Ein Wohlfahrtsverband erhält von einer Kommune finanzielle Zuwendungen für die soziale Betreuung von Flüchtlingen in städtischen Flüchtlingsunterkünften. Der Nachprüfungsantrag eines gewerblichen Anbieters von Betriebs- und Betreuungsleistungen gibt dem OLG Düsseldorf Gelegenheit, grundsätzliche Aussagen zur Abgrenzung einer Zuwendung von einem öffentlichen Auftrag zu treffen.
§ 103 Abs. 1 GWB, Erwägungsgrund 4 Richtlinie 2014/24/EU
Leitsätze (nicht amtlich)
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin ist eine nordrhein-westfälische Kommune, die seit 2015 Flüchtlingsunterkünfte auf ihrem Stadtgebiet betreibt. Nach § 1 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG NRW) ist sie zur Aufnahme und Unterbringung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet. Es handelt sich um eine Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung. Zur Abgeltung des besonderen Betreuungsaufwands gewährt das Land der Antragsgegnerin nach § 4a Abs. 2 FlüAG für jeden Flüchtling eine monatliche Pauschale.
Bei der sozialen Betreuung der Flüchtlinge wird die Antragsgegnerin von den örtlichen Wohlfahrtsverbänden unterstützt. Die Antragsgegnerin hat diesbezüglich ein Konzept zur Flüchtlingsbetreuung in städtischen Unterkünften erstellt, nach dem die durch die Wohlfahrtsverbände wahrgenommene Flüchtlingsbetreuung durch Zuwendungen der Antragsgegnerin ergänzt werden sollen. Die Wohlfahrtsverbände verstehen die Flüchtlingsbetreuung als eigene karitative Aufgabe.
Nach Abstimmung mit der Antragsgegnerin übernimmt die Beigeladene die soziale Betreuung von Flüchtlingen in einer neuen Flüchtlingsunterkunft. Zugleich erhält die Beigeladene auf entsprechenden Antrag von der Antragsgegnerin einen Personal-, Sach- und Gemeinkostenzuschuss für die Betreuung der Flüchtlinge. Der Bescheid sieht eine Verpflichtung zur bestimmungsgemäßen Verwendung der Zuwendung vor. Zudem enthält der Bescheid den Hinweis, dass die Entwicklung der Haushaltslage der Antragsgegnerin Kürzungen der Zuwendungen erfordern könnten oder die Zuwendung auch ganz entfallen könnte.
Die Antragstellerin ist ein gewerblicher Anbieter von Betriebs- und Betreuungsleistungen in Flüchtlingsunterkünften. Nachdem sie von der Einweihung der neuen Flüchtlingsunterkunft erfahren hat, erkundigt sie sich bei der Antragsgegnerin, ob die Betreuungsleistungen ausgeschrieben werden würden. Die Antragsgegnerin teilt daraufhin mit, dass sie die Unterkünfte selbst betreibe und die soziale Betreuung von den ortsansässigen Wohlfahrtsverbänden eigenverantwortlich wahrgenommen werde. Die Förderung erfolge im Rahmen des Zuwendungsrechts.
Nach erfolgloser Rüge beanstandet die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag, dass die Antragsgegnerin die Leistung der sozialen Betreuung nicht ohne förmliches Vergabeverfahren habe vergeben dürfen. Die Vergabekammer Rheinland gibt dem Nachprüfungsantrag statt. Die Förderung und Betreuung der Flüchtlinge sei ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag. Die Beigeladene habe die Leistungen nach dem Konzept der Antragsgegnerin zu erbringen. Die Fördermittel seien funktional als Entgelt einzuordnen.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer legen die Beigeladene und die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein.
Die Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hebt den Beschluss der Vergabekammer Rheinland auf. Mit dem Zuwendungsbescheid sei keine de-facto Vergabe verbunden gewesen. Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da kein öffentlicher Auftrag vorliege.
Der Begriff des öffentlichen Auftrags setze nach der nationalen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des EuGH eine einklagbare Erfüllungspflicht des Auftragnehmers voraus. Dies werde auch durch Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU bestätigt. Danach gelten die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe nicht für die bloße Finanzierung von Tätigkeiten, die mit der Verpflichtung verbunden sein kann, erhaltende Beträge bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung zurückzuzahlen.
Eine solche Verpflichtung zur Leistung sei dem Zuwendungsbescheid nicht zu entnehmen. Die Antragsgegnerin könne die gewünschte Leistung der sozialen Betreuung der Flüchtlinge danach nicht erzwingen. Vielmehr könne sie im Falle der Nichterfüllung der Aufgabe der Flüchtlingsbetreuung von der Beigeladenen nur die Zuwendung zurückfordern.
Die Antragsgegnerin sei auch nicht verpflichtet gewesen, soziale Betreuungsleistungen für Flüchtlinge nach dem GWB-Vergaberecht auszuschreiben. Ob ein Auftraggeber einen durch öffentlichen Auftrag zu deckenden Beschaffungsbedarf hat, entscheide er selbst. Erst wenn eine Entscheidung zugunsten der Erteilung eines öffentlichen Auftrags getroffen sei, sei der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet. Auch das FlüAG NRW überlasse die Ausgestaltung der Aufnahme der Flüchtlinge den Kommunen. Hierdurch bleibe Raum für die verfassungsrechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsgarantie und das dadurch geschützte Recht der Gemeinden, Wohlfahrtsverbänden und wohltätigen Organisationen Zuwendungen zukommen zu lassen.
Rechtliche Würdigung
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen einem ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag und einer grundsätzlich ausschreibungsfreien Zuwendung ist nach Auffassung des Vergabesenats das Bestehen einer einklagbaren Erfüllungsverpflichtung. Der Senat beruft sich dabei auf das Urteil des EuGH vom 25. März 2010 (Rs. C-451/08 – „Helmut Müller“). Der EuGH hatte dort entschieden, dass ein öffentlicher (Bau-) Auftrag erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der (Bau-) Leistungen übernimmt und es sich nach dem nationalen Recht geregelten Modalitäten um eine einklagbare Verpflichtung handeln müsse (Rn. 62 des Urteils). Generalanwalt Mengozzi war in seinen damaligen Schlussanträgen hinsichtlich der Voraussetzungen für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags deutlich zurückhaltender. Er forderte zwar eine verbindliche Verpflichtung des Auftragnehmers zur Erbringung der vereinbarten Leistung, meinte jedoch zugleich, dass das nationale Recht nicht notwendigerweise Mechanismen vorsehen müsse, mit denen ein Auftragnehmer zur Realisierung gezwungen werden könne (Rn. 79 der Schlussanträge). Der EuGH griff diese Differenzierung zwischen einer verbindlichen Verpflichtung und deren Einklagbarkeit in seiner Entscheidung indes nicht auf. Das vom Vergabesenat herangezogene Erfordernis der einklagbaren Erfüllungsverpflichtung liegt daher auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des EuGH.
Anders als der Vergabesenat sah die erstinstanzlich zuständige Vergabekammer Rheinland bei einem vorher ausgehandelten Pflichtenaustausch in Form eines Zuwendungsbescheids Potential für eine Umgehung des Vergaberechts. Tatsächlich dürfte die drohende Rückforderung der Zuwendung im Falle der Nichterfüllung auch ohne ausdrückliche Erfüllungsverpflichtung einigen Motivationsdruck auf den begünstigten Wohlfahrtsverband zur Erbringung der Leistungen ausüben. Auch der Vergabesenat stellt in seiner Entscheidung fest, dass die Erwartungen der Antragsgegnerin aufgrund des eigenen wirtschaftlichen und karitativen Interesses der Beigeladenen am Erreichen des Zuwendungserfolgs wahrscheinlich erfüllt werden.
Der EuGH geht grundsätzlich von einem funktionalen Auftragsbegriff aus. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage stellen, ob dem eigenen Interesse der Kommune an der Durchführung der Leistungen im Rahmen der Abgrenzung zwischen öffentlichem Auftrag und Zuwendung nicht stärkeres Gewicht einzuräumen ist. Eine Zuwendung fördert, worauf auch der Vergabesenat in seiner Entscheidung hinweist, typischerweise die Erfüllung fremder Aufgaben, nämlich derjenigen des Zuwendungsempfängers, während die Vergabe eines öffentlichen Auftrags der Erfüllung eigener Aufgaben des öffentlichen Auftraggebers dient. Da die Betreuungsleistungen eine Pflichtaufgabe der Kommune darstellen bzw. mit dieser im engen Zusammenhang stehen, lag hier jedenfalls kein ganz typischer Fall einer Zuwendung vor, selbst wenn der Wohlfahrtsverband die Flüchtlingsbetreuung ebenfalls als eigene karitative Aufgabe verstand.
Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU schließt eine einzelfallbezogene Betrachtung im Rahmen der Abgrenzung jedenfalls nicht per se aus. Denn dort heißt es, dass die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe nur in der Regel nicht für die bloße Finanzierung von Tätigkeiten gelten, die mit der Verpflichtung verbunden sein kann, erhaltende Beträge bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung zurückzuzahlen.
Praxistipp
Durch das Erfordernis einer einklagbaren Erfüllungsverpflichtung zieht das OLG Düsseldorf eine klare Trennlinie zwischen nicht dem Vergaberecht unterfallenden Finanzierung von Tätigkeiten durch Zuwendungen und ausschreibungspflichtigen öffentlichen Aufträgen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit andere Vergabesenate der Abgrenzungsmethodik des OLG Düsseldorf im Einzelfall folgen.
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
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