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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 24/09/2018 Nr. 38552

Rückforderung von Fördermitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) bei Vergaberechtsverstößen (fast) unumgänglich! (VG Regensburg, Urt. v. 14.06.2018 – RN 5 K 16.1879)

EntscheidungBei der Rückforderung von EU-Beihilfen, z.B. im Zusammenhang mit EFRE-Fördermitteln, wegen Auflagen- und Vergabeverstößen ist von einem gesteigerten öffentlichen Rücknahmeinteresse auszugehen. Vertrauensgesichtspunkte, Rückforderungsfristen und das der Behörde grundsätzlich eingeräumte Rücknahme- bzw. Widerrufsermessen treten praktisch vollständig zurück. Eines vorsätzlich oder grob fahrlässigen Handelns des Zuwendungsempfängers bedarf es für die Annahme eines schweren Vergabeverstoßes nicht. Die Darlegung konkreter Ausnahmegründe, die einen Verzicht auf einen Vergabewettbewerb im Einzelfall rechtfertigen können, ist der Pflicht zur ordnungsgemäßen Dokumentation geschuldet und obliegt dem Zuwendungsempfänger.

VO (EG) Nr. 1080/2006, Art. 48 ff., 54 ff. BayVwVfG; § 42 VwGO; Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 134 BGB; Art. 107 AEUV; Art. 4 Abs. 3 EUV; Art. 263 Abs. 4 AEUV

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Rückforderung von Fördermitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). In den Jahren 2007 bis 2013 wurde die Ausstrahlung von besonderen Fernsehangeboten aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Mit Bescheid vom Juni 2009 bewilligte die Regierung von Niederbayern als Bewilligungsbehörde der Klägerin einen Zuschuss in Höhe von EUR 907.500 aus EFRE-Mitteln. Die Klägerin reichte als Zuwendungserstempfängerin und Projektträgerin die Zuwendungen dann im Rahmen von Produktionsverträgen an fünf regionale Fernsehanbieter als Zuwendungszweitempfänger und Projektpartner weiter. Mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Produktionsvertrag verpflichtete sich die Klägerin, die ihr gewährten Mittel anteilig an die Beklagte als Zuwendungszweitempfängerin und Projektpartnerin weiterzuleiten. Bei der Abwicklung des Projektes und bei der Prüfung der Verwendung der Zuwendung werden die Nr. 1 bis 7 ANBest-P sowie die ANBest-EFRE vereinbart.

Mit Bescheid vom Mai 2015 kürzte die Bewilligungsbehörde den der Klägerin bewilligten Zuschuss. Zugleich widerrief die Bewilligungsbehörde den Zuwendungsbescheid in der Fassung seiner Änderungsbescheide in Höhe eines weiteren Teilbetrags. Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Überprüfung des Projekts Böhmen und Bayern im Alltag durch die EU-Prüfbehörde ergeben habe, dass Verstöße gegen Bescheidsauflagen (Nebenbestimmungen) und Vergabebestimmungen vorlagen und insbesondere die Auflage, dass die Zuwendungsempfängerin die Wirtschaftlichkeit durch mindestens drei Vergleichsangebote nachzuweisen habe, bei diversen Vergaben nicht beachtet worden sei. Die seitens der Zuwendungszweitempfänger durchgeführten Vergaben enthalten zudem schwere Verstöße gegen die Bestimmungen der VOL/A.

Mit Schriftsatz vom Dezember 2016 erhob die Klägerin Klage gegen die Beklagte als Letztbegünstigte. Die Klägerin als Zuwendungserstempfängerin hafte der Bewilligungsbehörde für die Nicht- oder Schlechtleistung der Beklagten als Letztbegünstigte ohne auf die Art und Weise der Leistung Einfluss nehmen zu können. Die Beklagte habe es allein in der Hand, die von ihr für die Förderung verlangte Leistung zu erbringen. Tue sie das nicht, so habe sie auch das Risiko der Rückforderung zu tragen. Genau dies stelle der zitierte Vertragspassus sicher. Über die entsprechende Einbeziehung des Zuwendungsbescheides in den Vertrag sollte ein Gleichlauf des Verpflichtungsrahmens zwischen der Projektträgerin, also der Klägerin, und der Projektpartnerin, der Beklagten, erzeugt werden. Tatsächlich sei auch nur so im Erst- und Zweitzuwendungsverhältnis ein entsprechend ausgewogenes Verhältnis herzustellen gewesen.

Die Entscheidung

Die von der Klägerin erhobene Leistungsklage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht ein vertraglicher Rückzahlungsanspruch zu.

Zunächst ist dabei vorliegend zu berücksichtigten, dass es sich bei aus EU-Fonds gewährten Finanzmitteln, worunter auch der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) fällt, um Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) handelt. Zwar sind die Fördermittel aus dem EFRE grundsätzlich Mittel der EU und damit keine staatlichen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Sofern diese Fördermittel jedoch wie hier im Anschluss an eine Aufteilung unter den Mitgliedstaaten für Letztere verfügbar sind, fällt ihre Durchführung, Verwaltung sowie Kontrolle in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Auf dieser Basis sind die Mitgliedstaaten sodann befugt, die einzelnen zu finanzierenden Programme nach von ihnen festgelegten Kriterien auszuwählen. Auf der Grundlage dieses Regelwerks kann dann angenommen werden, dass die Strukturfondsmittel den Mitgliedstaaten sowohl zur Verfügung stehen als auch ihnen zurechenbar sind und somit staatliche Mittel im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen.Wenn es sich jedoch wie hier um die Gewährung von EU-Beihilfen handelt, trifft die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, an der effektiven Durchsetzung des EU-Rechts mitzuwirken und keine den Zielen der Verträge zuwiderlaufende Maßnahmen zu treffen. Aufgrund des Effizienzgebots ist im Fall von dem EU-Recht zuwiderlaufenden Auflagen- und Vergabeverstößen von einem gesteigerten öffentlichen Rücknahmeinteresse auszugehen, da ohne eine Rücknahme die Erreichung der Ziele der Art. 107 f. AEUV gefährdet wären. Bei Nicht-Rücknahme der gewährten Zuwendungen würde der jeweilige Mitgliedstaat eine Vertragsverletzung begehen. Der Klägerin ist daher auch insoweit Recht zu geben, dass in diesem Zusammenhang entsprechende Vertrauensgesichtspunkte, Rückforderungsfristen und das der Bewilligungsbehörde grundsätzlich nach den §§ 48 ff. VwVfG eingeräumte Rücknahme- bzw. Widerrufsermessen zur Wahrung des europäischen Effektivitätsgrundsatzes praktisch vollständig zurücktreten. Die Beklagte hätte sich auch im Falle der Weitergabe der Zuwendungen durch Verwaltungsakt nicht darauf berufen können.

Die Beklagte war bei der Ausführung des staatlich geförderten Projekts gemäß § 3 des Produktionsvertrags i.V.m. dem Bewilligungsbescheid verpflichtet, die geltenden Vergabevorschriften einzuhalten und damit bei der Vergabe der freiberuflichen Leistungen jeweils drei Vergleichsangebote einzuholen bzw. die Wirtschaftlichkeit der Vergabe darzulegen. Die der Beklagten von der EU-Prüfbehörde im Prüfbericht vorgeworfenen Vergabeverstöße, die darin bestanden, dass die Beklagte für die Rechnungen freies Personal gerade keine Vergleichsangebote eingeholt und keine zulässigen Begründungen für den Verzicht auf Wettbewerb gegeben hatte, waren auch im gerichtlichen Verfahren nicht zu entkräften. Entgegen den Ausführungen der Beklagten fanden sich Belege für die Einholung von Vergleichsangeboten nicht in den Akten. Der Geschäftsführer der Beklagten gab an, nicht schriftlich gefragt, sich aber wohl telefonisch erkundigt zu haben, ob diese Leistungen angeboten werden können. Dieses Vorgehen genügt den Anforderungen an die Vergabevorschriften jedoch nicht. Diesbezügliche Erkenntnisse oder Erwägungen müssen nämlich im Einzelnen nachprüfbar dokumentiert und können nicht lediglich anlässlich einer nachträglichen Überprüfung pauschal behauptet werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 22.05.2017 Az. 4 ZB 16.577, Rn. 15).

Die pauschale Behauptung der mangelnden Auswahl in der Umgebung, der langjährigen Zusammenarbeit und engen gesellschaftlichen Verbundenheit, allgemeine Floskeln wie die einzig praktikable und vor allem wirtschaftlich sinnvollste Lösung und Schreiben des von der Beklagten beauftragten freien Personals, die mitteilen, dass sie der Beklagten Sonderpreise gewährt hätten, reichen hierfür jedenfalls nicht aus. Zwar mag man der Beklagten hinsichtlich der Vergabeverstöße kein vorsätzliches Handeln vorwerfen können. Eines vorsätzlich oder grob fahrlässigen Handelns bedarf es für die Annahme eines schweren Vergabeverstoßes aber gerade nicht; insoweit reicht allein die Tatsache einer ungerechtfertigten Einschränkung des Wettbewerbs aus. Damit ist nicht zu beanstanden, dass sowohl die EU-Prüfbehörde als auch die Bewilligungsbehörde von einem schweren Verstoß gegen Vergaberecht durch die Beklagte ausgegangen ist und infolgedessen nach den Leitlinien der Europäischen Kommission ermessensgerecht einen Teilwiderruf der ausbezahlten Zuwendung in Höhe von 25% sowie eine entsprechende Verzinsung der Rückerstattung angeordnet hat.

Rechtliche Würdigung

Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass es sich bei Mitteln aus dem Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) dann um Beihilfen im Sinne des Gemeinschaftsrechts handelt, wenn diese wie oftmals der Fall für die Mitgliedstaaten verfügbar sind. Wenn dann im Zusammenhang mit der Verwendung der gewährten Mittel Auflagen- und Vergaberechtsverstöße einhergehen, führt an der (anteiligen) Rückforderung der gewährten Mittel praktisch kein Weg vorbei. Die zum Schutz des Zuwendungsempfängers und der Herstellung einer Einzelfallgerechtigkeit in §§ 48ff. des maßgeblichen Verwaltungsverfahrensgesetzes verankerten Aspekte vom Vertrauensschutz, der Einhaltung von Rückforderungsfristen und der ordnungsgemäßen Ausübung des dem Zuwendungsgeber eingeräumten Rücknahme- bzw. Widerrufsermessen tritt praktisch vollständig zurück. Vor diesem Hintergrund führt die Nichtbeachtung der in dem Bewilligungsbescheid verankerte Pflicht bei der Vergabe von freiberuflichen Leistungen jeweils drei Vergleichsangebote einzuholen bzw. die Wirtschaftlichkeit der Vergabe darzulegen, zwangsläufig zur anteiligen Rückforderung der ausgekehrten Mittel.

Die Rückforderung war vorliegend auch deshalb alternativlos, weil die von der Beklagten im Rahmen des Verwendungsnachweises eingereichten Unterlagen keine plausiblen Begründungen für das Vorgehen des Zuwendungsempfängers enthielten. Denn der Verwendungsnachweis soll den Zuwendungsgeber in die Lage versetzen, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Fördermittelverwendung zu prüfen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2018 Az. OVG 6 B 5.16, Rn. 31). Mit anderen Worten: eine halbwegs nachvollziehbare Begründung für das Vorgehen konnte das Verwaltungsgericht der Vergabeakte nicht entnehmen. Ohne Bedeutung ist dabei auch, wie von anderen Gerichten ebenfalls immer wieder ausgeführt, ob dem Beklagten ein subjektiver Schuldvorwurf gemacht werden kann. Denn eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns bedarf es für die Annahme eines schweren Vergabeverstoßes gerade nicht; insoweit reicht allein die Tatsache einer ungerechtfertigten Einschränkung des Wettbewerbs aus.

Schließlich oben in der Entscheidungsbegründung bewusst nicht dargestellt hat das Verwaltungsgericht zu dem Komplex eines mehrstufigen Zuwendungsverhältnisses erstmalig erfreulich deutlich Stellung bezogen. Ein mehrstufiges Zuwendungsverhältnis liegt vor, wenn Fördermittel von dem Zuwendungserstempfänger an Dritte, welche dann die zugewandten Mittel einzusetzen und entsprechend den rechtlichen Bestimmungen zu verwenden haben, weitergereicht bzw. besser weiterverteilt werden. Hier stellt sich dann häufig die Frage, wer bei etwaigen Pflichtverletzungen gegen wen und wie vorgehen kann. Im Kern hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass in einem mehrstufigen Zuwendungsverhältnis, in dem Fördermittel von einem federführenden unmittelbar Zuwendungserstempfänger an einen Zuwendungszweitempfänger weitergereicht werden, die Einziehung der Fördermittel durch die Bewilligungsbehörde bei dem federführenden Begünstigten unmittelbar auch Einfluss auf das Verhältnis zwischen diesem und dem Zuwendungszweitempfänger hat. Letzt- und im Endeffekt auch Alleinbetroffene sind insofern nur die Zuwendungszweitempfänger, da die Zuwendungszweitempfänger die Verantwortung im Fall von Unregelmäßigkeiten der von ihnen gemeldeten Ausgaben tragen und sowohl die Bewilligungsbehörde, als auch der federführende Zuwendungserstempfänger lediglich eine Art Vermittlungs-, Überwachungs- und Organisationsfunktion einnehmen (Rn. 49 des Urteils). Dem Zuwendungszweitempfänger wird dadurch eine Klagebefugnis vermittelt. Denn eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO setzt nicht notwendigerweise eine Adressatenstellung voraus. Insbesondere nachbarrechtliche und konkurrenzrechtliche Drittklagen sind seit langem anerkannt. Zwar unterscheidet sich die diesen Drittklagen zugrundeliegende Konstellation von dem streitgegenständlichen Fall dadurch, dass der Dritte Interessen verfolgt, die denen des Erstbetroffenen parallel gelagert sind (und er sich deshalb gegen eine Belastung des Erstbetroffenen wendet), da sich diese Belastung unmittelbar auch auf ihn auswirkt (Rn. 45 des Urteils). Entscheidend in diesen Konstellationen ist, ob die Berücksichtigung der Interessen des Dritten durch das Normprogramm angeordnet ist. Dies bejaht das Gericht hinsichtlich der vorliegenden Förderkonstellation zu Recht.

Praxistipp

Empfänger von Fördermitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) müssen bei der Einhaltung der Pflichten an die Vergabe entsprechend dem Bewilligungsbescheid größte Sorgfalt walten lassen. Dies gilt zukünftig mehr denn je, wenn im Zuwendungsverhältnis bei der Vergabe von Aufträgen die UVgO die VOL/A abgelöst hat. Zum einen muss den aufgestellten Anforderungen penibel Rechnung getragen werden, zum anderen sind die wesentlichen Verfahrensschritte und -überlegungen ordnungsgemäß (!) zu dokumentieren. Anderenfalls können die Vorgänge im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung nicht hinreichend nachvollzogen werden und führen zwangsläufig zur jedenfalls anteiligen Rückforderung der Mittel. Die Existenz eines mehrstufigen Zuwendungsverhältnisses vermag daran nichts zu ändern. Hier ist der Bewilligungsbehörde allerdings zu empfehlen, den Zweit- oder Letztzuwendungsempfänger förmlich nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 (analog) oder nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 VwVfG förmlich von vornherein am Verwaltungsverfahren zu beteiligen, auch wenn die Beteiligung an sich noch keine Klagebefugnis begründet (siehe Rn. 56 des Urteils).

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Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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