulassung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e VOB/A-2012 (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-2016) auszuschließen wäre. Denn der Bieter, der eine andere als vom Auftraggeber nachgefragte Leistung anbietet, unterbreitet ein Nebenangebot (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. März 2011 – VII-Verg 52/10).
Gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A sind Nebenangebote im Anwendungsbereich der VOB/A grundsätzlich zuzulassen. Mindestanforderungen sind im Anwendungsbereich der VOB/A – 1. Abschnitt nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 30.08.2011 – X ZR 55/10). Ob im vorliegendem Fall Nebenangeboten vom Auftraggeber ausgeschlossen wurden, ist weder dem Sachverhalt noch den Entscheidungsgründen zu entnehmen. Waren Nebenangebote nicht zuzulassen, ergibt sich im Ergebnis jedoch keine Abweichung zur Entscheidung der VK. Nicht zugelassene Nebenangebote sind von der Wertung zwingend auszuschließen, § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. e VOB/A (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A-2016). Ein Beurteilungsspielraum des Auftraggebers besteht in diesem Falle gerade nicht. Waren Nebenangebote zugelassen, wäre zu prüfen gewesen, ob und welche Anforderungen vom Auftraggeber an die Nebenangebote gestellt wurden und ob eine Gleichwertigkeit angenommen werden kann oder nicht. Wäre die Vergabekammer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mindestanforderung von 5 Messpunkten auch für Nebenangebote gilt, wäre eine entsprechende Klarstellung notwendig gewesen. Da die Vergabekammer das Nebenangebot jedoch als unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen gedeutet hatte, war über diesen Punkt nicht zu entscheiden.
Gelackmeiert ist im vorliegenden Fall nicht nur die bestplatzierte Bieterin, sondern auch die Beschwerdeführerin selbst. Die Vergabekammer gibt dem Auftraggeber auf, die Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Nach dieser kann der Zuschlag jedoch weder auf das Angebot der Bestbieterin, wegen (bestreitbarer) Änderungen der Vergabeunterlagen, noch auf das Angebot der Beschwerdeführerin, wegen eines unangemessen hohen Preises, erteilt werden.
Der Tenor der Vergabekammer, wonach das Vergabeverfahren des Auftraggebers als rechtswidrig beanstandet wird, ergeht mangels Schaden der Beschwerdeführerin im Wege einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle. Die Nachprüfung dient aber nur der Überprüfung daraufhin, ob der betroffene Bieter in seinen Rechten verletzt wurde und dies geeignet war, die Chancen auf Erlangung des Auftrages zu beeinträchtigen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2015, VII-Verg 24/15; Beschluss vom 17. Februar 2010, VII-Verg 51/09). § 19 Abs. 2 ThürVgG, der hier als Grundlage für die Nachprüfung heranzuziehen ist, gibt nichts Anderes her.
Praxishinweis
Die in ihrer Begründung streitbare Entscheidung der Vergabekammer zeigt im Kern allerdings ein in der Praxis häufig anzutreffendes Problem auf. Was passiert, wenn die Stellschrauben des Auftraggebers in einem Vergabeverfahren (Leistungsbeschreibung, Eignungs- und Zuschlagskriterien) etwas zu straff angezogen wurden.
Wenn der Auftraggeber, wie vorliegend, zwei autarke Küchengeräte ausschreibt und erst im Rahmen der Angebotswertung feststellt, dass zwei zentral gesteuerte Geräte ebenso zufriedenstellend funktionieren und dabei auch noch günstiger sind, erfolgt diese Feststellung grundsätzlich zu spät. Eine Änderung des Beschaffungsgegenstands erscheint zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich zu spät und nicht mehr möglich. Folgt man jedoch der ebenfalls im Unterschwellenbereich ergangenen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 13.01.2010, Az. I-27 U 1/09), könnte der Auftraggeber die Leistung ändern und alle an der Vergabe beteiligten Bieter auffordern, ein neues, aktualisiertes Angebot abzugeben. So könnte vermieden werden, dass der öffentliche Auftraggeber etwas beschaffen muss, woran er in dieser Form gar kein Interesse mehr hat. Nach den vergaberechtlichen Grundsätzen sind Änderungen zulässig, sofern diese in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschehen.
Eine Alternative bietet die konsequente Zulassung von Nebenangeboten. Hier hätte auch nach Überzeugung des Auftraggebers bei Zulassung von Nebenangeboten eine gleichgeeignete Beschaffung zu günstigeren Konditionen erfolgen können.
Roman P. Willweber ist Referent für das Vergabewesen beim Bundesamt für Güterverkehr. Zuvor war er als Rechtsanwalt in der Sozietät BHO Legal in Köln und München tätig. Er ist spezialisiert auf das Vergaberecht. Dem DVNW und dem Vergabeblog steht er als fachlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Ein besonderer Interessensschwerpunkt liegt im internationalen Vergaberecht und dem GPA.
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