Der Auftraggeber hat die tatbestandmäßigen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nachzuweisen. Die Entscheidung gibt dem Auftraggeber wertvolle Hinweise, was er dabei im einzelnen zu beachten hat.
§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB; § 5 Abs. 3,4 VOB/B
Leitsatz
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen ausgeschrieben und den Zuschlag an Bieter A erteilt, der darauf die Arbeiten aufnahm. Bereits kurz nach Ausführungsbeginn kam es zu erheblichen Verzögerungen im Bauablauf, u.a. bedingt durch insgesamt 69 Behinderungsanzeigen des A; diese Verzögerungen machten einen fristgerechten Abschluss der Bauarbeiten mehr als unwahrscheinlich. Der AG führte die Verzögerungen auf einen unzureichenden Personaleinsatz des A zurück; mehrere vom AG mit Fristsetzungen verbundene Aufforderungen gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B waren letztlich erfolglos. Schließlich kündigte der AG dem A fristlos, was dieser nicht akzeptierte.
Der Rechtsstreit darüber wurde im folgenden vor dem erstinstanzlichen Landgericht (LG) anhängig. Nach Kündigung des A schrieb der AG die restlichen Bauarbeiten erneut aus. Günstigster Bieter war wiederum A. Darauf schloss der AG den A wegen Schlechterfüllung bei der Ausführung des früheren Auftrags aus. Dagegen wehrte sich A mit Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer (VK) wies den Nachprüfungsantrag mit dem Argument zurück, die Kündigung sei nicht offensichtlich willkürlich; alles weitere müsse das LG klären. Dagegen wandte sich A mit sofortiger Beschwerde zum OLG.
Die Entscheidung
Das OLG gibt dem AG Recht und weist den Nachprüfungsantrag des A zurück. Es teilt die Ansicht der erstinstanzlichen VK nicht, dass nur ein offensichtlich willkürliches Verhalten des AG dem Nachprüfungsantrag zum Erfolg verhelfen kann. Hier sind die Voraussetzungen für einen Ausschluss des A erfüllt, weil der AG gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zur Kündigung wegen Schlechtleistung berechtigt gewesen ist und eine wirksame Kündigungserklärung vorliegt.
Rechtliche Würdigung
Nach Ansicht des OLG kann die Neuregelung des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht zur Folge haben, dass die Vergabekammer bzw. der Vergabesenat auf eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte warten bzw. die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit u. U. langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess klären muss. Dafür sprechen insbesondere folgende Umstände: Im Nachprüfungsverfahren gilt der in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Diesem Grundsatz würde es eklatant zuwider laufen, einen monate- oder gar jahrelangen (Bau-)Zivilprozess abzuwarten bzw. ihn selbst (inzident) durchzuführen. Denn unter diesen Umständen sei bei der Prüfung des Ausschlusses eines Bauunternehmers nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB regelmäßig die Frist des § 167 Abs. 1 GWB nicht zu wahren.
Die Darlegungs- und Beweispflicht für die „Nachweislichkeit“ einer Pflichtverletzung liegt beim Auftraggeber. Bestehen begründete Zweifel, ist die Nachweislichkeit nicht gegeben. Vielmehr müssen die den Verstoß belegenden Indizien und Tatsachen einiges Gewicht haben, d.h. sie müssen der kritischen Prüfung durch ein mit der Sache befasstes Gericht standhalten und die Zuverlässigkeit des Bieters nachvollziehbar in Frage stellen. Erforderlich sind dafür konkrete, objektivierbare Anhaltspunkte für Verfehlungen, nicht jedoch eine rechtskräftige Feststellung der Pflichtverletzung.
Nach Auffassung des OLG können bei Fehlen des Tatbestandsmerkmals der Nachweislichkeit an das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB jedenfalls keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die Prüfung einer „nachweislichen“ Pflichtverletzung i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Die im Zusammenhang mit letztgenannter Norm angeführte Argumentation, es könne dem Auftraggeber mit dem Kriterium der „Nachweislichkeit“ nicht zugemutet werden, in dem langen Zeitraum zwischen der Pflichtverletzung und einer rechtskräftigen Entscheidung vertragliche Beziehungen mit dem betreffenden Unternehmen aufzunehmen, gilt erst recht für den vorliegenden Fall. Denn hier sieht sich der AG nicht nur dem Gebot eines beliebigen, potentiell unzuverlässigen Bieters gegenüber, sondern es handelt es sich um ein erneutes Gebot gerade desjenigen Unternehmens, dem er selbst kurz zuvor wegen einer seiner Auffassung nach erheblichen Pflichtverletzung bei Ausführung derselben Bauleistung gekündigt hat. Diese besondere Situation sei bei der Prüfung der vom AG vorgebrachten Begründung für den Ausschluss des A zu berücksichtigen. Danach ist der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Frage, ob die außerordentliche Kündigung des Antragsgegners berechtigt gewesen ist, in Anlehnung an das Erfordernis der „Nachweislichkeit“ in § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB – keinesfalls aber strenger – zu definieren. Danach reicht es aus, wenn der AG Indiztatsachen vorbringt, die von einigem Gewicht sind und auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basieren und die die Entscheidung des AG zum Ausschluss des Bieters als nachvollziehbar erscheinen lassen.
Das zur Kündigung führende Verhalten des Antragstellers A stellt auch eine erhebliche mangelhafte Erfüllung i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB dar. Diese liegt vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet, es sich mithin nicht um kleinere und leicht behebbare Mängel handelt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend angesichts der mit der außerordentlichen Kündigung verbundenen tatsächlichen und finanziellen Belastungen des AG erfüllt.
Entgegen der Auffassung des A bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Bauförderungspflicht des Bauunternehmers und der daraus folgenden Abhilfeverpflichtung gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B um eine wesentliche Vertragspflicht i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB handelt. Die Wesentlichkeit ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Verletzung dieser Pflicht eine Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B rechtfertigen kann.
Praxistipp
Die Möglichkeit, einen Bieter wegen einer früheren Schlechtleistung vom Vergabeverfahren auszuschließen, wurde mit § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB im seit 18. April 2016 geltenden Vergaberecht neu eingeführt. Gleichwohl gibt es mit dieser Norm in der Vergabepraxis nicht unerhebliche Probleme, da der Ausschluss des Bieters an sehr restriktive Voraussetzungen geknüpft ist (vorzeitige Beendigung bzw. Kündigung des Vertrags, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolge). Die o.g. Entscheidung hilft hier insofern weiter, da sie noch einmal deutlich festhält, dass das Nachprüfungsverfahren dem Beschleunigungsgebot des § 167 GWB unterliegt und es dem AG in aller Regel unzumutbar ist, mit der Neuausschreibung bis zum Abschluss des erfahrungsgemäß äußerst langen und zeitintensiven Zivilverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Beendigung des Vertrags abwarten zu müssen.
Michael Werner ist Rechtsanwalt und bei der DEGES GmbH in Berlin tätig. Herr Werner ist Experte im deutschen und europäischen Vergaberecht sowie im Bauvertragsrecht. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war Herr Werner langjähriger Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. und Mitglied im Deutschen Vergabe - und Vertragsausschuss des Bundes (DVA).
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