Streitigkeiten um Produktvorgaben gehören zu den vergaberechtlichen „Dauerbrennern“. Für die Zulässigkeit, so das oft wiederholte Credo in Rechtsprechung und Literatur, komme es entscheidend auf die Dokumentation der rechtfertigenden Gründe an. Doch wenn man sich die einschlägige Spruchpraxis genauer anschaut, scheint das Problem in vielen Fällen weniger in gänzlich fehlender Vergabevermerksprosa zu liegen, als vielmehr in deren inhaltlicher Belastbarkeit. Wie eine aktuelle Entscheidung des OLG Celle zeigt, gehen Auftraggeber ein Risiko ein, wenn sie hier Angaben Dritter ohne eigene Prüfung übernehmen.
§ 31 Abs. 6 VgV
Leitsätze (nicht-amtlich)
Sachverhalt
In dem betroffenen Vergabeverfahren wollten 14 niedersächsische Kommunen für ihre freiwilligen Feuerwehren zusätzliche Digitale Meldeempfänger (DME, sog. „Pager“) beschaffen. Über diese Pager alarmiert und informiert die Leitstelle Mitglieder der Feuerwehren im Bedarfsfall per Funk. Mit der Durchführung des Vergabeverfahrens betrauten die Kommunen die Zentrale Vergabestelle der Region. Die Region betrieb gemeinsam mit der Landeshauptstadt das für die Übermittlung erforderliche, spezielle Funknetz und als Betreiber hatten sie auch bereits die verwendeten Digitalen Alarmgeber (DAG) und die Verstärkerantennen in der Fläche (Digitale Alarmumsetzer, DAU) beschafft. Für die Pager wurden Fabrikate desselben Herstellers vorgegeben, der bereits die Alarmgeber und Antennen stellte und dessen Endgeräte mit dem in Landeshauptstadt und Region ausschließlich verwendeten Verschlüsselungssystems kompatibel waren.
Ein Wettbewerber, der ein Produkt mit einem anderen Verschlüsselungssystem anbieten wollte, griff das Vergabeverfahren an.
Die Entscheidung
Mit Erfolg!
Das OLG Celle bejahte, ebenso wie schon die Vergabekammer, einen Verstoß gegen § 31 Abs. 6 VgV, da die produktscharfe Ausschreibung nicht gerechtfertigt sei.
– Gründe per se ok, sicherster Weg zulässig
Zwar führten die Auftraggeberinnen gleich mehrere Sicherheitsaspekte ins Feld und diese waren auch als solches durchaus geeignet, eine Produktvorgabe zu rechtfertigen. Insbesondere in sicherheitsrelevanten Aspekten dürfe der Auftraggeber jedwedes Risikopotential ausschließen und den sichersten Weg wählen. Per se erst einmal zulässige Argumente zur Rechtfertigung waren daher insbesondere:
– aber: unzureichende Ermittlungen und Dokumentation
Diese Gründe seien aber nicht ausreichend ermittelt worden. Zumindest sei eine solche Prüfung nicht hinreichend dokumentiert, so dass es letztlich dahin gestellt bleiben könne, ob diese Gründe auch tatsächlich erwiesen seien. Der oberflächliche Vergabevermerk benenne die Einwände gegen die Implementierung eines weiteren Verschlüsselungssystems nur schlagwortartig. Konkrete Angaben zu dem bestehenden Netz, dessen Kapazitäten, zu zeitlichen Anforderungen an Rettungseinsätze, zu aktuellen und erwarteten Alarmierungszeiten sowie zum konkreten Aufwand bei Einführung des weiteren Systems fehlten. Der Vermerk verwies zwar auf „Rechercheergebnisse“ zu einem künftigen gemeinsamen Verschlüsselungsstandard sowie auf „intensive fachliche Auseinandersetzungen mit der Rettungsleitstelle“, allerdings ohne Details zu nennen. Es hieß dort, die Region habe die Auftraggeberinnen darüber informiert, dass ein anderes oder weiteres Verschlüsselungssystem ohne wesentliche Mehraufwendungen und betriebssicherheitliche Bedenken nicht möglich sei.
– Keine Heilung bei nachträglicher Widerlegung
Zwar präzisierten die Auftraggeberinnen im Nachprüfungsverfahren ihre Argumente, was im Grundsatz auch zulässig sei.
Dabei zeigte sich jedoch, dass sie in wesentlichen Punkten von unzutreffenden Annahmen ausgegangen waren. So stellte sich heraus, dass die zuletzt beschafften Digitalen Alarmgeber durchaus systemneutral waren und mit verschiedenen Verschlüsselungssystemen arbeiten konnten, dies wohl auch im Mischbetrieb. Auch zeigte sich, dass hinsichtlich der Umstellung auf einen „Mischbetrieb“ von einem unzutreffenden Aufwand ausgegangen worden war, da eine komplette Erneuerung der Geräte der Leitstelle nicht in jedem Fall erforderlich gewesen wäre, sondern auch eine zusätzliche Programmierung ausgereicht hätte. Auch ergab sich im Nachprüfungsverfahren, dass in einer anderen Region offenbar bereits ein Mischsystem eingesetzt wurde.
– kein Verweis auf „subjektives Interesse“ der zentralen Ausschreibung
Allein der Verweis auf das subjektive Interesse der zentralen Ausschreibung hingegen war hingegen nicht geeignet, eine Produktvorgabe zu rechtfertigen.
Rechtliche Würdigung
„Scharfe“ Produktvorgaben scheinen im Kontext von Digitalen Alarmierungssystemen derzeit eher schwierig durchzusetzen zu sein. Die Entscheidung liegt inhaltlich auf einer Linie mit einer aktuellen Entscheidung des OLG Düsseldorf, das die konkrete Vorgabe eines einzigen Fabrikats bei einer Ausschreibung digitaler Alarmumsetzer (DAU) sowie digitaler Alarmgeber (DAG) ablehnte. Auch dort konnten die Gemeinden nicht hinreichend darlegen und beweisen, dass die in Nachbarkreisen bereits eingesetzte Technik der betreffenden Firma – ggf. auch über Schnittstellen – inkompatibel mit Funksystemen anderer Hersteller sei und dass ein Mischbetrieb unverhältnismäßigen Mehraufwand mit sich bringen würde, gleiches galt für die eingesetzte Verschlüsselungstechnik (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019. Az.:Verg 66/18).
Allerdings bleibt festzuhalten, dass sowohl das OLG Celle als auch das OLG Düsseldorf zu Recht betonen, dass eine Produktvorgabe aus technischen Gründen grundsätzlich durchaus mit dem Interesse des Auftraggebers begründet werden kann, das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen zu vermindern (vgl. dazu z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2016, Az.: Verg 47/15) und dass der Auftraggeber insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen jedwedes Risikopotenzial ausschließen und den sichersten Weg wählen darf. Anerkannt ist auch bereits seit langem, dass es dazu einer vorherigen Markterkundung nicht bedarf (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.08.2012, Az. Verg 10/12, Beschluss vom 16.10.2019, Az.:Verg 66/18 m.w.N.).
Praxistip
Letztlich geht es darum, im Ernstfall Einwände eines potentiell nicht zum Zuge kommenden Bieters entkräften zu können (auch sehr schön erkennbar an einer jüngeren Entscheidung zur Zulässigkeit von Vorgaben an Flugzeugschlepper, OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.04.2019 – 11 Verg 2/19). Im vorliegenden Fall haben sich die Auftraggeberinnen offensichtlich – aus welchen Gründen auch immer – zu sehr auf Angaben der Region verlassen. Wie die Entscheidung zeigt, sind Auftraggeber aber gut beraten, im Zweifel konkrete Belege und Untersuchungen beteiligter Dritter einzufordern oder deren Auskünfte zumindest so genau zu hinterfragen, wie es auch eine Vergabekammer ohne weiteres tun könnte. Im Einzelfall können „unechte“ Produktvorgaben mit hinreichendem Gleichwertigkeitsnachweis oder streng ausgestaltete Kompatibilitätsvorgaben zielführender sein als eine produktscharfe Ausschreibung.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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