Vergaberechtsfreie Formen der Zusammenarbeit sind in der öffentlichen Beschaffung nicht mehr wegzudenken. Dabei sind seit der grundlegenden Teckal-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 18.12.1999 – C-107/98) Inhouse-Geschäfte am bedeutendsten. Die bei Anwendung der Teckal-Kriterien im Laufe der Jahre entstandene Rechtsunsicherheit wollte der europäische Richtliniengeber mit der Normierung in Art. 12 Abs. 1 bis 3 und 5 RL 2014/24/EU (in Deutschland in § 108 Abs. 1 bis 5 sowie 7 und 8 GWB umgesetzt) eigentlich beseitigen. Neues Recht schafft jedoch häufig neue Unsicherheiten. Das Irgita-Urteil versucht u.a. aufzuklären, ob einem richtlinienkonformen Inhouse-Geschäft andere Rechtshindernisse entgegenstehen können.
§ 108 Abs. 1 GWB; Art. 12 Abs. 1 RL 2014/24/EU; Art. 49, 56 AEUV
Leitsatz
Das Vorliegen eines Inhouse-Geschäftes befreit den öffentlichen Auftraggeber nicht von seiner Pflicht die Grundregeln des AEUV zu beachten, insbesondere der sich daraus ergebenden Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz.
Sachverhalt
Die Verwaltung der litauischen Stadt Kaunas schloss 2014 mit dem privaten Unternehmen Irgita einen Vertrag über die öffentliche Grünflächenpflege. Der Vertrag lief bis 2017, verpflichtete die Verwaltung aber nicht, die Grünflächenpflegedienste von Irgita vollständig oder teilweise in Anspruch zu nehmen.
Im Jahr 2016 beauftragte die Verwaltung ein von ihr kontrolliertes Unternehmen, an dem sie alle Gesellschaftsanteile hielt und das mehr als 90% seiner Umsätze mit der Verwaltung erzielte, ebenfalls mit der öffentlichen Grünflächenpflege in Kaunas. Für diesen Inhouse-Auftrag lag die nach litauischem Recht nötige behördliche Genehmigung vor. Sie war aber mit der wettbewerbsrechtlichen Auflage verbunden, dass das Inhouse-Geschäft den Wettbewerb nicht verzerren dürfe. Außerdem ist ein Inhouse-Geschäft nach litauischem Vergaberecht nur zulässig, wenn die Kontinuität, Qualität und Bezahlbarkeit der Dienstleistungen nicht durch eine öffentliche Auftragsvergabe sichergestellt werden kann.
Irgita hielt das Inhouse-Geschäft deshalb für rechtswidrig und verklagte die Verwaltung.
Die Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof stellt klar, dass ein öffentlicher Auftraggeber bei Vorliegen der Inhouse-Voraussetzungen nicht gezwungen ist, den Auftrag auch inhouse zu vergeben. Öffentliche Auftraggeber sind darin frei, ob sie ihre Aufgaben mit eigenen Mitteln oder in öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit erfüllen, oder ob sie Unternehmen damit betrauen (Rdnr. 46 f.).
Die Wahlfreiheit der öffentlichen Auftraggeber ist aber nicht schrankenlos. Sie ist vielmehr unter Beachtung der Grundregeln des AEUV auszuüben, insbesondere des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, sowie der sich daraus ergebenden Grundsätze wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz (Rdnr. 47 f.).
Innerhalb dieser Grenzen können auch die Mitgliedstaaten Bedingungen für den Abschluss von Inhouse-Geschäften vorsehen, die über die im EU-Vergaberecht geregelten Inhouse-Kriterien hinausgehen (Rdnr. 49). Der Grundsatz der Transparenz fordert aber ebenso wie der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass solche Bedingungen in hinreichend zugänglichen, genauen und in ihrer Anwendung vorhersehbaren Regeln verlautbart werden, um jede Gefahr von Willkür zu vermeiden (Rdnr. 55).
Da aber nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die öffentlichen Auftraggeber den Geboten des AEUV unterliegen, sind die primärrechtlichen Grundsätze auch beim Abschluss eines Inhouse-Geschäftes zu beachten (Rdnr. 61).
Überdies verlangt der Erwägungsgrund 31 der RL 2014/24/EU, dass eine vergaberechtsfreie Zusammenarbeit, keine Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Unternehmen zur Folge haben darf. Das litauische Gericht habe vor diesem Hintergrund zu prüfen, ob die Verwaltung durch den Inhouse-Auftrag vertragswidrig gehandelt habe und der Transparenzgrundsatz verletzt sein könne, weil Irgita kein Mindestauftragsvolumen zugesichert wurde, oder ob der Inhouse-Auftrag eine wesentliche Änderung des mit Irgita geschlossenen Vertrages darstelle (Rdnr. 62 f.).
Rechtliche Würdigung
Das Urteil bietet zu den in § 108 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GWB geregelten (sekundärrechtlichen) Inhouse-Kriterien keine neuen Auslegungsansätze. Die Rdnr. 61 ff. der Entscheidung werfen aber Fragen auf: Unterliegen Inhouse-Geschäfte den Freizügigkeitsgeboten des AEUV? Folgert der EuGH aus dem AEUV oder aus den RL-Erwägungen ein zusätzliches Inhouse-Kriterium der fehlenden Wettbewerbsverzerrung?
Die Entscheidungsgründe verdeutlichen, dass auch bei einem freigestellten Inhouse-Geschäft die AEUV-Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz zu beachten sind. Dies dürfte unabhängig davon gelten, ob ein Mitgliedstaat die Inhouse-Voraussetzungen verschärft hat (wie z.B. in Litauen) oder nicht. Zwar hatte der EuGH in seinem Parking Brixen-Urteil (Urt. v. 13.10.2005 – C-458/03) klargestellt, dass die Inhouse-Kriterien auch bei der damals nicht dem EU-Vergaberecht, aber den AEUV-Grundsätzen unterliegenden Dienstleistungskonzession Anwendung finden. Die Inhouse-Ausnahme befreite den öffentlichen Auftraggeber somit innerhalb und außerhalb der europäischen Vergaberichtlinien. Hieran scheint der EuGH nun nicht mehr festzuhalten, wenn er auch bei einem an sich freigestellten Inhouse-Geschäft die Beachtung der primärrechtlichen Freizügigkeitsgrundsätze einfordert.
Zudem argumentiert der EuGH auch mit Unterabsatz 2 des Erwägungsgrundes 31 der RL 2014/24/EU. Dort ist festgehalten, dass eine öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit keine Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu privaten Unternehmen zur Folge haben darf, indem ein privater Dienstleister besser gestellt wird als seine Wettbewerber. Allerdings erscheint diese Erwägung vorrangig auf die europäische Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der interkommunalen Zusammenarbeit (EuGH, Urt. v. 9.6.2009 – C-480/06 Stadtreinigung Hamburg, Rdnr. 47) abzuzielen, die entsprechend in § 108 Abs. 6 GWB umgesetzt wurden. Bei Inhouse-Geschäften hingegen, bei denen direkte private Kapitalbeteiligungen nach § 108 Abs. 1 Nr. 3 GWB ohnehin grundsätzlich untersagt sind, ist die Vermeidung einer Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu privaten Unternehmen normativ somit bereits berücksichtigt. Die Ausführungen des EuGH dürften also nicht so zu verstehen sein, dass ein Inhouse-Geschäft die zusätzliche Bewertung etwaiger Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Unternehmen erfordern würde. Vielmehr dürfte das Judiz des EuGH insoweit nur allgemein auf das in § 108 Abs. 1 Nr. 3 GWB (bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. c RL 2014/24/EU) geregelte Verbot direkter privater Kapitalbeteiligungen hinweisen oder den Besonderheiten des litauischen Rechts Rechnung tragen.
Praxistipp
Inhouse-Geschäfte müssen den (sekundärrechtlichen) Voraussetzungen nach § 108 Abs. 1 bis 5 sowie 7 und 8 GWB entsprechen. Daneben müssen auch die (primärrechtlichen) Gebote der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz beachtet werden. Solange und soweit in Deutschland Inhouse-Geschäfte aber nicht durch zusätzliche spezielle und klare Vergaberegeln eingeschränkt werden, sind insoweit auch keine weiteren positivrechtlichen Inhouse-Kriterien zu prüfen.
Holger Schröder
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss „Fachanwalt für Vergaberecht“ der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
Schreibe einen Kommentar