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Einmal Lose – immer Lose? Auftragswertberechnung bei Vertragsänderungen (VK Brandenburg, Beschl. v. 23.08.2018 – VK 15/18)

EntscheidungDie Vergabekammer Brandenburg befasst sich mit der spannenden Frage, was bei vorzeitiger Vertragsbeendigung einzelner Lose im Rahmen der Neuausschreibung zu beachten ist. Dabei geht sie vor allem auf die Auftragswertschätzung im Rahmen des § 132 GWB ein.

GWB § 97 Abs. 6, § 132 Abs. 1, § 134 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2, § 160 Abs. 2, § 165 Abs.1, § 168 Abs. 2 S. 1, VgV § 3 Abs. 7, Abs. 9

Leitsatz

Die Kündigung einzelner Lose eines Gesamtauftrags ist als wesentliche Auftragsänderung während der Vertragslaufzeit zu qualifizieren.

Die Auftragswertberechnung für die Neuausschreibung der gekündigten Lose bezieht sich in einem solchen auf den ursprünglichen Gesamtauftrag.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte europaweit Leistungen zur Unterhaltsreinigung in 5 Losen ausgeschrieben, wobei es eine Loslimitierung auf zwei Lose pro Bieter bei der Beauftragung geben sollte.

Der Antragsteller (ASt) gab Angebote für alle fünf Lose ab und erhielt den Zuschlag für die Lose II und V. Der Vertrag mit dem Bieter, der mit den Loses III und IV bezuschlagt wurde, wurde in der Probezeit durch die AG gekündigt. Daraufhin schrieb die AG diese Lose national nach VOL/A neu aus. Die ASt gab dafür abermals fristgerecht ein Angebot für beide Lose ab. Der Aufforderung durch die AG den Preis aufzuklären, kam der ASt nur mit der Antwort nach der kalkulierte Stundenverrechnungssatz sei auskömmlich. Im Ergebnis wurde das Angebot der ASt unter anderem wegen Unauskömmlichkeit ausgeschlossen. Die Vergabestelle informierte die ASt gem. § 19 I VOL/A über den Zuschlag an ein anders Unternehmen.

Daraufhin rügte die ASt, die Vergabe hätte europaweit durchgeführt werden müssen und die beabsichtigte Zuschlagserteilung sei somit vergaberechtswidrig, außerdem sei die Bewertungsmethode nicht transparent gewesen. Da die AG dem nicht abgeholfen hat, hat die ASt ein Nachprüfungsangtrag gem. § 160 ff. GWB eingelegt.

Die Entscheidung

Die VK Brandenburg hält diesen zwar für statthaft, allerdings sei er unzulässig. Wie die VK bereits in einem rechtlichen Hinweis angedeutet hat, fehle der ASt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Zuschlagslimitierung auf zwei Lose sei auch im Falle einer Neuausschreibung zu beachten und die ASt hatte unstreitig bereits zwei Lose erhalten. Die bereits erfolgte Zuschlagserteilung stünde dem Nachprüfungsantrag vorliegend allerdings nicht entgegen, da sich der ASt auf die Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags gem. § 135 I GWB berufe.

Die Vergabekammer folgt der Einschätzung der ASt insofern, dass der Gesamtwert aller Lose der Berechnung gemäß § 3 VII VgV zugrunde zu legen sei. Denn die infolge der Kündigung des Auftrags in den Losen III und IV für notwendig erachtete Neuausschreibung sei als Auftragsänderung während der Vertragslaufzeit gemäß § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB zu qualifizieren, so dass der ursprüngliche Gesamtauftrag, also auch die restlichen Lose, zu berücksichtigen sei. Nach dieser Vorschrift liegt eine wesentliche Änderung insbesondere vor, wenn ein neuer Auftragnehmer den Auftragnehmer in anderen als den in Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 vorgesehenen Fällen ersetzt. Ein Ersetzen gem. § 132 I 3 Nr. 4 GWB liege bspw. vor, wenn wie hier, der Auftraggeber nach Ausübung seiner vertraglichen oder gesetzlichen Gestaltungsrechte einen Vertrag wegen mangelhafter Ausführung des Auftrages kündigt und nachfolgend den Auftrag durch einen anderen Auftragnehmer durchführen lässt. Stelle die nationale Ausschreibung somit eine vergaberechtswidrige de-facto-Vergabe dar, kann die Vergabekammer allerdings nur entscheiden, sofern der ASt gem. § 160 II GWB antragsbefugt ist.

Dies sei hier nicht der Fall: Die ASt hätte gerade keine bessere Chance auf den Zuschlag haben können, da sie die maximale Anzahl an bezuschlagbaren Losen bereits erreicht hatte. Dem stünde nicht entgegen, dass die AG im Rahmen der nationalen Ausschreibung auf die Zuschlagslimitierung nicht erneut hingewiesen habe, da diese bereits verkannt habe, dass es sich um eine wesentliche Vertragsänderung bei Durchführung eines Teils des Gesamtauftrages handele. Bei der Beurteilung der Ausschreibungsbedingungen für eine nach § 132 erforderliche Neuausschreibung seien die vormaligen Grundlagen der ersten Ausschreibung heranzuziehen. Demnach sei eine Chance der ASt auf den Zuschlag ausgeschlossen und der Nachprüfungsantrag sei mangels Antragsbefugnis zu verwerfen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung gibt interessante Hinweise zur Anwendung des § 132 GWB. Neben der Wertung der Ersetzung des Auftragnehmers nach einer Kündigung als wesentliche Auftragsänderung i.S.d. § 132 Abs. 1 GWB, die in der Literatur und Rechtsprechung schon lange vertreten wurde, sind vor allem die Ausführungen zur Auftragswertberechnung von großer praktischer Relevanz. Bislang wurde vielfach vertreten, dass bei § 132 GWB für die Frage der EU-weiten Ausschreibungspflicht grundsätzlich nur der Wert der Änderung maßgeblich sein soll. Laut VK Brandenburg soll das im Fall von Losen anders sein: Da es in Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU heißt, dass Auftraggeber einen Auftrag in Form mehrerer Lose vergeben könne, gibt es auch bei einer Losvergabe nur einen Auftrag und damit auch nur einen Auftragswert. Daher sei es irrelevant, dass im vorliegenden Fall die neuauszuschreibenden Losen wertmäßig unterhalb der Schwellenwerte liegen.

Nicht überzeugend ist hingegen die Annahme der VK, die Grundbedingungen der ursprünglichen Ausschreibung würden bei Neuausschreibung automatisch und ohne besonderen Hinweis weitergelten. Dies lässt sich schwer mit dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot in Einklang bringen, da nicht vorausgesetzt werden kann, dass insbesondere neue Bieter den Inhalt der ursprünglichen Ausschreibung kennen. Aber auch der hiesige AST konnte ohne entsprechende Hinweise in den Unterlagen nicht davon ausgehen, dass die Zuschlagslimitierung aus der ursprünglichen Ausschreibung weiterhin Bestand hat. Richtigerweise hätte das Vergabeverfahren neu EU-weit ausgeschrieben werden müssen. In diesem neuen vergabeverfahren hätte der AG dann den Hinweis auf die Zuschlagslimitierung aufnehmen können.

Praxistipp

Soweit sich die Vergabekammer insoweit auf den Aufsatz von Herrn Summa bezieht (VPR 2018, Heft 1, Die vergaberechtsfreie Auftragsänderung Chancen, Risiken und Nebenwirkungen (Teil 2/2) ), so ist zu beachten, dass Herr Summa auch in anderen Fällen wesentliche Auftragsänderungen als zwingend EU-weit auszuschreiben ansieht, selbst wenn der Wert der Änderung unterhalb der Schwellenwerte liegt. So sollen zusätzliche Leistungen, die ursprünglich als Teil- oder Fachlose hätten ausgeschrieben werden können, auch zur Umsetzung der Änderung so ausgeschrieben werden. Anzuwenden wäre dann immer das für den Gesamtauftrag geltende Regelungswerk. Allerdings könne der Auftraggeber die zusätzlichen Leistungen ausnahmsweise nachträglich dem 20%-Kontingent (§ 3 Abs. 9 VgV) zuordnen, wenn es nicht schon durch die frühere Ausschreibung verbraucht ist.

Diese Argumentation ist überzeugend, da auch § 3 Abs. 7 VgV generell vom Gesamtauftrag ausgeht, ohne zu definieren, in welchem zeitlichen Abstand voneinander die Lose ausgeschrieben werden. Maßgeblich ist vielmehr allein die funktionale Betrachtung des Auftrags. Es ist deshalb folgerichtig, alle Teile eines Auftrags zusammenzurechnen, egal ob es sich um echte Lose oder um solche Teile handelt, die nachträglich hinzugetreten sind.

Kontribution
Dieser Beitrag wurde unter Mitwirkung von Frau stud. jur. Neele Schauer (wiss. Mitarbeiterin bei FPS Frankfurt) verfasst.

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Über Aline Fritz

Frau Fritz ist seit 2000 im Bereich des Vergaberechts tätig und seit 2002 Rechtsanwältin bei FPS Rechtsanwälte und Notare, Frankfurt. Sie berät sowohl die öffentliche Hand bei der Erstellung von Ausschreibungen als auch Bieter in allen Phasen des Vergabeverfahrens. Frau Fritz hat umfassende Erfahrungen in der Vertretung vor diversen Vergabekammern und Vergabesenaten der OLGs. Des Weiteren hat sie bereits mehrere PPP-Projekte vergaberechtlich begleitet. Frau Fritz hält regelmäßig Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin.

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2 Kommentare

  1. Interessierter

    Hallo,

    eine interessante Entscheidung. Mir ist die rechtliche Herleitung allerdings nicht so ganz klar.

    § 132 GWB ermöglicht unter gewissen Voraussetzungen, Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit, weil sie unwesentlich sind, direkt an den Dienstleister des ursprünglichen Hauptauftrags zu vergeben. Wenn die Änderungen jedoch als wesentlich im Sinne des § 132 GWB eingestuft werden, dann handelt es sich vergaberechtlich nicht mehr um einen unwesentlichen, zulässigerweise direkt zu vergebenden Nachtrag, sondern um eine wesentliche Änderung, die nicht direkt vergeben werden darf, sondern um eine solche, die den Regeln einer Neuausschreibung unterliegt, da es sich um einen neuen, separaten Vertrag handelt. Wenn es sich aber um einen neuen, separat auszuschreibenden Vertrag handelt, dann fällt es mir schwer, § 132 GWB als Begründung für eine europaweite Ausschreibung anzuführen, da man sich dann eben nicht im § 132 GWB, sondern in einem neuen Vertrag mit einer neuen Ausschreibung bewegt. Auch das Argument „ein Auftrag kann in mehreren Losen vergeben werden“, sodass es nur einen Auftrag und nur einen Auftragswert geben kann, ist für mich zu weit hergeholt. Aufgrund der Kündigung eines Loses gibt es doch gerade nicht nur einen Auftrag, sondern eben einen neuen, zweiten Auftrag. Folglich sollte es doch zulässig sein, diesen neuen Auftrag nach eigenen Regelungen zu vergeben, weil er aufgrund der Kündigung separat daneben steht. Es ist ja nicht so, dass man durch die Kündigung eines aufgrund einer europaweiten Ausschreibung zustande gekommenen Vertrags das Vergaberecht umgeht, weil man dann nationale ausschreiben kann. Auch eine Kündigung hat grundsätzlich ihre Voraussetzungen, die eingehalten werden müssen.

    Grüße

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    • Aline Fritz

      Lieber interessierter Leser,

      die rechtliche Herleitung ist – wie häufig im Vergaberecht – in der Tat sehr „funktional“ getrieben und sicherlich auch nicht in Stein gemeißelt. Aber gerade in großen Projekten mit vielen Nachträgen muss man sich darüber zumindest Gedanken machen, ob man wirklich immer auf der sicheren Seite steht, wenn der Auftragswert des Nachtrags den Schwellenwert unterschreitet, aber die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 oder Abs. 3 nicht vorliegen.

      Zu § 132 Abs. 2 sei nur bemerkt, dass aus meiner Sicht die dort genannten Fällen nicht per se „unwesentliche“ Änderungen betreffen, sondern es durchaus „wesentliche“ Änderungen sein können, die aber bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 2 als zulässig gelten.

      Mit vorweihnachtlichen Grüßen

      Reply

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