Fordert ein Auftraggeber einen Mindestjahresumsatz als Mindestanforderung an die Eignung, so ist diese Entscheidung auch dann zu dokumentieren und zu begründen, wenn der Mindestjahresumsatz das Doppelte des geschätzten Auftragswertes nicht überschreitet.
Schreibt ein öffentlicher Auftraggeber einen Dienstleistungsvertrag mit einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten oder mit unbegrenzter Laufzeit aus, so ist der hiernach berechnete Auftragswert Grundlage für den Mindestjahresumsatz im Sinne von § 45 Abs. 2 Nr. 1 VgV. Dies kann dazu führen, dass der doppelte Mindestjahresumsatz das Achtfache des jährlichen Auftragsvolumens beträgt. Dies soll nach Entscheidung des OLG Jena indes grundsätzlich nicht zu beanstanden sein. Der als Mindestanforderung an die Eignung geforderte Mindestjahresumsatz muss jedoch stets im Vergabevermerk dokumentiert und begründet werden. Fehlt eine solche Begründung, ist die Anforderung unwirksam.
Leitsätze
- Es ist nicht zu beanstanden, wenn der geforderte Mindestjahresumsatz bei Dienstleistungsaufträgen mit unbestimmter Laufzeit nicht doppelt, sondern um ein Vielfaches so hoch ist, wie der jährliche Auftragswert.
- Die Forderung eines Mindestjahresumsatzes in Höhe des doppelten Auftragswerts ist nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VgV zu begründen und zu dokumentieren. Fehlt die Dokumentation und Begründung, ist die Mindestanforderung nicht wirksam gefordert.
§ 122 GWB; § 45 VgV
Sachverhalt
Der Antragsgegner (AG) schrieb einen unbefristeten, mit einer Dreimonatsfrist kündbaren, in sechs Lose unterteilten öffentlichen Auftrag „Separatwachdienst, Empfangsdienst, Streifendienst und Revierdienst für öffentliche Liegenschaften“ im Wege des offenen Verfahrens europaweit aus. Für das streitgegenständliche Los 4 schätzte der AG den Auftragswert gemäß § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV (48-facher Monatswert) auf ca. 7.290.000 . Als vom Bieter als Mindestanforderung an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu erfüllenden jährlichen Mindestumsatz legte der AG in der Bekanntmachung 14.500.000 fest.
Dies beanstandete ein Unternehmen der bisherige Auftragnehmer vor Ablauf der Angebotsfrist als vergaberechtswidrig. Er meint, der AG habe die Anforderung gezielt aufgestellt, um ihn aus dem Wettbewerb herauszuhalten. Außerdem sei der Mindestumsatz unangemessen hoch, nicht zuletzt aufgrund der kurzen Kündigungsfrist von 3 Monaten. Da der AG der Rüge nicht abhalf, legte der Unternehmer (im Folgenden ASt) einen Nachprüfungsantrag bei der VK Thüringen ein.
Die VK Thüringen gab dem Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 29.05.2017 statt (Entscheidung im Volltext hier abrufbar). Der vom AG geforderte Mindestumsatz stehe in keinem angemessenen Verhältnis mit dem Auftragsgegenstand, § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB, und verstoße zudem gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 1 GWB.
Zwar erlaube es § 45 Abs. 1 Nr. 1 VgV dem AG, zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit einen Mindestjahresumsatz zu fordern. Dieser dürfe nach § 45 Abs. 2 Satz 1 VgV das Zweifache des geschätzten Auftragswertes nur dann überschreiten, wenn aufgrund der Art des Auftragsgegenstands spezielle Risiken bestehen. Nach Ansicht der VK sei bei der Bestimmung des zweifachen Auftragswertes indes eine annualisierte Betrachtungsweise geboten. Der nach § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV ermittelte Auftragswert sei nicht geeignet und würde dem AG erlauben, überzogene Eignungsanforderungen aufzustellen. Im vorliegenden Fall fordere der AG das Achtfache des jährlichen Auftragsvolumens als Mindestjahresumsatz. Dies sei vergaberechtlich unzulässig.
Die Entscheidung
Gegen diese Entscheidung legte der AG sofortige Beschwerde zum OLG Jena ein. Dieses wies das Rechtsmittel zwar zurück, begründete die Entscheidung jedoch im wesentlichen Punkt anders als die Vergabekammer. Das Zweifache des Auftragswertes bestimme sich nicht nach einem Jahreswertbetrag, sondern anhand des geschätzten Auftragswertes und damit nach § 3 VgV. Werde ein Dienstleistungsauftrag ohne zeitliche Begrenzung vergeben, sei der 48-fache Monatswert als Auftragswert anzusetzen. Dass dies dazu führe, dass ein Vielfaches des jährlichen Auftragswertes als Mindestumsatz gefordert werden könne, sei hinzunehmen.
Von der Frage der richtigen Bezugsgröße sei aber die Frage zu unterscheiden, ob der im Einzelfall geforderte Mindestumsatz rechtmäßig war. § 45 Abs. 2 VgV erlaube es nämlich gerade nicht, schematisch das Doppelte des geschätzten Auftragswertes als Mindestjahresumsatz zu fordern. Dies sei nur zulässig, um sicher[zu]stellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen, § 45 Abs. 1 VgV. Der doppelte Auftragswert (vorbehaltlich besonderer Umstände) stelle die äußere Grenze einer rechtmäßigen Ermessensausübung dar. Der AG müsse in jedem Falle die Angemessenheit im Verhältnis zum Gegenstand des Auftrags sicherstellen, auch wenn er sich im vorgegebenen Rahmen bewege.
Der Vergabevermerk des AG lasse jedoch nicht erkennen, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen er die Festlegung des Mindestjahresumsatzes vorgenommen hatte. Dies sei vergaberechtswidrig. Insbesondere gestatte § 45 Abs. 2 Satz 1 VgV es dem AG nicht per se im Rahmen eines indendierten Ermessens, stets das Doppelte des Auftragswertes als Mindestjahresumsatz zu fordern. Insbesondere könne nicht aus § 45 Abs. 2 S. 2 VgV, wonach die Forderung eines das Doppelte des Auftragswerts übersteigenden Mindestjahresumsatzes einer besonderen Begründung bedarf, geschlossen werden, ohne Weiteres die Forderung nach einem Mindestjahresumsatz in Höhe des doppelten Auftragswerts zulässig sei. Da eine Ermessenausübung und die dazugehörige Dokumentation und Begründung fehlen, sei die Anforderung vergaberechtswidrig und unwirksam. Bei der Festlegung der Eignungskriterien, sei sowohl dem vergaberechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch dem Gebot der Mittelstandsfreundlichkeit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils zu vergebenden Auftrags Rechnung zu tragen. Solche Erwägungen waren indes für das OLG nicht erkennbar.
Rechtliche Würdigung
Der Entscheidung des OLG Jena sind zwei Kernaussagen zu entnehmen: Zum einen soll es zulässig sein, den geforderten Mindestjahresumsatz nicht anhand des jährlich anfallenden Auftragsvolumens, sondern anhand des geschätzten Auftragswertes zu bemessen. Dies kann dazu führen, dass insbesondere bei unbefristeten Dienstleistungsverträgen oder zeitintensiven Baumaßnahmen Mindestjahresumsätze gefordert werden können, welche das tatsächliche jährliche Auftragsvolumen um ein Vielfaches übersteigen. Zum anderen darf eine solche Mindestanforderung an die Eignung der Bieter/Bewerber nicht ohne auftragsbezogene Dokumentation und Ermessensausübung erfolgen. Ohne tragfähige Begründung, warum der geforderte Mindestumsatz für die Prognoseentscheidung, ob der Bieter/Bewerber über die wirtschaftlichen Kapazitäten zur Ausführung des Auftrages verfügt, relevant ist, ist die Eignungsanforderung vergaberechtswidrig und unwirksam.
Praxistipp
Hinsichtlich des zweiten Punktes ist der Entscheidung des OLG Jena uneingeschränkt zu folgen. Jede Mindestanforderung an die Eignung der Bieter/Bewerber wirkt sich per se wettbewerbsbeschränkende aus, so dass eine solche Entscheidung der Rechtfertigung und damit der Begründung und Dokumentation bedarf. Fehlt eine solche, ist die Eignungsanforderung unwirksam. Auftraggeber werden zu berücksichtigen haben, dass nicht pauschal und ohne Begründung der doppelte Auftragswert als Mindestumsatz gefordert werden darf, sondern vielmehr jedwede Mindestanforderung an die Eignung der Bieter/Bewerber entsprechend § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB nach § 8 VgV zu begründen und dokumentieren ist.
Hinsichtlich des ersten Punktes der Entscheidung jedenfalls Zweifel angebracht, ob es von der Vertragsgestaltung des Auftraggebers der damit verbundenen Auftragswertberechnung abhängen soll, in welcher Höhe ein Mindestjahresumsatz zulässigerweise gefordert werden kann. Jedenfalls geht mit einem solchen Vorgehen eine erhebliche Marktverengung einher. Ob sich dies positiv auf die Wirtschaftlichkeit einer Beschaffung auswirkt, darf stark bezweifelt werden. Abzuwarten ist schließlich, ob sich weitere Vergabesenate dieser Auffassung anschließen werden. Gegebenenfalls muss diese Frage endgültig vom BGH entschieden werden.
Dr. Oskar Maria Geitel
Dr. Oskar Maria Geitel ist Partner, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Rechtanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Berlin. Er berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit stellt die rechtliche Begleitung von Bauvorhaben bezüglich aller Fragen des Baurechts dar, welche sich unmittelbar an die Begleitung des Vergabeverfahrens anschließt. Herr Geitel ist Kommentarautor, Lehrbeauftragter für Vergaberecht und Dozent bei diversen Bildungseinrichtungen.
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