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Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb? Hohe Anforderungen! (VK Sachsen, Beschl. v. 04.12.2018 – 1/SVK/023-18)

EntscheidungEin Auftraggeber darf ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Bieter nur dann durchführen, wenn er darlegen kann, dass kein anderes Unternehmen in der EU in der Lage ist, die zu beschaffende Leistung zu erbringen. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist der dennoch abgeschlossene Vertrag nichtig.

GWB § 135 VgV § 14 Abs. 4 lit. b)

Leitsatz

  1. Die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV – kein Wettbewerb aus technischen Gründen – sind vom öffentlichen Auftraggeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Nur falls er nachweist, dass tatsächlich nur ein Unternehmen in der EU in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen, ist ein Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag tatsächlich unmöglich und die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens obsolet.
  2. Kann der öffentliche Auftraggeber die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV nicht nachweisen, geht das zu seinen Lasten.
  3. Der bei einem Produktwechsel entstehende Mehraufwand ist allein grundsätzlich nicht geeignet, um eine Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV zu rechtfertigen. Dafür ist es vielmehr erforderlich, dass das Unternehmen, mit dem der Auftrag durchgeführt werden soll, über ein (technisches) Alleinstellungsmerkmal verfügt.
  4. Die stichwortartige Begründung „Reduzierung Arbeitsaufwand“ kann einen Verzicht auf eine Losbildung wegen wirtschaftlicher oder technischer Gründe nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB nicht rechtfertigen.

Sachverhalt

Der Auftraggeber machte mit EU-Bekanntmachung vom 27.04.2018 öffentlich, am 06.04.2018 einen Auftrag zur Lieferung des Jahresbedarfs 2018/2019 an diversen Laborverbrauchsmaterialien (Testkits, Chemikalien, Reagenzien für PCR- und Veterinärdiagnostik) vergeben zu haben (es dürfte sich nach Recherche des Autors um die Bekanntmachung 2018/S 082-183850 handeln). Insgesamt handelte es sich um 62 verschiedene Produkte. In der Bekanntmachung führte der Auftraggeber aus, die Leistungen in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben zu haben, da aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden sei. Nach der Erläuterung in der Bekanntmachung soll es sich bei den zu liefernden Artikeln hauptsächlich um spezielle Laborverbrauchsmaterialien (Testkits, Chemikalien, Reagenzien u. a.) für die beim Auftraggeber vorhandenen Geräte des Auftragnehmers oder um für die Untersuchungsmethoden des Auftraggebers validierte Produkte handeln. Der Auftragnehmer sei Hersteller und Alleinvertreiber ihrer Produkte und komme als einziges Unternehmen für die Lieferung in Betracht.

Ein anderes Unternehmen entdeckte die Bekanntmachung und rügte die Direktvergabe ohne Wettbewerb. Nachdem der Auftraggeber der Rüge nicht abhalf, stelle das Unternehmen einen Nachprüfungsantrag bei der VK Sachsen und beantragte, den Vertrag für unwirksam zu erklären. Das Unternehmen (die Antragstellerin) war der Ansicht, dass nicht nur der Auftragnehmer (die Beigeladene), sondern auch Dritte, vor allem sie selbst, in der Lage seien, die vergebenen Leistungen anzubieten. Technische Gründe, welche den Wettbewerb ausschlössen, lägen somit nicht vor.

Der Auftraggeber war indes weiterhin der Ansicht, nur die Beigeladene könne den Auftrag ausführen. Es handele sich um gerätespezifische Produkte, sodass nur die Beigeladene in der Lage sei, den Auftrag auszuführen. Außerdem seien die validierten Prüfverfahren des Auftraggebers nur auf die Produkte der Beigeladenen abgestimmt. Produkte anderer Hersteller müssten zunächst geprüft und validiert werden, was einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand erfordere.

Die Entscheidung

Die VK erklärt den geschlossenen Vertrag für unwirksam. Der Auftraggeber hat den Vertrag ohne vorherige Bekanntmachung geschlossen, ohne dass er hierzu berechtigt war, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nur mit der Beigeladenen nach § 14 Abs. 4 lit. b) VgV liegen nicht vor. Dies wäre nur der Fall, wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist.

Der Auftraggeber, welcher im Streitfall beweisen muss, dass solche technischen Gründe vorliegen, hat solche nicht darzulegen vermocht. Es wäre erforderlich gewesen, darzulegen, dass außer der Beigeladenen kein anderes Unternehmen in der EU in der Lage ist, die geforderten Produkte zu liefern. Der Anbieter müsse praktisch Monopolist für die nachgefragte Leistung sein. Nur soweit dieser Nachweis gelingt, ist ein Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag tatsächlich unmöglich und die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens obsolet. Der Auftraggeber hat jedoch in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer selbst eingeräumt, dass es Alternativen zu den Produkten der Beigeladenen gibt. Bereits aus diesem Grund besteht kein Ausschließlichkeitsrecht der Beigeladenen, welches den Verzicht auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren rechtfertigt.

Ohne die Norm des § 14 Abs. 6 VgV zu nennen, kritisiert die VK zudem, dass der Auftraggeber keine Markterkundung durchgeführt hat. Dies, und deren Dokumentation, seien aber erforderlich, um die technischen Gründe, welche den Wettbewerb ausschießen, darzulegen.

Mit klaren Worten weist die VK das Argument des Auftraggebers zurück, die Zulassung von Alternativen sei unwirtschaftlich:

Soweit die Auftraggeberin hierzu weiter ausführt, dass durch einen Wechsel der Laborverbrauchsmittel entstehende Aufwand der Auftraggeberin eine „schnelle, unkomplizierte Einführung neuer Testkits“ verhindere, muss dem mit aller Deutlichkeit entgegnet werden, dass dies kein Argument ist, welches den Verzicht auf den Wettbewerb begründen kann. Auch soweit die Auftraggeberin den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit heranzieht um einen möglichen Wettbewerb zu verhindern (!), kann dem nicht gefolgt werden. Durch die Ermöglichung eines breiten Wettbewerbs hätte die Auftraggeberin konkurrierende Bieter zur Abgabe von wirtschaftlichen Angeboten aufgefordert und mit hoher Wahrscheinlichkeit günstigere Einkaufspreise erzielt, als wenn sie sich jahrelang ausschließlich an die Beigeladene wendet.

Mangels Ausschließlichkeitsrecht erklärte die VK den geschlossenen Vertrag für unwirksam und verpflichtete den Auftraggeber, die Leistungen bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in einem förmlichen Vergabeverfahren auszuschreiben. Für dieses Verfahren gibt die VK dem Auftraggeber noch auf den Weg, dass er bei der Neuausschreibung das Gebot der Losvergabe zu beachten hat. Die vom Auftraggeber einzig für die Zusammenfassung aller 62 Produkte gegebene Begründung Reduzierung Arbeitsaufwand reicht hierfür nicht, denn er trifft bei jeder Losbildung zu.
Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber sind gut beraten, das Vorliegen von Ausschließlichkeitsrechten vor Abschluss des Vertrages sorgfältig zu dokumentieren und hierbei insbesondere die Anforderungen des § 14 Abs. 6 VgV zu beachten. Hierbei wird es wohl erforderlich sein, eine Markterkundung durchzuführen und deren Ergebnis dem Vergabevermerk beizufügen. Lediglich floskelhafte Begründungen genügen zum Nachweis des Vorliegens von Ausnahmetatbeständen im Vergaberecht grundsätzlich nicht. Dies gilt sowohl wie die Entscheidung der VK Sachsen anschaulich zeigt sowohl im Rahmen der Begründung der Zulässigkeit einer nicht einschränkungslos zugelassen Verfahrensart als auch für ein absehen von der Losvergabe.

Die Rechtsfolgen der von der Vergabekammer ausgesprochenen Unwirksamkeit des Vertrages sind gravierend: Bereits erhaltene Leistungen sowie bereits geleistete Zahlungen sind zurückzugewähren. Der unwirksame Vertrag ist nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln. Für einen weiteren Leistungsaustausch besteht keinerlei Anspruchsgrundlage. Eine Interimsvergabe zur Deckung des Beschaffungsbedarfs ist in zeitlicher Hinsicht nur insoweit zulässig, als hiermit lediglich der Zeitraum bis zum Abschluss des ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens überbrückt werden darf.

Unternehmen, welche sich auf Märkten betätigen, welche durch eine sehr enge Wettbewerbssituation ausgezeichnet sind, sollten die Veröffentlichungen im TED nicht nur hinsichtlich der Bekanntmachung von Ausschreibungen, sondern auch hinsichtlich der Bekanntmachung vergebener Aufträge durchsuchen, um eine unter Umständen unzulässige Direktvergabe identifizieren zu können und diese innerhalb der Frist von 30 Kalendertagen (§ 135 Abs. 2 Satz 1 GWB) anzugreifen. Nach Ablauf dieser 30-tägigen Frist ist der Vertrag vergaberechtlich unangreifbar. Selbiges gilt im Übrigen dann, wenn nach Vertragsschluss 6 Monate vergangen sind, auch wenn die Vergabe des Auftrages nicht im Amtsblatt der EU kann gemacht worden ist.

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Über Dr. Oskar Maria Geitel

Dr. Oskar Maria Geitel ist Partner, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Rechtanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Berlin. Er berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit stellt die rechtliche Begleitung von Bauvorhaben bezüglich aller Fragen des Baurechts dar, welche sich unmittelbar an die Begleitung des Vergabeverfahrens anschließt. Herr Geitel ist Kommentarautor, Lehrbeauftragter für Vergaberecht und Dozent bei diversen Bildungseinrichtungen.

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