Die Vergabekammer prüft nicht selbst die Auskömmlichkeit eines Angebots. Sie überprüft lediglich die Erwägungen der Vergabestelle. Die Auskömmlichkeitsprüfung durch einen öffentlichen Auftraggeber muss nachvollziehbar und sachgerecht sein. Dies muss sich für den Fall eines Nachprüfungsverfahrens für die Vergabekammer aus der Verfahrensdokumentation ergeben.
§ 60 VgV
Leitsatz
- Im Nachprüfungsverfahren prüft nicht die Vergabekammer die Auskömmlichkeit der angebotenen Preise. Prüfungsmaßstab der Vergabekammer ist vielmehr, ob die Aufklärung der Preise durch die Vergabestelle nachvollziehbar und sachgerecht erfolgt ist.
- Liegt nach Ansicht des öffentlichen Auftraggebers ein ungewöhnlich niedriges Angebot vor, muss er vom Bestbieter Aufklärung über seine Preise verlangen. Dem Bieter muss die Möglichkeit gegeben werden, nachzuweisen, dass er in der Lage ist, die ausgeschriebene Leistung ordnungsgemäß erbringen zu können. Es besteht insoweit kein Ermessen auf Seiten des Auftraggebers.
- Auch die anderen Teilnehmer am Vergabeverfahren können sich grundsätzlich und uneingeschränkt auf die Beachtung des Verfahrens nach § 60 Abs. 3 VgV berufen. Also darauf, dass die Vergabestelle die dort vorgesehene nähere Prüfung zur Preisbildung vornimmt. Jeder Bieter hat gemäß § 97 Abs. 6 GWB Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Weitergehende Kriterien (wie etwa das Vorliegen einer Marktverdrängungsabsicht) werden nicht verlangt.
Sachverhalt
Gegenstand des angegriffenen Verfahrens war die elektronische Erfassung von Postzustellungsurkunden. Diese Leistung wurde als separates Los parallel zur Erbringung von förmlichen Zustellungsaufträgen durch einen Postdienstleister ausgeschrieben.
Ein unterlegener Bieter rügte den vorgesehenen Zuschlag auf das Angebot des Bestbieters und stellte schließlich einen Nachprüfungsantrag.
Er argumentierte im Kern, das Angebot wäre als unauskömmlich auszuschließen gewesen. Er warf der Vergabestelle vor, diese habe das Angebot nicht ordnungsgemäß auf Auskömmlichkeit geprüft. Beim Angebot des Bestbieters müsse es sich um ein Unterkostenangebot handeln. Der Antragsteller führte aus, dass er selbst in zurückliegenden vergleichbaren Ausschreibungen – an denen sich auch der jetzige Bestbieter beteiligte – regelmäßig der günstigste Anbieter war. Im Übrigen habe er als inhabergeführtes Unternehmen eine wesentlich schlankere Kostenstruktur als der siegreiche Mitbewerber als Großunternehmen, sodass auch deshalb kein kostendeckendes Angebot des Erstplatzierten vorliegen könne. Vielmehr handele der Erstplatzierte hier in Marktverdrängungsabsicht.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück.
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (BGH v. 31.01.2017 – X ZB 10/16) führt die Vergabekammer aus, dass die Vergabestelle bei Vorliegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots verpflichtet sei, beim betreffenden Bieter Aufklärung zu verlangen und die Preise zu prüfen. Hierbei bestehe kein Ermessen. Zudem können sich auch andere Teilnehmer des Verfahrens darauf berufen.
Die Entscheidung der Vergabekammer betont recht deutlich, dass die Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren nicht etwa (erneut) die Auskömmlichkeit der angebotenen Preise überprüft. Der Prüfungsmaßstab der Vergabekammer sei „vielmehr, ob die Aufklärung der Preise durch die Vergabestelle nachvollziehbar und sachgerecht erfolgt ist.“
Im zu entscheidenden Fall hatte die Vergabestelle sich die Kalkulation vorlegen lassen und verlangte eine Stellungnahme, ob ein Unterkostenangebot abgegeben oder eine Mischkalkulation (bzgl. des separat ausgeschriebenen Loses) vorgenommen worden sei. Auf dieser Grundlage kam die Vergabestelle bei der Prüfung des Angebotspreises gemäß § 60 VgV zum Ergebnis, dass kein unauskömmliches Angebot vorliege. Sie stellte dabei insbesondere darauf ab, dass der Bestbieter offenbar mit einem höheren Automatisierungsgrad arbeite und insgesamt wesentlich höhere Auftragsvolumina bearbeite, sodass seine Fixkosten auf die Einzelleistung bezogen geringer seien. Eine Mischkalkulation mit dem parallel ausgeschriebenen Los (förmliche Zustellungen) könne ausgeschlossen werden, da der Bieter nicht davon ausgehen könne, in beiden Losen siegreich zu sein.
Dieses Ergebnis und die entsprechende Dokumentation in der Vergabeakte erachtete die Vergabekammer als nachvollziehbar und sachgerecht.
Die Vergabekammer führte in diesem Zusammenhang zudem aus, dass eine Vergabestelle im Rahmen einer Prüfung des Angebotspreises nicht verpflichtet sei, sämtliche Einzelpositionen in der Kalkulation zu hinterfragen, wenn diese schlüssig und nachvollziehbar erscheinen.
Rechtliche Würdigung
Seit der Entscheidung des BGH im Jahr 2017 ist die bis dahin heiß diskutierte Frage, ob die Beteiligten eines Vergabeverfahrens sich auf die fehlende Auskömmlichkeit des Angebots des Bestbieters berufen können, geklärt.
Die Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern konkretisiert in begrüßenswerter Weise zum einen den Umfang der Pflicht zur Preisprüfung durch den öffentlichen Auftraggeber nach § 60 VgV und zum anderen den Umfang der Überprüfung dieses Vorgangs durch die Vergabekammer. Da die Vergabekammer die Aufklärung des Preises „lediglich“ auf Sachgerechtigkeit und Nachvollziehbarkeit hin überprüft, verbleibt dem öffentlichen Auftraggeber ein gewisser Beurteilungsspielraum.
Praxistipp
Sobald ein Angebotspreis „ungewöhnlich niedrig“ erscheint, muss die Vergabestelle dies gegenüber dem betreffenden Bieter aufklären. Maßgeblich für die Frage, ob ein Angebotspreis ungewöhnlich niedrig erscheint, dürfte insbesondere die „Aufgreifschwelle“ eines Preisabstands von ca. 20% zum nächsthöheren Angebot sein. Während der Vergabestelle hierbei kein Ermessen zusteht, hat sie hingegen bei der Art und Weise der Aufklärung und der darauf basierenden Beurteilung des Angebotspreises gewisse Spielräume. Diesbezüglich prüft die Vergabekammer im Falle eines Nachprüfungsverfahrens lediglich, ob die Methode und die daraus gezogenen Schlüsse sachgerecht und nachvollziehbar waren. Dies muss sich aus der Vergabeakte ergeben. Dreh- und Angelpunkt ist deshalb eine sorgfältige Dokumentation durch die Vergabestelle.
Dr. Alexander Dörr
Dr. Alexander Dörr ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Er berät bundesweit in erster Linie die öffentliche Hand bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsprojekten sowie bei komplexen vergaberechtlichen Fragestellungen. Ein Schwerpunkt bildet dabei die rechtliche und strategische Begleitung von großvolumigen Ausschreibungsvorhaben öffentlicher Auftraggeber, überwiegend im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Daneben vertritt Herr Dörr regelmäßig öffentliche Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem hält er zu unterschiedlichen vergaberechtlichen Themen Schulungen und Seminare. Dr. Dörr ist unter anderem Dozent am Bildungszentrum der Bundeswehr. Er publiziert darüber hinaus zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und ist regelmäßiger Autor auf vergabeblog.de.
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