Die Aufhebung einer Ausschreibung setzt keinen in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Aufhebungsgrund voraus. Voraussetzung für die Aufhebung einer Ausschreibung ist nur, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder lediglich zum Schein erfolgt.
§ 17 VS Abs. 1 VOB/A
Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb die Errichtung von Unterkunftszimmern im so genannten Hotelstandard aus. Die Ausschreibung erfolgte in einem europaweiten nicht offenen Verfahren und war als Generalunternehmerleistung ausgestaltet.
Die spätere Antragstellerin im Vergabenachprüfungsverfahren hat als einziges Unternehmen ein Angebot abgegeben. Das Angebot lag deutlich oberhalb des Budgetansatzes der Vergabestelle.
Die Vergabestelle schloss das Angebot wegen nicht aufklärbarer Zweifel an der Angemessenheit Preise aus, hob die Ausschreibung auf und kündigte ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb an.
Die Kostenschätzung der Vergabestelle wurde mehrfach überarbeitet und zuletzt im Rahmen der Wertung ein Wirtschaftlichkeitsvergleich mit geschätzten Kosten und Preisen von zwei Vergleichsprojekten durchgeführt. Der Wirtschaftlichkeitsvergleich sah das Angebot der Antragstellerin um 34% über den Sollkosten.
Die Entscheidung
Mit ihrem Nachprüfungsantrag verfolgte die Antragstellerin primär das Ziel, ihr Angebot in der Wertung zu halten und die Aufhebung der Ausschreibung rückgängig zu machen. Hilfsweise begehrte sie die Feststellung, dass die Aufhebung der Ausschreibung sie in ihren Rechten verletzt.
Erfolg hatte die Antragstellerin nur mit ihrem Hilfsantrag.
Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich immer zur Aufhebung einer Ausschreibung berechtigt ist. Schließlich gelte auch im Vergaberecht der Grundsatz der Privatautonomie, es könne niemand zum Abschluss von Verträgen gezwungen werden. Die Aufhebungsentscheidung dürfe nur nicht willkürlich sein oder nur zum Schein erfolgen und eine Diskriminierung einzelner Bieter müsse ausgeschlossen sein. Die vorliegende Budgetüberschreitung ist nach Ansicht der Vergabekammer ein sachlicher Grund. Dabei sei es unerheblich, dass die Vergabestelle durch ihre möglicherweise nicht ordnungsgemäße Kostenschätzung den Aufhebungsgrund ggf. selbst gesetzt hat.
Die Aufhebung der Ausschreibung sah die Vergabekammer daher als wirksam, aber rechtswidrig an, weil die Vergabestelle ihren Finanzierungsbedarf nicht ordnungsgemäß ermittelt hat und deshalb zu wenig Haushaltsmittel eingeworben hat. Dabei hat die Vergabekammer keine Bedenken, dass Kostenschätzungen noch vorgenommen wurden, als die Angebotspreise bereits bekannt waren: „So wie eine Dokumentation insgesamt grundsätzlich im Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10), können diesbezüglicher Vortrag und Unterlagen erst recht im laufenden Nachprüfungsverfahren der Vergabeakte zugeführt werden (ggf. auch erst aufgrund der Amtsermittlungen der Vergabekammer, § 163 Abs. 1 GWB).“
Die diesbezüglichen Ausführungen der Vergabestelle im Nachprüfungsverfahren genügten der Vergabekammer hingegen nicht:
Es sei nicht klar, „an welchen Stellen der Kostenschätzung die Ag von Einsparmöglichkeiten ausgeht und an welchen Stellen sie zusätzliche Leistungen des Generalunternehmers berücksichtigt (zum Beispiel zusätzliche organisatorische Kosten durch den erforderlichen Einsatz zahlreicher Nachunternehmer), eventuelle Steigerung von Materialkosten oder auch Aufwand wegen besonderer Sicherheitsmaßnahmen auf der Baustelle nach SÜG. Jedenfalls auf den entsprechenden Vortrag der ASt hin hätte die Ag sich substantiiert nicht nur mit den aus ihrer Sicht bestehenden Einsparmöglichkeiten beim Generalunternehmereinsatz, sondern auch mit gegebenenfalls hieraus ebenfalls resultierenden Kosten- und Preissteigerungen auf Seiten des zukünftigen Auftragnehmers auseinandersetzen müssen.“
Kritik übte die Vergabekammer auch an der Vergleichbarkeit der Objekte, die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung herangezogen wurden. Hierzu fehlten der Vergabekammer entsprechende Hinweis im Vergabevermerk oder entsprechender Vortrag im Nachprüfungsverfahren.
Einen weiteren Vergaberechtsverstoß sah die Vergabekammer in dem Umstand, dass sich die Vergabestelle nicht mehr mit ihrer im Vorfeld der Ausschreibung nach oben korrigierten Kostenschätzung auseinandergesetzt hat, sondern allein auf den Wirtschaftlichkeitsvergleich abgestellt hat.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung hat viele interessante Aspekte, ich möchte mich aber um den Umfang des Beitrags nicht zu sprengen auf einige wenige beschränken.
Dass eine Aufhebung zu ihrer Wirksamkeit nur eines sachlichen Grundes bedarf darf, glaube ich, inzwischen als gesicherte Erkenntnis gelten. Dies gilt ebenso für die Erkenntnis, dass eine rechtmäßige Aufhebung wegen Unwirtschaftlichkeit der Angebotspreise eine ordnungsgemäße Kostenschätzung voraussetzt.
Unsicherer wird das Terrain, wenn es um die Anforderungen an die Kostenschätzung geht. Besonders interessant ist, dass die Vergabekammer offenbar eine Kostenschätzung auch noch dann zulassen will, wenn die Angebotspreise bereits bekannt sind. Daran kann man deswegen Zweifeln, weil es sich bei der Frage der Aufhebung einer Ausschreibung um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. hier die interessanten Ausführungen des OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.09.2013 – 15 Verg 3/13). Diese Frage wurde vom OLG Karlsruhe mangels Entscheidungserheblichkeit nicht beantwortet.
Die Aufhebungsentscheidung wäre also vor der Vergabekammer noch zu retten gewesen, wenn im Nachprüfungsverfahren entsprechend vorgetragen worden wäre. Besser wäre es natürlich gewesen, wenn der Vergabevermerk die Aufhebungsentscheidung hinreichend behandelt hätte.
Praxistipp
Der Praxistipp wird jetzt kaum überraschen: Als Ermessensentscheidung muss die Entscheidung zur Aufhebung einer Ausschreibung hinreichend begründet werden. Wenn man auf der sicheren Seite sein will, ist die Begründung Bestandteil der Vergabedokumentation (Vergabevermerk). Dabei ist der reine Kostenunterschied zwischen Kostenschätzung und Angebotspreis nicht der einzige Aspekt, der in der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden muss. Vielmehr ist eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vorzunehmen.
Martin Adams, Mag. rer. publ.
Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
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