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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 15/10/2018 Nr. 38740

Vorinformationspflicht gilt auch bei Vergabeverfahren über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße! (EuGH, Urt. v. 20.09.2018 – C-518/17 – Stefan Rudigier)

Entscheidung-EUDie in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße vorgesehene Vorinformationspflicht gilt auch bei Aufträgen über öffentliche Busverkehrsdienste, die dem Vergaberecht unterliegen (siehe auch § 8a Abs. 2 Satz 2 PBefG). Die Verletzung dieser Vorinformationspflicht führt allerdings nicht per se zur Aufhebung der betroffenen Ausschreibung, sofern der Auftraggeber im weiteren Verfahren die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Gleichbehandlung beachtet hat.

Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, insbesondere Art. 7 Abs. 2 der Verordnung; Richtlinie 2014/24/EU; Richtlinie 2014/25/EU; §§ 8a, 8b PBefG

Sachverhalt

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 ergreift jede zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass spätestens ein Jahr vor Einleitung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens oder ein Jahr vor der Direktvergabe mindestens die folgenden Informationen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden:

  • der Name und die Anschrift der zuständigen Behörde;
  • die Art des geplanten Vergabeverfahrens;
  • die von der Vergabe möglicherweise betroffenen Dienste und Gebiete.

Sollten sich diese Informationen nach ihrer Veröffentlichung ändern, so hat die zuständige Behörde des Weiteren so rasch wie möglich eine Berichtigung zu veröffentlichen. Diese Berichtigung muss unbeschadet des Zeitpunkts der Einleitung der Direktvergabe oder des wettbewerblichen Vergabeverfahrens erfolgen.

Im April 2016 leitete der Salzburger Verkehrsverbund mit der Veröffentlichung einer Ausschreibung im EU-Amtsblatt ein offenes Verfahren betreffend die Erbringung von Personenverkehrsdiensten mit Bussen im Gasteinertal (Österreich) ein. Davon erfasst waren mehrere Buslinien mit einer Jahreskilometerleistung von insgesamt ca. 670.000 km. Der Auftrag war als Dienstleistungsauftrag und nicht als Dienstleistungskonzession ausgeschrieben.

Eine Vorinformation gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 wurde vom Salzburger Verkehrsverbund nicht veröffentlicht.

Vor Ablauf der Angebotsfrist beantragte Herr Rudigier beim Landesverwaltungsgericht Salzburg (Österreich) die Nichtigerklärung der Ausschreibung u.a. wegen Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg wies seine Anträge ab. Gegen diese Entscheidung erhob Herr Rudigier Revision an den Verwaltungsgerichtshof (Österreich). Er stützt die Revision darauf, dass sich das Landesverwaltungsgericht nicht inhaltlich mit den rechtlichen Auswirkungen des Fehlens der Veröffentlichung befasst habe, die ein Jahr vor der Einleitung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens hätte stattfinden müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof stellt fest, dass für die unter die einschlägigen Vergaberichtlinien fallenden Verkehrsdienstleistungen keine Ausnahme von der Anwendung des Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehen sei und dass im 29. Erwägungsgrund dieser Verordnung nicht nach der für die betreffenden öffentlichen Beförderungsaufträge geltenden Regelung unterschieden werde. Er schließt daraus, dass die Pflicht zur Veröffentlichung der geforderten Informationen auch dann gelten müsste, wenn die Dienstleistungen zu einem Auftrag gehörten, der einer der beiden Vergaberichtlinien unterliege, wenngleich die Vergaberichtlinien keine Vorinformationspflicht wie sie in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 geregelt sei, kennen.

Im Ergebnis richtet der Verwaltungsgerichtshof drei Vorlagefragen an den EuGH.

Die Entscheidung

Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates ist dahin auszulegen, dass

  • die darin vorgesehene Vorinformationspflicht auch bei Aufträgen über öffentliche Busverkehrsdienste gilt, die grundsätzlich gemäß den Verfahren nach den Vergaberichtlinien vergeben werden und
  • die Verletzung dieser Vorinformationspflicht nicht zur Aufhebung der betroffenen Ausschreibung führt, sofern die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Gleichbehandlung beachtet sind.

Antwort auf die Vorlagefrage 1

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom EuGH wissen, ob Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Vorinformationspflicht auch bei Aufträgen über öffentliche Busverkehrsdienste gilt, die gemäß den Vergaberichtlinien vergeben werden.

Der EuGH führt dazu aus, dass Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 auf öffentliche Aufträge über Verkehrsdienste anwendbar ist, die gemäß den in den Vergaberichtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben werden. Diese Schlussfolgerung wird durch den Zweck der Verordnung Nr. 1370/2007 bestätigt. Die Verordnung Nr. 1370/2007, die nur die öffentlichen Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße erfasst, sieht nämlich Modalitäten für das Tätigwerden im Bereich allgemeiner Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge wie derjenigen, die unter die Vergaberichtlinien fallen, vor. Sie enthält somit Sonderregeln, die die allgemeinen Regeln der Vergaberichtlinien entweder ersetzen oder ergänzen sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Oktober 2016, Hörmann Reisen, C-292/15, EU:C:2016:817, Rn. 44 bis 47). Bestätigung findet diese Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 in einer näheren Betrachtung von Art. 48 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 und von Art. 67 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25, die in ihrer Funktion teils mit Art. 7 Abs. 2 vergleichbar sind. Im Ergebnis stellt Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 spezifischere Pflichten als die Vergaberichtlinien auf und geht diesen als lex specialis vor.

Antwort auf die Vorlagefragen 2 und 3

Mit der zweiten und der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht vom EuGH im Wesentlichen wissen, ob die Rechtswidrigkeit, die aus der Verletzung oder dem Versäumnis der in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehenen Vorinformationspflicht folgt, geeignet ist, zur Aufhebung einer ordnungsgemäß veröffentlichten Ausschreibung zu führen.

Diese Frage beantwortet der EuGH dahingehend, dass das Unionsrecht auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge keine allgemeine Regel vorsieht, nach der die Rechtswidrigkeit einer Handlung oder Unterlassung in einem bestimmten Stadium des Verfahrens zur Rechtswidrigkeit aller späteren Handlungen in diesem Verfahren führen und ihre Aufhebung rechtfertigen würde. Eine solche Folge sieht das Unionsrecht nur in besonderen, genau bestimmten Situationen vor. Da der Unionsgesetzgeber keine spezifische Bestimmung in Bezug auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehen hat, ist eine entsprechende Regelung Angelegenheit des nationalen Rechts. Es ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes einzelnen Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. Rn. 61 des Urteils und in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a., C-391/15, EU:C:2017:268, Rn. 32).

Zum Effektivitätsgrundsatz ist festzustellen, dass das Recht, das den Wirtschaftsteilnehmern aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 erwächst, zweierlei bezweckt:

Zum einen soll ihnen ermöglicht werden, auf die Absichten des (öffentlichen) Auftraggebers, insbesondere auf die Art der von ihm geplanten Vergabe (Ausschreibung oder Direktvergabe), zu reagieren, und zum anderen soll ihnen die Zeit für eine bessere Vorbereitung auf die Ausschreibung gegeben werden. Insofern sollte die Prüfung, ob der Effektivitätsgrundsatz beachtet wurde, je nachdem, ob eine Direktvergabe oder eine Ausschreibung vom Auftraggeber beabsichtigt ist, unterschiedlich ausfallen:

  • Bei einer Direktvergabe kann das Fehlen einer Vorinformation dazu führen, dass der Wirtschaftsteilnehmer keine Einwände erheben kann, bevor nicht die Direktvergabe durchgeführt ist, wodurch er Gefahr läuft, dass er endgültig von der Teilnahme an der wettbewerblichen Vergabe ausgeschlossen wird. Eine solche Situation kann den Effektivitätsgrundsatz untergraben (Rn. 66 des Urteils).
  • Erfolgt die Verletzung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 dagegen in einem Kontext, in dem der (öffentliche) Auftraggeber eine Ausschreibung durch einen späteren regulären Aufruf zum Wettbewerb beabsichtigt, so steht eine solche Verletzung für sich genommen nicht der Möglichkeit einer tatsächlichen Teilnahme des Wirtschaftsteilnehmers an dieser Ausschreibung entgegen (Rn. 67 des Urteils).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist zutreffend. Der EuGH hat klargestellt, dass die Vorinformationspflicht aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 zwar grundsätzlich zu beachten, aber kein bloßer Selbstzweck ist.

Richtig ist zunächst, dass die Vorinformationspflicht auch dann gilt, wenn die in Rede stehenden Aufträge (über öffentliche Busverkehrsdienste) gemäß den vergaberechtlichen Bestimmungen vergeben werden. Denn die Vorinformationspflicht stellt spezifischere Pflichten als die Vergaberichtlinien auf und geht diesen als lex specialis vor. Der deutsche Gesetzgeber hat dies explizit in § 8a Abs. 2 Satz 2 PBefG geregelt. Danach ist der Auftraggeber auch in diesem Fall zur Veröffentlichung gemäß der Vorinformationspflicht (Vorabbekannt-machung) verpflichtet; die Veröffentlichung soll danach im Übrigen nicht früher als 27 Monate vor Betriebsbeginn erfolgen.

Des Weiteren folgt aus der Missachtung der Vorinformationspflicht allerdings keinesfalls unmittelbar die Nichtigkeit und/ oder Rechtswidrigkeit des sich anschließenden Vergabeverfahrens. Es fehlt auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge schlicht an der Regelung einer solchen Rechtsfolge. Da der Unionsgesetzgeber keine spezifische Bestimmung in Bezug auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehen hat, ist eine entsprechende Regelung Angelegenheit des nationalen Rechts. Hier sieht das deutsche Recht in § 135 GWB eine entsprechende Unwirksamkeitsregelung vor. Danach ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen die Informations- und Wartepflicht des § 134 GWB verstoßen hat oder den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer EU-Bekanntmachung vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Eine entsprechende Regelung für einen Verstoß gegen die Spezialregelung in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 bzw. die nationale Umsetzungsnorm in § 8a Abs. 2 PBefG kennt das deutsche Recht ebenso wenig wie das der Entscheidung zugrundeliegende österreichische Recht.

Es kommt daher darauf an, ob der Verstoß gegen die Vorinformationspflicht gemäß dem Effektivitätsgrundsatz im jeweiligen Einzelfall dazu führt, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. Im vorliegenden Fall äußert sich der EuGH dazu in den Rn. 63 ff. seiner Entscheidung und stellt dazu Folgendes fest:

Den Bietern wurde eine Angebotsfrist von 49 Tagen ab der Veröffentlichung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ausschreibung gewährt; mithin eine Frist welcher die Mindestfristen, die in den Richtlinien 2014/24 und 2014/25 (und im deutschen Recht in § 15 Abs. 2 VgV) vorgesehen sind, deutlich überschreitet.

Der Bieter, um den es im Ausgangsverfahren geht, war auch schon lange vor der Veröffentlichung der Ausschreibung darüber informiert, dass eine solche im Raum steht.

Schließlich hat ein Bieter das Recht, einen Rechtsbehelf gegen den (öffentlichen) Auftraggeber aus dem Grund einzulegen, dass die Frist für die Abgabe der Angebote in den Auftragsunterlagen unter Verstoß gegen Art. 47 der Richtlinie 2014/24 oder Art. 66 der Richtlinie 2014/25, nach denen die Komplexität des Auftrags und die für die Ausarbeitung der Angebote erforderliche Zeit berücksichtigt werden müssen, zu knapp bemessen war (siehe in Deutschland die entsprechenden Regelungen in § 20 Abs. 1 VgV und in § 16 Abs. 1 SektVO).

Der EuGH geht mithin davon aus, dass vorliegend viel dafürspricht, dass die Verletzung der Vorinformationspflicht nicht zur Aufhebung der betroffenen Ausschreibung führt.

Praxistipp

Unabhängig davon, ob Aufträge über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße den vergaberechtlichen Bestimmungen unterliegen oder nicht, ist jeder Auftraggeber gehalten, die Vorinformationspflicht aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 einzuhalten. Dies gilt erst recht dann, wenn aus welchen Gründen auch immer eine Direktvergabe beabsichtigt ist. Denn in diesem Fall kann das Fehlen einer Vorinformation dazu führen, dass der Bieter keine Einwände erheben kann, bevor nicht die Direktvergabe durchgeführt ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Bieter Gefahr läuft, endgültig von der Teilnahme an der Vergabe ausgeschlossen zu sein.

Erfolgt die Verletzung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 dagegen im Vorfeld eines öffentlichen Vergabewettbewerbs, mithin eines offenen Verfahrens oder eines Verfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb, steht solche Verletzung für sich genommen nicht der Möglichkeit einer tatsächlichen Teilnahme des Bieters an dieser Ausschreibung entgegen. Die Rechtsverletzung kann mithin durch ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren praktisch „geheilt“ werden. Trotzdem sollte sich ein Auftraggeber darauf nicht verlassen.

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Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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