Durch die frühere, strenge Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf gerieten Wertungssysteme zunehmend in den Fokus von Nachprüfungsverfahren. Erfolglose Bieter sahen dies zuletzt zunehmend als Chance, Vergabeverfahren – mitunter auch in einem sehr späten Stadium – noch zu blockieren und nach einer Rückversetzung ihr Glück noch einmal zu probieren. Doch damit könnte nun Schluss sein!
GWB § 97 Abs. 1, 2, § 106 Abs. 3 Nr. 2, § 163
1. Der Auftraggeber eines nicht offenen Realisierungswettbewerbs nach RPW 2013 beschränkte die Zahl der Teilnehmer und gab die Auswahlkriterien in der EU-weiten Wettbewerbsbekanntmachung an. Entscheidend für die Auswahl sollte die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit einerseits und der planerisch-gestalterischen Leistungsfähigkeit andererseits sein. Beides wollte der Auftraggeber anhand von Bewerberangaben zu eingereichten Projektreferenzen bewerten. Die Bekanntmachung verwies auf zwei im Internet abrufbare Anlagen, welche die Bewertung näher erläuterten.
2. Ein rangabgeschlagener Bewerber rügte die Bewertung seines Teilnahmeantrags als intransparent, nicht hinreichend begründet und nicht überprüfbar und begehrte in einem ersten Nachprüfungsverfahren die Aufhebung des Verfahrens und Zurückversetzung in den Stand der Bekanntmachung.
Mit diesem Antrag hatte er aber keinen Erfolg, denn es fehlte so die Vergabekammer Südbayern bezüglich der Auswahlkriterien an einer vorigen Rüge. Nur der hilfsweise Antrag auf Neubewertung hatte Erfolg, da der Auftraggeber auch bei einer zwischenzeitlich erfolgten Nachbewertung zur Überzeugung der Vergabekammer teils sachfremde und unzulässige Erwägungen herangezogen habe.
3. Da keine Seite gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegte, wurde sie bestandskräftig.
4. Als der Bewerber auch im Zuge der zweiten Neubewertung nicht im weiteren Verfahren berücksichtigt wurde, reichte er erneut einen Nachprüfungsantrag ein und begehrte wie schon im ersten Nachprüfungsverfahren – in der Hauptsache die Aufhebung und Rückversetzung des Verfahrens.
Ohne Erfolg! Soweit sich der Nachprüfungsantrag auf die Unbestimmtheit und Intransparenz der Zuschlagskriterien stützte, scheiterte dies aus verschiedenen Gründen.
1. Transparenzmängel des Wertungssystems schon in der Bekanntmachung bzw. deren Anlagen hinreichend erkennbar
So war der Vortrag aus Sicht des OLG München mangels Rüge vor Ablauf der Bewerbungsfrist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB präkludiert. Zur Überzeugung des Gerichts waren die geltend gemachten Transparenzmängel nämlich schon aus der Bekanntmachung bzw. den veröffentlichten Anlagen hinreichend erkennbar:
· So sei selbst ohne rechtliche Beratung erkennbar, dass die Auswahlkriterien Originalität, Innovation, gestalterische Qualität und Übertragbarkeit der vorgenannten Aspekte auf das anstehende Projekt sehr allgemein gehalten sind. Es sei erkennbar, dass die Kriterien in keiner Weise gegeneinander abgegrenzt oder konkretisiert wurden und dass sie nicht in weitere Unterkriterien aufgeschlüsselt wurden.
· Auch, dass für die (schulnotenähnlichen) vier Bewertungsstufen von weniger gut geeignet bis hin zu besonders geeignet keine Anknüpfungspunkte mitgeteilt worden waren, war erkennbar.
· Das gleiche gilt in Bezug auf den Umstand, dass bei der vorgesehenen Bewertung durch ein Auswahlgremium subjektive Komponenten eine wichtige Rolle spielen würden und dass dies dem Auftraggeber erhebliche Bewertungsfreiräume verschaffe.
· Ebenso fiel dem Gericht zufolge ins Auge, dass bei der Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit einerseits und der planerisch-gestalterischen Leistungsfähigkeit andererseits jeweils unterschiedlich viele Referenzen gewertet werden sollten und für die Bewertung dabei auch unterschiedliche Punktesysteme zugrunde vorgesehen waren.
All diese vermeintlichen Mängel hätte der Bewerber daher bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist rügen müssen daran fehlte es hier aber.
2. Kriterien nicht sachfremd oder willkürlich: keine zweite Chance bei bestandskräftigem Vergabekammerbeschluss
Darüber hinaus hatte der Bewerber dieselben Einwände schon in dem ersten, inzwischen bestandskräftig beschiedenen Nachprüfungsantrag erfolglos erhoben. Selbst, wenn die strittigen Kriterien wenig präzise gefasst waren, wäre ein Aufgreifen von Amts wegen nur ausnahmsweise in Betracht gekommen. Die Vergaberechtsfehler hätten so schwerwiegend sein müssen, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung nicht möglich gewesen wäre. Dafür hätten die Zuschlagskriterien schon willkürlich oder sachfremd sein müssen oder das Wertungssystem so unbrauchbar, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglichte. Das verneinte der Senat hier. Alle Kritikpunkte führten nämlich nicht dazu, dass eine rechtskonforme, überprüfbare Auswahlentscheidung nicht mehr möglich sei.
Bisherige Rechtsprechung
Hinsichtlich der Transparenzanforderungen an Wertungssysteme knüpft der Senat des OLG München explizit an die Entscheidung des BGH vom 4.04.2017 (Az. X ZB 3/17) an und überträgt die dortigen Erwägungen zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Schulnotensystemen auf Realisierungswettbewerbe nach RPW 2013. Man wird also davon ausgehen können, dass umgekehrt auch seine eigenen Erwägungen zu der Rügeobliegenheit entsprechend auch in normalen Vergabeverfahren gelten.
Ob intransparente Zuschlagskriterien und Bewertungssysteme für durchschnittliche Bieter erkennbar sind und damit eine Rügeobliegenheit auslösen, wird in der Rechtsprechung bislang nicht ganz einheitlich entschieden. Ebenso wie hier das OLG München bejahte auch schon das OLG Naumburg die Erkennbarkeit (vgl. Beschluss vom 16.12.2016, Az: 7 Verg 6/16). Das OLG Düsseldorf lehnte dies hingegen zumindest in der Tendenz mit Blick auf die sich erst noch entwickelnde Rechtsprechung zu den Anforderungen an Bewertungssysteme bislang noch eher ab, ließ das im Ergebnis aber im entschiedenen Fall ausdrücklich offen (vgl. Beschluss vom 8.03.2017, Az.: Verg 39/16, ihm folgend: VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 8.06.2017, Az.: 1 VK 14/17). Allerdings gesteht auch das OLG Düsseldorf in der betreffenden Entscheidung zu, dass angesichts der breiten öffentlichen Diskussion über die vergaberechtlichen Anforderungen an Wertungssysteme ein gewisses Problembewusstsein der Bieter erwartet werden kann. Das erscheint lebensnah.
Frühe Präklusion bei Anlagen zur Bekanntmachung
Interessanterweise behandelt das Gericht auch Vergaberechtsfehler, die nicht in der Bekanntmachung selbst, sondern in im Internet abrufbaren Anlagen zu dieser enthalten sind, als Vergaberechtsfehler, die aufgrund einer Bekanntmachung erkennbar sind und nicht erst als Fehler in den Vergabeunterlagen, so dass die Präklusion schon zum Ablauf der Bewerbungsfrist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB eintrat. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beanstandungen hier den Teilnahmewettbewerb betrafen, auch sachgerecht. Aber auch darüber hinausgehend lässt sich fragen, ob nicht eigentlich seit der Vergaberechtsreform eine solch frühe Rügepräklusion generell in zweistufigen Verfahren greifen muss. Soweit Vergabeunterlagen durch einen Link bereits in der Bekanntmachung abrufbar sind, sind dort enthaltene, erkennbare Mängel schließlich schon aufgrund einer Bekanntmachung erkennbar. Es ist nicht so recht einzusehen, weshalb der Bieter hier den Ausgang eines Teilnahmewettbewerbs abwarten und sich bis zur Angebotsabgabe mit einer Rüge erkennbarer Mängel Zeit lassen können sollte. Hier bleibt die weitere Rechtsprechung abzuwarten.
Bieter sollten sich nach dieser Entscheidung nicht darauf verlassen, intransparente Auswahlkriterien noch als Trumpf aus dem Ärmel ziehen zu können, wenn alle andere Stricke reißen!
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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