Die Festlegung des Beschaffungsgegenstands unterliegt vergaberechtlichen Grenzen. Die Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen müssen durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sein, nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe müssen angegeben und die Bestimmung muss willkürfrei getroffen worden sein. Eine aktuelle Entscheidung des OLG München befasst sich mit der Frage, was ein Auftraggeber tun muss, damit eine zunächst nicht hinreichend dokumentierte Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts einem Angriff im Nachprüfungsverfahren standhält.
§ 167 GWB, § 8 VgV
Leitsatz (nicht amtlich)
Die Heilung von Dokumentationsmängeln hinsichtlich der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts erfordert, dass der Auftraggeber eine ausreichende Abwägung der zunächst nicht berücksichtigten Informationen und Erkenntnisse mit seinen bisherigen Erwägungen anstellt. Der Auftraggeber muss eine neue und ergebnisoffene Bewertung aller relevanten Aspekte anstellen.
Sachverhalt
Der Auftraggeber schreibt die Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen aus. Der bei den Straßenbaumaßnahmen der staatlichen Bauämter anfallende teer- und pechhaltige Straßenaufbruch soll in einer geeigneten Verwertungsanlage thermisch verwertet werden. Der Antragsteller beanstandet, dass die Verpflichtung zur vollständigen thermischen Verwertung nicht im Einklang mit den Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes stehe. Es handele sich nicht um die umweltschonendste Maßnahme. Es müsse zumindest gestattet sein, den Straßenaufbruch im Deponiebau verwerten zu können.
In der Vergabeakte ist nicht dokumentiert, aufgrund welcher Erwägungen und unter Berücksichtigung welcher Aspekte sich die Vergabestelle auf die thermische Verwertung als einzig zulässige Maßnahme festgelegt hat. Im Nachprüfungsverfahren geht der Auftraggeber auf die Argumente des Antragstellers ein. Er legt dar, aus welchen Gründen er seine Festlegung bei einer Abwägung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Verwertungsmethoden für vertretbar erachtet.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer hatte den Nachprüfungsantrag mit Verweis auf das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht München der sofortigen Beschwerde des Antragstellers statt und hebt die Entscheidung der Vergabekammer auf.
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 8.2.2011 – X ZB 4/10) stellt das Oberlandesgericht fest, dass nicht jeder Dokumentationsmangel zur Notwendigkeit der Anordnung der Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte führe, weil andernfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könne. Eine Heilung von Dokumentationsmängeln sei möglich, wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachhole und Gründe dartue, die er nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen kann.
Dies sei aber dann anders zu beurteilen, wenn zu besorgen sei, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Beide Möglichkeiten der Verwertung seien nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz vertretbare Optionen. Im Zusammenhang mit der vorgesehenen thermischen Verwertung sei zu berücksichtigen, dass hierfür ein Transport zu einer Anlage in den Niederlanden erforderlich sei, was entsprechende Umweltfolgen nach sich ziehe. Inhaltlich eingehender geprüft werden müsse auch der Aspekt, dass die thermische Verwertung vor Ort zu weiteren Emissionen führe und welcher Energieeinsatz nötig sei, um bestimmte Inhaltsstoffe zu beseitigen und stattdessen nutzbares Material zu gewinnen.
Der Senat gibt dem Auftraggeber auf, das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Vorgaben für seine Beschaffungsmaßnahme zu entscheiden.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG München zeigt, dass Vergabestellen nicht darauf spekulieren sollten, mit dem Totschlagargument der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers jeden gegen die konkrete Festlegung des Beschaffungsgegenstands gerichteten Nachprüfungsantrag abschmettern zu können. Zwar geht das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers im Grundsatz weit. Das vom OLG Koblenz (Beschl. v. 5.9.2002 – Verg 2/02) im Zusammenhang mit einer Schienenverkehrsausschreibung formulierte Bild, dass die Ausstattung der Zugtoiletten mit goldenen Armaturen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fall für die Aufsichtsbehörde oder den Rechnungshof, vergaberechtlich jedoch nicht zu beanstanden ist, gilt nach wie vor. Ebenso gelten aber auch die insbesondere vom OLG Düsseldorf herausgearbeiteten vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers. Danach muss die Bestimmung der Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sein, nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe müssen angegeben, die Bestimmung muss willkürfrei getroffen worden, die angegebenen Gründe müssen tatsächlich vorhanden sein und die Bestimmung darf andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.6.2017 – Verg 53/16; Beschl. v. 14.9.2016 – Verg 10/12; Beschl. v. 27.6.2012 – Verg 7/12).
Nachdem das OLG München keine hinreichende Dokumentation der Gründe für die Festlegung des Beschaffungsgegenstands in der Vergabeakte finden konnte, kam es darauf an, ob es dem Auftraggeber gelungen war, diesen Mangels im Nachprüfungsverfahren zu heilen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 8.2.2011 – X ZB 4/10) und des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 9.5.2018; Beschl. v. 21.10.2015 – Verg 28/14) bejaht das OLG München im Grundsatz die Heilungsmöglichkeit, lehnt im konkreten Fall aber eine Heilung aufgrund der nicht vollständig geklärten Sachverhaltsfragen und der seiner Meinung nach nicht ausreichenden Abwägung aller relevanten Aspekte im Ergebnis ab.
Praxistipp
Die Rechtsprechung zur Heilung von Dokumentationsmängeln geht auf das im Nachprüfungsverfahren geltende Beschleunigungsgebot zurück. Ein Vergabeverfahren soll daher dann nicht zurück auf Start gesetzt werden, wenn es aufgrund der zwischenzeitlichen Heilung des Dokumentationsmangels in wettbewerbskonformer Weise fortgeführt werden kann.
Hieran hatte das OLG München offenkundig Zweifel, da es keine vollständige Klärung der Sachverhaltsfragen erkennen konnte und die Gefahr einer bloß ergebnisorientierten Bewertung der Tatsachen sah. Auch im vom OLG München entschiedenen Fall hätte der Auftraggeber seine Ausschreibung möglicherweise noch retten können, wenn er sich im Rahmen seines Vortrags im Nachprüfungsverfahren mit den vom Antragsteller vorgetragenen Argumenten vertiefter auseinandergesetzt und dabei einen stärkeren Fokus auf eine ergebnisoffene Abwägung mit seiner bisherigen Einschätzung gelegt hätte.
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
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