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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 20/08/2018 Nr. 38125

OLG Düsseldorf gibt bisherige Rechtsprechung zur Zweckmäßigkeitskontrolle bei Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1 SGB V auf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.6.2018 – VII Verg 59/17)

EntscheidungNach § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V können Krankenkassen, soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, Verträge über Hilfsmittelversorgungen ausschreiben. § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V bestimmt, dass u.a. bei Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil Ausschreibungen nicht zweckmäßig sind. In seiner Entscheidung vom 27. Juni 2018 trifft der Vergabesenat des OLG Düsseldorf unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung grundlegende Aussagen zum Verhältnis zwischen den vergaberechtlichen und sozialrechtlichen Regelungen bei Hilfsmittelausschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen.

§ 127 SGB V, § 51 Abs. 3 SGG i.V.m. § 69 Abs. 3 SGB V, § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit mit diesem die Unzweckmäßigkeit einer Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 SGB V geltend gemacht wird.
  2. Die Regelung in § 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 SGB V ist keine vergaberechtliche Vorschrift, soweit es um die der Ausschreibung vorgelagerten Zweckmäßigkeitserwägungen geht. An seiner bisherigen Rechtsprechung, dass § 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 SGB V im Oberschwellenbereich durch das GWB-Vergaberechtsregime und die EU-Vergaberichtlinien überlagert wird, hält der Senat nicht mehr fest.
  3. Bei einer Hilfsmittelausschreibung, bei der dem Dienstleistungsanteil eine nicht nur untergeordnete Bedeutung zukommt, können qualitative Aspekte im Sinne des § 127 Abs. 1b Satz 3 SGB V jedenfalls dadurch angemessen berücksichtigt werden, dass in der Leistungsbeschreibung umfangreiche Qualitätsanforderungen in Bezug auf die Dienstleistungen aufgestellt werden.

Sachverhalt

Eine gesetzliche Krankenkasse schreibt Rahmenverträge zur Versorgung ihrer Versicherten mit Schlaftherapiegeräten und zugehörigen Dienstleistungen aus. Der Zuschlag soll auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, das anhand der Kriterien Preis (90%) und Qualität (10%), letzteres konkretisiert durch Unterkriterien, ermittelt werden soll. In der Leistungsbeschreibung fordert die Krankenkasse, dass die gelieferten Schlaftherapiegeräte den Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V entsprechen müssen. Hinsichtlich der zu erbringenden Dienstleistungen stellt sie in der Leistungsbeschreibung verschiedene qualitative Anforderungen u.a. zur Beratung, Geräteinweisung und Geräteanpassung sowie zu den Liefer- und Servicezeiten auf.

Der Antragsteller beanstandet u.a., dass die Krankenkasse bei der Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 SGB V den hohen Dienstleistungsanteil der Ausschreibung außer Betracht gelassen hat. Zudem habe die Krankenkasse entgegen § 127 Abs. 1b SGB V andere Kriterien als den Preis nicht ausreichend berücksichtigt.

Die Entscheidung

Soweit der Antragsteller die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung beanstandet, hält der Senat den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig. Es sei bereits zweifelhaft, ob der Antragsteller insoweit ein Interesse am Auftrag habe. Denn sein Rechtsschutzziel sei auf eine Verhinderung der Ausschreibung gerichtet. Der Antragsteller wolle seine Leistungen nur im Rahmen von Verträgen nach § 127 Abs. 2, 2a SGB V erbringen, die jedoch keine öffentlichen Aufträge im Sinne von § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB darstellten.

Jedenfalls mache der Antragsteller aber insoweit keine Verletzung von Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend. Der Senat stellt ausdrücklich fest, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 21.12.2016 VII-Verg 26/16, ebenso zuletzt VK Bund, Beschluss 3.3.2018 VK 2-24/18, hierzu Vergabeblog vom 17/05/2018, Nr. 37033), nach der für Zweckmäßigkeitserwägungen gemäß § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V oberhalb der EU-Schwellenwerte aufgrund der Überlagerung durch das Vergaberechtsregime des 4. Teils des GWB und der EU-Vergaberichtlinien kein Raum bleibe, nicht mehr festhalte. Auch aus der neuen Regelung des § 127 Abs. 1 Satz 7 GWB sei eine solche Überlagerung nicht herzuleiten. Die Vorgabe, dass öffentliche Aufträge mit einem Auftragswert oberhalb der EU-Schwellenwerte unter Anwendung des GWB-Vergaberegimes zu vergeben seien, habe nur deklaratorischen Charakter. Die Regelungen in § 127 Abs.1 Satz 1 und Satz 6 SGB V seien keine vergaberechtlichen Vorschriften, sondern beträfen der Ausschreibung vorgelagerte Zweckmäßigkeitserwägungen. Zudem würden sie nicht den Schutz von Bietern bezwecken. Denn der Verzicht auf eine Ausschreibung im Falle ihrer Unzweckmäßigkeit diene allein dem Interesse der Allgemeinheit und der Versicherten an einer wirtschaftlichen und qualitätsvollen Versorgung.

In Bezug auf die Rüge der Zuschlagskriterien sei der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, aber unbegründet. Zwar dürfe nach § 127 Abs. 1b Satz 2 SGB V der Preis nicht das alleinige Zuschlagskriterium sein. Nach § 127 Abs. 1b Satz 4 SGB V könne die angemessene Berücksichtigung qualitativer Gesichtspunkte jedoch nicht nur im Rahmen der Zuschlagskriterien, sondern auch im Rahmen der Leistungsbeschreibung erfolgen. Aus dem Umstand, dass den Verträgen nach § 127 Abs. 1 Satz 3 SGB V mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte zugrunde zu legen sind, ergebe sich, dass sich der von § 127 Abs. 1b SGB V gewollte Qualitätswettbewerb nur im über den Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses liegenden Qualitätsbereich abspielen könne. Zwar gingen die von der Krankenkasse für die Schlaftherapiegeräte gestellten Anforderungen nicht über die Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses hinaus. Die Leistungsbeschreibung enthalte jedoch umfangreiche Qualitätsanforderungen in Bezug auf die Dienstleistungen, die nach dem Vortrag der Antragstellerin den Leistungsschwerpunkt der Ausschreibung darstellen würden. Die Anforderungen aus § 128 Abs. 1b SGB V seien daher erfüllt.

Rechtliche Würdigung

Durch die ausdrückliche Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zur Zweckmäßigkeitskontrolle im Rahmen des § 127 Abs. 1 SGB V setzt der Vergabesenat einen ersten Akzent unter der neuen Vorsitzenden Frau Dr. Maimann (Vergabeblog vom 24/08/2018, Nr. 37838). Zwar ändert die jetzt vom Vergabesenat vertretene Auffassung, dass sich die Zweckmäßigkeitserwägungen im Vorfeld eines (möglichen) Vergabeverfahrens abspielen, im Ergebnis nichts daran, dass sich ein Antragsteller im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht mit Erfolg auf eine vermeintliche Unzweckmäßigkeit der Ausschreibung berufen kann. Wie auch der Senat in seiner Entscheidung feststellt, hält eine große Anzahl von Sozialgerichten in dieser Frage aber aufgrund § 51 Abs. 3 SGG i.V.m. § 69 Abs. 3 SGB V bislang den Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht für eröffnet. Die bisherige Rechtsprechung des Senats hatte daher im Ergebnis zur Folge, dass ein Antragsteller weder vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen noch vor den Sozialgerichten mit dem Einwand der fehlenden Zweckmäßigkeit der Ausschreibung gehört werden konnte.

Nach der neuen Rechtsprechung des Senats unterfällt die Frage der Zweckmäßigkeit der Ausschreibung als Frage im Vorfeld des Vergabeverfahrens nicht mehr der Verweisung aus § 51 Abs. 3 SGG i.V.m. § 69 Abs. 3 SGB V. Jedenfalls nach Auffassung des Senats ist damit der Weg für eine sozialgerichtliche Kontrolle der Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 127 Abs. 1 Satz 1 und 6 SGB V frei.

In Bezug auf die Berücksichtigung der Qualitätsanforderungen stellt die Entscheidung klar, dass diese sowohl auf Ebene der Zuschlagskriterien als auch auf der Leistungsbeschreibung in die Ausschreibung einfließen können. Da die Dienstleistungen jedenfalls nicht von nur untergeordneter Bedeutung waren, genügte dem Senat die Festlegung umfangreicher Qualitätsanforderungen für den Dienstleistungsanteil und die Vorgabe der Einhaltung der Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses in Bezug auf die Schlaftherapiegeräte.

Praxistipp

Die neue Rechtsprechung des Senats ändert nichts daran, dass gesetzliche Krankenkassen im Oberschwellenbereich ihren Bedarf auch zukünftig entweder durch Ausschreibungen oder im Wege eines vergaberechtskonformen Open-House-Modells decken müssen.

Bieter, die meinen, dass die Vergabe im Wege der Ausschreibung beispielsweise aufgrund eines hohen Dienstleistungsanteils des Vertrags gemäß § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V nicht zweckmäßig ist, können aber zukünftig versuchen, diesen Einwand unter Berufung auf die Rechtsprechungsänderung des Vergabesenats des OLG Düsseldorf bei den Sozialgerichten zu platzieren. Ob die Sozialgerichte die neue Rechtsprechung des OLG Düsseldorf aufgreifen und sich zukünftig zu einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit berufen fühlen, bleibt abzuwarten.

Für Beanstandungen hinsichtlich der vergaberechtskonformen Ausgestaltung der Ausschreibung bleiben in jedem Fall die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen zuständig. Bieter müssen daher unter Umständen parallel vor den Nachprüfungsinstanzen und den Sozialgerichten vorgehen, wenn sie eine Hilfsmittelausschreibung sowohl unter vergaberechtlichen als auch sozialrechtlichen Aspekten angreifen wollen.

In Bezug auf die Frage der angemessenen Berücksichtigung von qualitativen Aspekten nach § 127 Abs. 1b Satz 3 SGB V lässt der Senat ausdrücklich offen, ob die Festlegung von Qualitätsanforderungen für den Dienstleistungsanteil auch dann ausreichen kann, wenn die Dienstleistungen im Rahmen des Vertrags nur von untergeordneter Bedeutung sind. Der Senat verweist beispielhaft auf Ausschreibungen für aufsaugende Inkontinenzmittel oder ähnlich einfach anzuwendende Hilfsmittel. Bei Ausschreibungen für derartige Hilfsmittel sollten Auftraggeber daher genau prüfen, ob sie im Rahmen der Leistungsbeschreibung oder der Zuschlagskriterien qualitative Vorgaben für die Hilfsmittel machen müssen, die über die Mindestanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses hinausgehen.

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Dr. Tobias Schneider

Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.

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