Bei öffentlich beherrschten Tochtergesellschaften stellt sich häufig die Frage, ob sie selbst Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB (Einrichtung des öffentlichen Rechts) sind. Hierbei ist vor allem zu klären, ob das Tochterunternehmen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllt. Manche unterstellen insoweit, dass schon die Wahrnehmung von allgemeinen Interessen bei der Mutter(gesellschaft) ausreichen würde, das Tochterunternehmen entsprechend zu infizieren. Der EuGH ist einer solchen Infizierung bereits in seinem Mannesmann-Urteil vom 15.01.1998 (Rs. C-44/96) entgegengetreten. Was aber gilt, wenn die Mutter(gesellschaft) für die Erfüllung ihrer im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auf ihr „inhouse“ beauftragtes Tochterunternehmen angewiesen ist?
§ 99 Nr. 2 GWB; Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 RL 2014/24/EU (bzw. Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18 EG)
Leitsatz
Eine Gesellschaft, die im Alleineigentum eines öffentlichen Auftraggebers steht, dessen Tätigkeit darin besteht, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, und die sowohl Geschäfte für diesen öffentlichen Auftraggeber als auch Geschäfte auf dem wettbewerbsorientierten Markt abwickelt, ist als Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des EU-Vergaberechts anzusehen, sofern die Tätigkeiten dieser Gesellschaft erforderlich sind, damit dieser öffentliche Auftraggeber seine Tätigkeit ausüben kann, und sich diese Gesellschaft zur Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt.
Sachverhalt
Der EuGH hatte zu entscheiden, ob eine 100%-ige Tochtergesellschaft eines staatseigenen Eisenbahnunternehmens, das zweifelsfrei öffentlicher Auftraggeber ist, ihrerseits als Auftraggeber dem europäischen Vergaberecht unterfällt. Der Gesellschaftszweck des Tochterunternehmens besteht vor allem in der Herstellung und Instandhaltung von Lokomotiven, Waggons sowie Triebfahrzeugen. Knapp 90% ihrer Umsätze erzielt die Tochtergesellschaft inhouse mit ihrem Mutterunternehmen.
Die Entscheidung
Die Luxemburger Richter stellen klar, dass die funktionell und weit auszulegende Einrichtung des öffentlichen Rechts drei Voraussetzungen kumulativ erfordert (Rdnr. 30 f.).
Erstens: Die Einrichtung muss über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen. Zweitens: Sie muss (a) von der öffentlichen Hand oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts überwiegend finanziert werden, oder (b) hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegen oder (c) deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane müssen mehrheitlich aus Mitgliedern bestehen, die von der öffentlichen Hand oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt wurden. Drittens: Die Einrichtung muss zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen (Rdnr. 29).
Der EuGH bestätigt erneut, dass auch die dritte Voraussetzung von demjenigen Unternehmen erfüllt werden muss, dessen öffentliche Auftraggebereigenschaft geprüft wird, und von keinem anderen, selbst wenn es sich um eine Mutter(gesellschaft) handelt, für die Dienstleistungen erbracht oder an die Waren geliefert werden. Ein Unternehmen kann daher nicht bereits dann öffentlicher Auftraggeber sein, nur weil es von einem solchen gegründet wurde oder seine Tätigkeiten mit dessen Geldmitteln finanziert werden (Rdnr. 34).
Im vorliegenden Fall spricht nach Ansicht der Luxemburger Richter aber einiges dafür, dass die Leistungen des Tochterunternehmens, insbesondere die Herstellung und Instandhaltung von Lokomotiven und Schienenfahrzeugen sowie die Erbringung von entsprechenden Dienstleistungen für die staatliche Eisenbahngesellschaft, offenkundig erforderlich sind, damit die Staatseisenbahn ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfüllen kann (Rdnr. 38 f.).
Vor diesem Hintergrund bleibt es ohne Bedeutung, dass die Tochtergesellschaft nicht nur solche Tätigkeiten ausübt, die der Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben dienen, sondern auch auf dem wettbewerbsorientierten Markt Leistungen anbietet (Rdnr. 40 f.). Nach Ansicht der Luxemburger Richter sprechen somit gute Gründe dafür, dass das Tochterunternehmen selbst im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllt (Rdnr. 39).
Zum Merkmal der Nichtgewerblichkeit hat der EuGH seine bislang angewandten Abgrenzungskriterien wiederholt. Danach ist eine nichtgewerbliche Tätigkeit wenig wahrscheinlich, wenn das Tochterunternehmen (a) unter normalen Marktbedingungen tätig ist, (b) Gewinnerzielungsabsicht hat und (c) die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Verluste selbst trägt (Rdnr. 44). Es sind daher immer alle rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu prüfen, ob die Unternehmenstätigkeiten in einer Wettbewerbssituation ausgeübt werden und insbesondere festzustellen, ob sich das Unternehmen von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen konnte (Rdnr. 46).
Rechtliche Würdigung
Der EuGH hat schon in seinem Mannesmann-Urteil die Ausgliederung von Tochtergesellschaften ermöglicht, denen gewerbliche Aufgaben übertragen werden. Solche Tochterunternehmen teilen somit nicht automatisch die Eigenschaft ihrer als öffentliche Auftraggeber einzuordnenden Mütter. Hingegen können ausgegliederte Tochtergesellschaften ihrer Rechtsnatur nach dann nicht anders als ihre Mütter beurteilt werden, wenn sie tatsächlich deren im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfüllen, z.B. im Rahmen von Inhouse-Geschäften. In ähnlicher Form hat dies auch bereits das OLG Düsseldorf in seinem g.e.b.b.-Beschluss vom 30.4.2003 (Az.: VII-Verg 67/02) bestätigt. Insoweit stellen die Luxemburger Richter also klar, dass öffentliche Auftraggeber, die Tochterunternehmen für ihre im Allgemeininteresse liegende Aufgabenerfüllung gründen und deshalb inhouse beauftragen, diese quasi indirekt mit dem Allgemeininteresse infizieren können.
Praxistipp
Bei der Gründung bzw. Ausgliederung von Tochterunternehmen durch öffentliche Auftraggeber sind die Merkmale des Allgemeininteresses und der Nichtgewerblichkeit weiter die wichtigsten Voraussetzungen, wenn es gilt, die öffentliche Auftraggebereigenschaft nach § 99 Nr. 2 GWB zu beurteilen. So dürfte am Vorliegen des Allgemeininteresses bei einer Tochtergesellschaft bspw. dann kein Zweifel bestehen, wenn deren Unternehmenszweck nahezu ausschließlich in der Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben der Mutter besteht. Das vielfach verfolgte Ziel, die öffentliche Auftraggeberschaft von Tochterunternehmen einerseits vermeiden und andererseits diese möglichst vergaberechtsfrei im Wege von Inhouse-Geschäften beauftragen zu wollen, fordern die Rechtsgestaltung in jedem Einzelfall heraus.
Holger Schröder
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss „Fachanwalt für Vergaberecht“ der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
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