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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 17/05/2018 Nr. 37033

Keine Zweckmäßigkeitskontrolle bei Hilfsmittelausschreibungen gesetzlicher Krankenkassen (VK Bund, Beschl. v. 03.03.2018 – VK 2-24/18)

Nach § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB können Krankenkassen, soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, Verträge über Hilfsmittelversorgungen ausschreiben. § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V bestimmt, dass bei Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil Ausschreibungen nicht zweckmäßig sind. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Bund (Beschluss v. 3. April 2018 VK 2 24/18) befasst sich mit dem Verhältnis zwischen den vergaberechtlichen und den sozialrechtlichen Regelungen bei Hilfsmittelausschreibungen gesetzlicher Krankenkassen.

§ 127 Abs. 1 SGB V

Leitsatz (nicht amtlich)

Die Entscheidung einer gesetzlichen Krankenkasse für eine Hilfsmittelausschreibung unterliegt oberhalb der EU-Schwellenwerte keiner Zweckmäßigkeitskontrolle gemäß § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Sachverhalt

Eine gesetzliche Krankenkasse schreibt den Abschluss von Rahmenvereinbarungen nach § 127 Abs. 1 SGB V mit bis zu drei Bietern über eine Versorgung ihrer Versicherten mit Hilfsmitteln (Geräte, Zubehör, Verbrauchsmaterialien und begleitenden Dienstleistungen) EU-weit im Offenen Verfahren aus. Die streitgegenständliche Versorgung erfolgt im Allgemeinen im Anschluss an einen stationären Aufenthalt des Versicherten, bei dem dieser durch den behandelnden Krankenhausarzt bereits im Krankenhaus auf ein konkretes Produkt eingestellt wurde und dasselbe Produkt zwingend zur Weiterversorgung im ambulanten Bereich eingesetzt werden muss. Die Ausschreibung ist daher als Portfolio-Ausschreibung gestaltet, bei der der Auftragnehmer das im Krankenhaus vom behandelnden Arzt ausgewählte und an die Bedürfnisse des Versicherten angepasste Gerät zu liefern hat.

Der Antragsteller beanstandet u.a., dass die Krankenkasse bei der Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 SGB V den hohen Dienstleistungsanteil der Versorgung nicht berücksichtigt habe. Zudem würde die von der Krankenkasse aufgestellte Wertungsmatrix gegen § 127 Abs. 1b Satz 3 SGB V verstoßen, weil nicht sichergestellt sei, dass qualitative Aspekte zu mindestens 50 Prozent in die Zuschlagsentscheidung einfließen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag zurück. Oberhalb der EU-Schwellenwerte, d.h. im Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts, bleibe kein Raum für Zweckmäßigkeitserwägungen in Bezug auf die Durchführung einer Ausschreibung. Auch ein Verstoß gegen § 127 Abs. 1b Satz 3 SGB V liege nicht vor, da in den Vergabeunterlagen sowohl eine Preis- als auch eine Qualitätsbewertung hinsichtlich der begleitenden Nachsorgedienstleistungen festgelegt worden sei. In der Leistungsbeschreibung seien zudem bereits hohe qualitative Mindestanforderungen festgelegt worden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass bei der streitgegenständlichen Portfolio-Ausschreibung aufgrund der Produktauswahl durch den Krankenhausarzt auf der Produktebene kein Qualitätswettbewerb eröffnet sei.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung liegt auf der Linie der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2016 (Verg 26/16) hatte das Oberlandesgericht festgestellt, dass § 127 Abs. 1 SGB V durch das EU-Vergaberecht überlagert wird. Oberhalb der EU-Schwellenwerte müssen Hilfsmittelbeschaffungen von gesetzlichen Krankenkassen daher so die Worte des Vergabesenats ohne Wenn und Aber gemäß dem Vergaberechtsregime des Vierten Teils des GWB und den EU-Vergaberichtlinien ausgeschrieben werden. Die Durchführung einer Hilfsmittelausschreibung darf insoweit nicht von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig gemacht werden. Der Gesetzgeber hat diese Ausschreibungspflicht durch die mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz vom 4. April 2017 in § 127 Abs. 1 Satz 7 SGB eingefügte Regelung klargestellt.

Wie eine weitere aktuelle Entscheidung des SG Reutlingen (Beschluss vom 28.12.2017 S 1 KR 2858/17 ER) zeigt, scheitern Unternehmen auch vor den Sozialgerichten mit dem Einwand der fehlenden Zweckmäßigkeit einer Hilfsmittelausschreibung. Das SG Reutlingen sah sich bereits als unzuständig an, da nach §§ 69 Abs. 3 SGB, 155 GWB die Vergabe von öffentlichen Aufträgen der Nachprüfung durch die Vergabekammern unterliege.

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Praxistipp

Im Oberschwellenbereich müssen Krankenkassen ihren Bedarf an Hilfsmitteln und begleitenden Dienstleistungen grundsätzlich durch Ausschreibungen decken. Alternativ können sie sich für ein ebenfalls vergaberechtskonformes Open-House-Modell entscheiden (EuGH, Urteil v. 2. Juni 2016 C-410/14 Dr. Falk Pharma). Im Falle einer Ausschreibung kann die angemessene Berücksichtigung qualitativer Aspekte i.S.d. § 127 Abs. 1b Satz 3 SGB V sowohl in der Leistungsbeschreibung als auch im Rahmen der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung erfolgen. Trotz der speziellen sozialrechtlichen Vorgaben bleibt den Krankenkassen auch bei Ausschreibungen für Hilfsmittelversorgungen damit Spielraum, die Beschaffung entsprechend ihren Anforderungen an die Versorgung der Versicherten zu gestalten. Angreifbar sind die Festlegungen einer Krankenkasse aber z.B. dann, wenn diese den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen nicht genügen, insbesondere die Leistungsanforderungen und Bewertungsvorgaben nicht hinreichend bestimmt und transparent ausgestaltet sind.

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Dr. Tobias Schneider

Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.

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