Am 12. April hat sich das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) erstmalig mit einer eigenen Tagung erfolgreich dem spannenden Themenfeld der Vergaben im Gesundheits- und Sozialwesen angenommen.
Die Agenda spannte den Bogen von der jüngeren Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in diesem Bereich, über die jüngsten gesetzgeberischen Entwicklungen bei der Ausschreibung von Hilfsmitteln, bis zum Urteil des EuGH vom 21. März zur Bereichsausnahme für Rettungsdienstleistungen, welches mit Vorträgen von Vertretern der Prozessparteien und einer Podiumsdiskussion aufgrund der Aktualität einen thematischen Schwerpunkt bildete.
Nach der Begrüßung durch Jan Buchholz, Leiter der Geschäftsstelle des DVNW, folgte der thematische Einstieg in „Das Recht der Vergabe sozialer Dienstleistungen – Stand und Entwicklungen seit 2016, insbesondere in der Gesundheitsvergabe“ durch Dr. Silvia Leipelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Ihr schloss sich die Vorsitzende Richterin des Vergabesenats, des 2. Kartellsenats und des 27. Zivilsenats Vergabesenats beim OLG Düsseldorf, Dr. Christine Maimann, mit einem einstündigen Referat zur „Beschaffung von Hilfsmitteln nach SGB V: Rechtsschutz durch vergaberechtliche Nachprüfung? – Aktuelle Rechtsprechung des OLG Düsseldorf“ an.
Die Teilnehmenden aus den unterschiedlichsten Bereichen des öffentlichen Sektors, der Marktteilnehmer und der Rechtspflege nahmen das Angebot zum Dialog dankenswert an und so wurde lebhaft über die Entwicklungen des Rechts und seiner Wirkung debattiert.
Erwartungsgemäß kontrovers wurde sodann auch mit Dr. Sophy Stock aus dem Bundesministerium für Gesundheit diskutiert, die über die „Hintergründe und Perspektiven zu aktuellen Reformen im Bereich der Hilfsmittelbeschaffung“ informierte.
Rund einen Monat zuvor, am 14. März, hatte der Bundestag das Gesetz „für schnellere Termine und bessere Versorgung“ (Terminservice- und Versorgungsgesetz, TSVG) beschlossen, welches die aus Sicht des Gesundheitsministeriums schlecht funktionierende Ausschreibungspflicht von Hilfsmitteln beendet (siehe Vergabeblog.de vom 26/03/2019, Nr. 40253). Der maßgebliche § 127 SGB V wird nämlich dahingehend geändert, dass Hilfsmittel zukünftig „im Wege von Vertragsverhandlungen“ beauftragt werden können.
Dieser Befund stieß auf Unverständnis verschiedener anwesender TeilnehmerInnen. Krankenkassen, die einerseits die Ausschreibungspraxis verteidigten, fragen sich, was nun mit den laufenden Verträgen passieren solle. Die Gesetzesnovelle sähe eine Übergangsfrist von 12 Monaten für laufende Verträge vor. Mit Ablauf der Übergangsfrist sollen diese unwirksam werden. Bei einigen Marktteilnehmer bestehen Zweifel daran, dass wirksam geschlossene Verträge vorfristig gekündigt werden können. Dem Vertragspartner stünde zumindest eine entsprechende Entschädigung zu. Dr. Stock verwies in diesem Zusammenhang auf die positive rechtliche Prüfung durch das Ministerium, die ausführlichen Konsultationen im Vorweg der Gesetzesänderung sowie die Umsetzungsfrist, die als auskömmlich für den Abschluss neuer Verträge erachtet wird.
Nach einem Mittagimbiss, der gleichzeitig zum persönlichen Gespräch unter den Teilnehmenden einlud, ging es anschließend mit dem Schwerpunktthema Rettungsdienste weiter.
Das Thema beschäftigt die Vergabewelt bekanntlich schon einige Jahre (siehe auch die Beitragsserie „Vergabe von Rettungsdienstleistungen“ auf Vergabeblog). Jüngst endete das EuGH-Verfahren in der Rechtssache C-465/17 zur sog. „Bereichsausnahme Rettungsdienst“ mit der Bestätigung dieser und somit der Privilegierung von Hilfsorganisationen. Hierzu ausführlich Vergabeblog.de vom 06/05/2019, Nr. 40577 .
Nach einer kurzen Einführung zum Thema durch Jan Buchholz vom DVNW, trugen die Vertreter der Prozessparteien ihre Bewertungen des Urteils vor.
Dr. Pascal Friton von der Kanzlei Blomstein, der die Antragstellerin Falck Rettungsdienste GmbH, Falck A/S vertreten hatte, setzte sich in seinem Vortrag: „Die Rechtssache C-465/17 – Alles (un)klar?“, unter anderem mit der Frage auseinander, inwiefern denn die Anforderungen des EuGH an gemeinnützige Organisationen im Sinne der Bereichsausnahme von deutschen Hilfsorganisationen tatsächlich erfüllt seien. Nur weil diese im deutschen Recht als Zivil- oder Katastrophenschutzorganisationen anerkannt seien, könne dies nicht automatisch zu einer Erfüllung der EuGH-Anforderungen führen. Außerdem habe sich der EuGH nicht zu der Frage geäußert, ob – trotz dem Bestehen einer Bereichsausnahme – eine primärrechtliche Pflicht für die Auftraggeber bestehe, ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren durchzuführen.
René M. Kieselmann von SKW Schwarz Rechtsanwälte, der das Deutsche Rote Kreuz (DRK) – Kreisverband Solingen e.V. in dem Verfahren vertrat, verneinte dies in seinem Vortrag: „Die Bereichsausnahme Rettungsdienst – Wie geht es in der Praxis weiter?“. Ein Rückgriff auf Primärrecht könne es an dieser Stelle nach seiner Meinung nicht geben und sah sich insgesamt durch das Urteil in seiner Argumentation bestätigt. Vor dem Hintergrund der Verzahnung von Rettungsdienstleistungen mit dem Zivil- und Katastrophenschutz, bei dem die Hilfsorganisationen eine besondere Rolle spielen, sei es nur konsequent, die besagten Leistungen einer marktlichen Konkurrenz mit privaten Anbietern entziehen zu können.
Nach den beiden Vorträgen wurde die Diskussion dann in erweiterter Runde fortgesetzt.
Das Urteil sei eine Niederlage, so Prof. Klaus Runggaldier, Geschäftsführer der Falck Rettungsdienst GmbH. Er gab jedoch zugleich einen optimistischen Ausblick. Private Anbieter hätten in den letzten Jahren gezeigt, dass sie in der Lage seien, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Leistungen anzubieten. Dies rechtfertige ihre Berechtigung im Markt, die auch verteidigt werde.
Wolfgang Kast, Mitglied des Vorstandes beim Deutschen Roten Kreuz Generalsekretariat e.V., fühlt sich in der Argumentation der Hilfsorganisationen bestätigt. Grundsätzlich stelle er aber nicht in Frage, dass private Anbieter gute Arbeit leisten. Dennoch sei das Ende der Ausschreibungspraxis von Rettungsdienstleistungen richtig. Es diene dem Schutz der wichtigen Verknüpfungen zwischen Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz bei der Gefahrenabwehr.
In den darauffolgenden Minuten entwickelte sich eine lebhafte Debatte. Erfreulicherweise brachten sich Zuhörerinnen und Zuhörer, die beruflich mit dem Thema in Berührung stehen, mit Fragen und Meinungsbeiträgen ein.
Am Ende der Diskussion wurde jedoch deutlich, wie auch aus den Vorträgen der Prozessvertretern, dass durch das Urteil nicht alles geklärt ist. Die Debatte setzt sich fort.
Den Auftakt bildet die Urteilsbesprechung „Bereichsausnahme für Rettungsdienstleistungen – einige klare Antworten und viele offene Fragen (EuGH, Urt. v. 21.03.2019 – C-465/17)“ von Dr. Friton auf Vergabeblog.de vom 06/05/2019, Nr. 40577 , in der die Argumentation seines Vortrags nachgelesen werden kann.
René M. Kieselmann wird die Argumente seines Vortrags demnächst in einem eigenen Beitrag auf Vergabeblog darstellen und insbesondere das von ihm vorgeschlagene Auswahlinstrument, das sogenannte Planungsverfahren, näher erläutern.
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