Wer hätte gedacht, dass sich ausgerechnet Cannabis-Lieferanten als so streitlustig erweisen könnten? Das bundesweit erstmalige Vergabeverfahren für Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken ist jedenfalls offenbar ein beliebter Gegenstand von Nachprüfungsverfahren (vgl. z.B. Beiträge im Vergabeblog: Zuschlagsverbot im Vergabeverfahren um Anbaurechte von Cannabis zu medizinischen Zwecken, Vergabeblog.de vom 04/04/2018, Nr. 36611; Vergaberechtsverstöße können bei zweistufigen Vergabeverfahren bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden! (VK Bund, Beschl. v. 13.11.2017 VK 1 117/17, Vergabeblog.de vom 14/12/2017, Nr. 34696).
In dem zuletzt eingelegten Nachprüfungsverfahren wandte sich ein Bieter gegen zahlreiche Bestimmungen der Vergabeunterlagen, unter anderem auch gegen das vorgesehene System der Angebotsbewertung. Die diesbezüglichen Ausführungen der Vergabekammer des Bundes sind durchaus auch über den Einzelfall hinaus interessant.
§ 127 Abs. 1 GWB
Leitsatz
Sachverhalt
Der Auftraggeber hatte den Bietern im Rahmen einer (teil)funktionalen Ausschreibung weite Spielräume bei der Art und Weise der Leistungserbringung gelassen. Ein Bieter wandte sich u.a. gegen verschiedene Aspekte der Angebotswertung.
Nicht alle Konzepte werden bewertet
So beanstandete der Bieter insbesondere, dass einige der zahlreichen, geforderten Konzepte nicht in die Angebotswertung eingingen, obwohl sämtliche Konzepte letztlich Vertragsbestandteil würden. Er war der Meinung, dass die Angebotswertung so nicht den Unterschieden der Angebote gerecht werde, da aufgrund der funktionalen Leistungsbeschreibung qualitativ sehr unterschiedliche Leistungsangebote zu erwarten seien.
Die maximale Punktzahl wird in jedem Kriterium nur einmal vergeben
Außerdem beanstandete er das für die Konzeptbewertung vorgesehene Wertungssystem als solches. Den Vergabeunterlagen zufolge waren für jedes Kriterium maximal fünf Wertungspunkte vorgesehen. Die maximale Punktzahl von fünf Wertungspunkten wurde dabei unter folgenden Voraussetzungen erreicht:
Die Qualität des Konzepts () ist der Zielerreichung in besonderer, außergewöhnlicher Weise dienlich, weist keine Schwächen auf und hebt sich im Vergleich zu allen anderen Angeboten erheblich ab.
Die Zuteilung der übrigen vier Punktstufen war davon abhängig, ob die Qualität des Konzepts der Zielerreichung in sehr guter, guter, befriedigender oder gerade noch ausreichender Weise dienlich war sowie ob sie keine, keine nennenswerten Schwächen, Schwächen oder größere Schwächen aufwies.
Der Bieter monierte, dass dieses Bewertungssystem inkonsequent und uneinheitlich sei, da die beste Punktstufe – im Gegensatz zu allen anderen Punktstufen – bei jedem Kriterium nur ein einziges Mal erteilt werden könne.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Die Vergabekammer bestätigte das Wertungssystem des Auftraggebers in allen Punkten als vergaberechtskonform.
Der Auftraggeber muss nicht alle Konzepte bewerten
Der Auftraggeber war berechtigt, nicht sämtliche der geforderten Konzepte in der Angebotswertung zu berücksichtigen. Grundsätzlich liege es bei ihm, im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts auch über die qualitativen Zuschlagskriterien zu entscheiden. Dies war im vorliegenden Fall auch diskriminierungsfrei erfolgt.
Insbesondere hob die Kammer hervor, dass den Bewerbungsbedingungen zufolge diejenigen Konzepte, die nicht in der Angebotswertung berücksichtigt wurden, dazu dienten, zu prüfen, ob die Leistung vertragskonform erbracht werde und die in der Leistungsbeschreibung genannten Anforderungen erfüllt seien. Solche Plausibilitätsprüfungen seien in der Vergaberechtsprechung inzwischen anerkannt. Bei Nichterfüllung der Grundanforderungen wären Angebote bereits auf der ersten Wertungsstufe gemäß § 57 VgV auszuschließen – auch diese Ausschlussgründe dienten letztlich der Vergleichbarkeitsbeurteilung.
Bei der Gestaltung des Bewertungssystems hat der Auftraggeber einen weiten Spielraum
Die Vergabekammer bestätigte darüber hinaus das vorgesehene Bewertungssystem als vergaberechtskonform und verwies auch hier auf den weiten Spielraum des Auftraggebers. Allein dadurch, dass nur ein Bieter je Zuschlagskriterium die Höchstpunktzahl erhalten könne, die anderen Punkte jedoch mehrfach vergeben werden könnten, seien die Grenzen dieses Spielraums nicht überschritten. Vor allem sei diese Vorgehensweise nicht inkonsequent oder unvollständig. Es entspreche dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach es zwar mehrere befriedigende oder gute Leistungen, aber nur eine einzige, („die“) beste Leistung geben könne. Mutmaßlich sei es zwar richtig, dass der Wertungsaufwand durch die erforderliche Reihung der Konzepte erhöht sei, dies betreffe jedoch nicht das Rechtsschutzinteresse der Bieter.
Rechtliche Würdigung
Zu Recht bestätigt die Entscheidung den Spielraum der Auftraggeber bei der Erstellung der Zuschlagskriterien und der Bestimmung des Angebotswertungssystems. Sie knüpft hier an die Maßgaben des BGH an, der zuletzt in Bezug auf die Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf den weiten Spielraum der Auftraggeber stärkte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017, Az: X ZB 3/17).
„Verifizierende Konzepte“ können durchaus sinnvoll sein
Richtig ist insbesondere, dass Angebotsbestandteile, welche (wie im vorliegenden Fall die geforderten Konzepte) die Leistung beschreiben, nicht zwangsläufig im Rahmen der Angebotswertung berücksichtigt werden müssen. Vielmehr dürfen sie auch zu dem Zweck eingeholt werden, zu prüfen, ob die angebotene Leistung die festgelegten, funktionalen Anforderungen bzw. die Mindestanforderungen erfüllt. Dies gilt auch und gerade bei funktionalen Ausschreibungen, bei denen diese Anforderungen auf verschiedene Weise erfüllt werden können. Dabei kommen – je nach Einzelfall – neben Konzepten auch Bemusterungen, Präsentationen oder Teststellungen als Prüfungsinstrument in Betracht, bei letzteren unterscheidet man dementsprechend zwischen „verifizierenden“ und „bewertungsrelevanten“ bzw. „wertenden“ Teststellungen. Oft ist es sogar äußerst ratsam, die Einhaltung von Mindestanforderungen anhand von Konzepten zu überprüfen und so schon vor Zuschlag sicherzustellen – denn nach Abschluss des Vergabeverfahrens bleiben dem Auftraggeber nur noch vertragsrechtliche Sanktionen.
Die maximale Punktzahl darf schwer zu erreichen sein
Auch war das Wertungssystem nicht inkonsequent, soweit es einen Wechsel zwischen relativer und absoluter Bewertungsmethode angeht.
Zur Erläuterung der Begriffe:
Bei einer relativen Bewertungsmethode entscheidet der Vergleich mit den übrigen Angeboten darüber, welcher Angebotsinhalt die beste Punktzahl erhält. Auch ein absolut betrachtet schlechtes Angebot erhält hier die maximale Punktzahl, wenn die übrigen Angebote noch schlechter sind. Bei einer absoluten Bewertungsmethode ist hingegen der Grad der Erfüllung der auftraggeberseitigen Ziele entscheidend. Die maximale Punktzahl erhält hier nur, wer die Erwartungen und Ziele des Auftraggebers optimal erfüllt. Beide Bewertungsmethoden sind grundsätzlich zulässig (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.04.2017, Az.: 6 U 151/16 Kart m.w.N.)
Die maximale Punktzahl erhielt im entschiedenen Fall ein Angebot nur, wenn es in besonderer, außergewöhnlicher Weise der Zielerreichung diente und keine Schwächen aufwies: dies entspricht einem absoluten Maßstab. Die zusätzliche Anforderung, dass sich das Konzept im Vergleich zu allen anderen Angeboten erheblich abheben musste, sorgte lediglich für eine äußerst restriktive Handhabung dieser höchsten Punktstufe, nicht aber für einen Wechsel der Bewertungsmethode als solches.
Eine restriktive Handhabung der Bestpunktzahl ist auch vergaberechtlich zulässig. Denn selbst eine Bewertungsmethode, die dazu führt, dass die gewählte Punkteskala voraussichtlich sogar nur in einem kleinen Segment ausgeschöpft wird, ist (von krassen Ausnahmefällen abgesehen) noch nicht vergaberechtswidrig (vgl. BGH, Beschluss vom 04.04.2017, Az.: X ZB 3/17 im Kontext der linearen Preisumrechungsmethode).
Praxistipp
Festzuhalten ist: Grundsätzlich haben Auftraggeber bei der Gestaltung des Bewertungssystems für Angebote vergaberechtlich gesehen einen weiten Spielraum. Nicht jede rechtlich zulässige Gestaltung ist aber im Einzelfall auch vergabestrategisch günstig. Da Zuschlagskriterien und Wertungssystematik die Vergabeentscheidung maßgebend steuern, empfiehlt sich eine sorgfältige Konzeption.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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