Eine unter kommunaler Mehrheitsbeteiligung geführte Wohnungsbaugesellschaft ist kein öffentlicher Auftraggeber, wenn sie ihre Aufgaben mit Gewinnerzielungsabsicht und daher gewerblich wahrnimmt. Allein die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch ein im „Staatseigentum“ stehendes Unternehmen genügt nach der ausdrücklichen Fassung des § 99 Nr. 2 GWB und auch nach der Rechtsprechung des EuGH für die Anwendung der Norm gerade nicht: Das Erfordernis von „Aufgaben nichtgewerblicher Art“ stellt ein selbständiges Tatbestandsmerkmal dar, dessen Erfüllung nicht etwa indiziert ist, wenn ein Unternehmen zu dem Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen.
§ 99 GWB
Sachverhalt
Der Entscheidung liegt eine Auseinandersetzung zwischen einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft und einem Malereibetrieb zugrunde. Der öffentliche Auftrag für ein großes Wohnungsbauvorhaben, der auch Malerarbeiten beinhaltete, wurde ohne vorherige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens an eine Generalunternehmerin erteilt.
Die Geschäftsanteile der Wohnungsbaugesellschaft werden mittelbar zu 100 % von der Freien und Hansestadt Hamburg (im Folgenden: FHH) über eine Beteiligungsstruktur gehalten. Die FFH bestimmt zudem auch mehr als die Hälfte der Organmitglieder. Die Wohnungsbaugesellschaft, deren Gesellschaftszweck es ist, eine sichere und sozial verantwortliche Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung zu angemessenen Preisen sicherzustellen, wurde zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen.
Die Entscheidung
Sowohl die Vergabekammer als auch das OLG kamen zu dem Schluss, dass der Rechtsweg zu den Vergabeinstanzen nicht eröffnet ist, da es sich bei der Wohnungsbaugesellschaft nicht um eine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 99 GWB handelt.
Im Ergebnis konnte die Wohnungsbaugesellschaft bei einer umfassenden Gesamtwürdigung ihrer Geschäftstätigkeit und ihrer Struktur nicht als juristische Person des Privatrechts,
im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB eingestuft werden.
Zwar ging das OLG davon aus, dass die Wohnungsbaugesellschaft als GmbH eine juristische Person des Privatrechts sei, die unter der vollständigen Kontrolle der FFH und damit einer Gebietskörperschaft stünde. Das Gericht nahm zudem auch an, dass diese zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe würde sie jedoch gewerblich tätig. D.h. soweit sie (neben anderen Aufgaben) auch zum Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge gehörende Zielvorgaben der FHH als ihrer (wirtschaftlichen) Eigentümerin wahrnähme, erfülle sie diese mit gewerblichen Mitteln. Allein die Verfolgung staatlicher Zielsetzungen mache die Antragsgegnerin damit noch nicht zum „öffentlichen Auftraggeber“ im Sinne des § 99 GWB.
Rechtliche Würdigung
Das Gericht hebt zutreffend hervor, dass es sich bei dem Begriff „nichtgewerblicher Art“ um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 99 GWB handelt, der allerdings weniger an den Zuschnitt der Aufgaben selbst als vielmehr an die Art und Weise deren Erfüllung anknüpft. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:
Nach Auffassung des Gerichts erfüllt die hier in Frage stehende Wohnungsbaugesellschaft keines der angeführten Kriterien. Interessant an der ausführlichen Auseinandersetzung des Gerichts mit der Gewerblichkeit sind insbesondere folgende Punkte:
Das OLG setzt sich mit der Situation auf dem Hamburger Wohnungsmarkt auseinander und kommt zu dem Schluss, dass nicht die Rede davon sein könne, dass die Antragsgegnerin sich in einem Bereich betätige, in dem keine Marktbedingungen herrschten. Dies gelte unabhängig davon, dass der Mietwohnungsmarkt in Hamburg sich derzeit, insbesondere im Bereich der eher günstigen Mietpreise, als echter Angebotsmarkt mit einem deutlichen Nachfrageüberhang darstelle. Dies sage jedoch nichts über den Wettbewerb der auf Anbieterseite auf diesem Markt tätigen Unternehmen aus. Entscheidend für die Qualifizierung als öffentlicher Auftraggeber müsse insoweit sein, ob sich die Wohnungsbaugesellschaft im Vergleich zu den anderen Anbietern in einer marktbezogenen Sonderstellung befände und aus diesem Grunde nicht mehr in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig würde. Dies sei im Ergebnis nicht ersichtlich.
Auch der Umstand, dass die Wohnungsbaugesellschaft sich die Schieflage des Marktes nicht zu Nutze mache, um die Mieten zu erhöhen, , schließe die Gewerblichkeit nicht aus. Selbst wenn die Antragsgegnerin eine Durchschnittsmiete unter der gewichteten Durchschnittsmiete des Hamburger Mietenspiegels und sogar unter der Eingangsmiete des ersten Förderwegs vereinnahmen sollte, so sei auch hiermit nicht belegt, dass sie gemeinnützig und nicht gewerblich handeln würde. Eine Einrichtung könne nämlich schon dann als gewerblich handelnd im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB einzustufen sein, wenn sie zwar ohne unmittelbare Gewinnerzielungsabsicht, aber doch nach Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien arbeite.
Anlass für eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof sah das Gericht indes nicht. Insbesondere weiche der Senat nicht von der Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 06.12.2016 (6 Verg 4/16) ab. Vielmehr beruhe die vorliegende Entscheidung auf einer strikt einzelfallbezogenen Anwendung eben derjenigen Obersätze, die auch das Brandenburgische OLG seinem Beschluss zu Grunde gelegt habe (vgl. ).
Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Hamburg ist, wie das Gericht zu Recht hervorhebt, eine Einzelfallentscheidung. Hieraus kann dementsprechend nicht abgeleitet werden, dass nunmehr generell die öffentliche Auftraggebereigenschaft aller öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft in Frage gestellt werden kann. Aufgrund der ausführlichen schriftlichen Auseinandersetzung mit allen vorgetragenen Argumenten liefert der Beschluss aber eine gute Grundlage für die Bewertung anderer Gesellschaften. Dankenswerter Weise wird v.a. zwischen dem Allgemeinwohlziel und den Anforderungen an die Gewerblichkeit der Tätigkeit eine klare Trennlinie gezogen, die ansonsten in der Diskussion immer wieder zu verwischen droht.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Eric Schneider verfasst.
Eric Schneider ist seit dem Jahr 2017 Rechtsanwalt bei der Luther Rechtsanwaltsgeselschaft mbH. Herr Schneider berät sowohl die öffentliche Hand bei der Gestaltung von Vergabeverfahren als auch Bieter bei der Angebotserstellung und Abgabe. Er vertritt Auftraggeber wie Bieter vor den Nachprüfungsinstanzen. .
Dr. Rut Herten-Koch berät sowohl die öffentliche Hand und ihre Unternehmen als auch private Eigentümer, Investoren, Projektentwickler und Bieter in Vergabeverfahren. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Begleitung und Gestaltung komplexer Verfahren – sei es im Bauplanungs- oder im Vergaberecht. Darüber hinaus vertritt Rut Herten-Koch ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen und den Verwaltungsgerichten. Seit 2002 ist sie als Rechtsanwältin im Bereich öffentliches Recht und Vergaberecht in Berlin tätig. Rut Herten-Koch ist seit Juli 2015 Partnerin bei Luther.
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