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Der Bieter darf sich grundsätzlich auch auf eine unzulässige Nachforderungsfrist verlassen! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.04.2019 – Verg 49/18)

EntscheidungNicht nur das „ob“ der Nachforderung ist Gegenstand umfangreicher vergaberechtlicher Literatur und Rechtsprechung. Auch die Festlegung der Nachforderungsfrist birgt vergaberechtliche Fallstricke. Im Fall einer fehlerhaften Festsetzung hat das OLG Düsseldorf nun bieterfreundlich entschieden.

VOB/A 2016 § 16a EU Satz 2, 4

Leitsatz

  1. Die Sechs-Tage-Vorlagefrist des § 16a EU Satz 2 VOB/A 2016 ist auch für den Auftraggeber eine verbindliche Höchstfrist.
  2. Eine (versehentlich) zu lang bemessene Vorlagefrist begründet beim Bieter ein grundsätzlich schutzwürdiges Vertrauen, diese Frist nutzen zu dürfen. Eine andere Bewertung ist möglich, wenn sich der öffentliche Auftraggeber bei der Fristbemessung von sachfremden, manipulativen Erwägungen leiten lässt, die mit den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung unvereinbar sind.

Sachverhalt

In einer europaweiten Bauausschreibung im offenen Verfahren gemäß VOB/A 2016 regelten die Vergabeunterlagen, dass die Nichtabgabe geforderter Unterlagen zum Angebotsausschluss führen könne, wenn der Bieter diese nach Aufforderung der Vergabestelle nicht innerhalb von 6 Kalendertagen nachreiche. Tatsächlich forderte die Vergabestelle den Bestbieter jedoch zur Nachreichung fehlender Unterlagen innerhalb von 10 Tagen auf. Der Bieter hielt die letztere Frist ein und sollte daraufhin bezuschlagt werden zulässigerweise?

Die Entscheidung

Ja! Zwar war die tatsächlich gesetzte Frist von 10 Tagen vergaberechtswidrig. Abgesehen davon, dass diese Frist dem klaren Wortlaut der Vergabeunterlagen widersprach, war sie auch mit § 16a EU Satz 2 VOB/A 2016 unvereinbar. Die Norm regelt für Nachforderungen eine feste Frist von 6 Kalendertagen.

Dennoch habe sich der Bieter auf die längere Frist verlassen dürfen, sein Vertrauen in diese Fristsetzung sei schutzwürdig gewesen. Anknüpfend an eine Entscheidung des OLG München verwies das OLG Düsseldorf darauf, dass es keine Anhaltspunkte für sachfremde, manipulative Erwägungen gebe, die der längeren Fristsetzung zugrundegelegen hätten und die mit den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung unvereinbar wären.

 Rechtliche Würdigung

Die zitierte Entscheidung des OLG München betraf zwar eine andere Fallkonstellation, nämlich die nachträgliche Verlängerung einer Nachforderungsfrist gemäß § 56 VgV (vgl. OLG München, Beschluss vom 27.07.2018, AZ.: Verg 2/18). Im Gegensatz zu § 16a EU VOB/A 2016 überlässt § 56 VgV die Bemessung der Nachforderungsfrist dem Auftraggeberermessen, die vorliegend zu entscheidende Frage stellte sich folglich dort nicht. Insofern erscheint die Begründung des Senats etwas unklar.

Letztlich liegt seine Entscheidung aber auf einer Linie mit der Literatur (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2018, § 16a VOB/A-EU, Rndr. 13; Weyand zu § 16 VOB/A, Rdnr. 606, Stand: 14.09.2015) und Rechtsprechung (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 15.05.2015, Az.: Z 3-3-3194-1-05-01/15) zu der bisherigen Fassung des § 16aEU Satz 2 VOB/A.

Bedeutung für die aktuelle Rechtslage

Inzwischen dürfte sich diese Frage zwar so nicht mehr stellen, da der neue § 16a EU Abs. 4 VOB/A 2019 vorsieht, dass die Nachforderungsfrist angemessen sein und 6 Kalendertage nicht überschreiten soll. Der Auftraggeber darf nun also für die Nachreichung von Unterlagen (angemessene) kürzere Fristen und im Einzelfall auch durchaus längere Fristen bestimmen (vgl. dazu: Pfarr, Nachforderung von Unterlagen: Das ändert sich durch die neue VOB/A 2019 Ein kurzer Überblick; Vergabeblog.de vom 03/06/2019, Nr. 40975).

Selbst auf eine unangemessen lange Frist dürfte sich der Bieter nach dieser Entscheidung zukünftig grundsätzlich verlassen dürfen.

Praxistipp

Bietern ist zu empfehlen, ggf. frühzeitig darauf hinzuweisen, wenn gesetzte Fristen nicht ausreichen denn der Auftraggeber hat hier jetzt auch im Baubereich vergaberechtliche Spielräume. Die vergaberechtlichen Grundsätze, insbesondere der  Gleichbehandlungsgrundsatz, müssen dabei natürlich weiterhin beachtet werden.

Aus Auftraggebersicht empfiehlt sich, in den Vergabeunterlagen noch keine starre Nachforderungsfrist festzulegen, die möglicherweise eine Selbstbindung auslöst.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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2 Kommentare

  1. Manuel Ziegler

    „(…)keine Anhaltspunkte für sachfremde, manipulative Erwägungen gebe, die der längeren Fristsetzung zugrundegelegen hätten und die mit den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung unvereinbar wären.“

    Was wären denn dafür Anhaltspunkte?

    Reply

  2. Valeska Pfarr

    Dazu lässt sich leider weder der Entscheidung des OLG Düsseldorf, noch der zitierten Entscheidung des OLG München, etwas Genaues entnehmen.

    Denkbar wäre es, darunter Fälle zu fassen, in denen der Auftraggeber den Bietern für die gleichen Unterlagen unterschiedliche Nachforderungsfristen setzt und dadurch einen Bieter bevorzugt oder wenn eine offensichtlich unangemessen lange Nachforderungsfrist dazu dient, eine während des Vergabeverfahrens notwendige Interimsbeauftragung hinauszuzögern. Wie Sie sehen können, dürften solche Fallkonstellationen aber nur in Ausnahmefällen gegeben sein.

    Im entschiedenen Fall hatte die Vergabestelle

    „…im Einzelnen dargelegt, dass und warum die Länge der gesetzten Frist auf einem von § 16 EU Nr. 4 VOB/A beeinflussten internen Rechtsirrtum beruhte und dass auch jedem anderen Bieter gleich lange Fristen eingeräumt worden wären.“ Das war in Ordnung.

    Reply

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