Vergabeblog

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Liefer- & Dienstleistungen

Produktneutrale Ausschreibung: Gleiche Chancen für alle! (VK Niedersachen, Beschl. v. 10.07.2020 – VgK-12/2020)

EntscheidungDie Bereitstellung von Infrastruktur oder Ausrüstung durch den öffentlichen Auftraggeber bei der späteren Auftragsausführung, muss allen potenziellen Bietern gleichermaßen zu Gute kommen. Eine solche Bereitstellung überschreitet die Grenze zur Vergaberechtswidrigkeit, wenn durch sie kalkulationserhebliche Vorteile für bestimmte potenzielle Bieter geschaffen werden, die einer Bevorzugung im Vergabeverfahren gleichkommen. Ein nicht nur lediglich vorbeugendes Rechtsschutzbedürfnis besteht auch, wenn der Nachprüfungsantrag bereits eingereicht wird, bevor der Antragsgegner zu den erhobenen Rügen der Antragstellerin Stellung genommen hat.

§ 97 Abs. 1 GWB, § 31 Abs. 6 VgV

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber – Antragsgegner – schrieb die Erbringung von Postdienstleistungen in einem europaweiten Verfahren aus. Gegenstand war das Zustellen und Abholen von Brief- und Paketsendungen. Die Ausschreibungsunterlagen wurden von der Antragstellerin in mehreren Aspekten gerügt. Daraufhin verlängerte der Antragsgegner mehrmalig die Angebotsfrist und kündigte an, zu den erhobenen Rügen Stellung nehmen zu wollen und die Vergabeunterlagen anzupassen. Die Antragstellerin reichte schließlich, ohne eine vorherige Stellungnahme des Auftraggebers abzuwarten, Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Niedersachsen ein. Dabei richtete sich der Vortrag der Antragstellerin vornehmlich gegen eine Vorgabe des Antragsgegners in den Vergabeunterlagen, die verlangte, dass die Frankierung der Postsendungen eines Bieters unter Einbindung des derzeitigen bereits vorhandenen Frankiersystems des Antragstellers zu erfolgen habe. Sofern die Einbindung nicht möglich sei, habe der Bieter dem Auftraggeber ein vergleichbares System entgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Antragstellerin sah durch diese Ausführungen, den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot verletzt.

Der Antragsgegner änderte die Vorgabe im Laufe des Verfahrens dahingehend ab, dass das bereits vorhandene Frankiersystem nur verwendet werden müsse, sofern dies dem Bieter überhaupt möglich sei und er alternativ auch die Postzustellungen unfrankiert abholen könne, um sie anschließend selbst zu frankieren. Im Übrigen bestritt er die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages und das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin, da es sich um ein Begehren lediglich vorbeugenden Rechtsschutzes handele, da er angekündigt habe, die Rügen der Antragstellerin prüfen zu wollen und diese sich bis zu einer abschließenden Mitteilung seinerseits gedulden müsse.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet!

Zuvorderst hindere die Ankündigung des Antragsgegners, er wolle die Rügen der Antragstellerin einer rechtlichen Prüfung unterziehen, nicht an der Möglichkeit Nachprüfungsantrag einzureichen. Zwar sei die Antragstellerin nach Rügeerhebung dazu berechtigt gewesen mit der Einreichung eines Nachprüfungsantrags abzuwarten; eine Verpflichtung hierzu treffe sie jedoch nicht. Dem stehe auch eine Ankündigung des Antragsgegners, eine Prüfung werde erfolgen, nicht entgegen.

Die Vorgabe der Möglichkeit der Nutzung des bereits vorhandenen Frankiersystems in der Leistungsbeschreibung verstößt gegen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot. Die Vergabekammer sah es als erwiesen an, dass sich die konkrete Vorgabe des Frankiersystems in der Leistungsbeschreibung unstreitig auf das Portosystem einer potenziellen und am Vergabeverfahren beteiligten Bieterin bezog. Dies hatte der Auftraggeber in der mündlichen Verhandlung zugestanden und erläutert, die Leistungsbeschreibung dahingehend geändert zu haben, dass den Bietern nunmehr die Option zur eigenen Frankierung der Postsendungen oder der Abholung unfrankierter Sendungen zur Verfügung standen. Die Einräumung dieser Wahloptionen betrachtete der öffentliche Auftraggeber als von seinem Leistungsbestimmungsrecht gedeckt. Diese Auffassung teilte die Vergabekammer nicht!

Die Definition des Beschaffungsbedarfs liege zwar vor dem Beginn des Vergabeverfahrens und grundsätzlich in der Sphäre eines jeden Auftraggebers, könne jedoch während des Vergabeverfahrens nicht vollkommen außer Betracht bleiben. Die Definitionsmacht des Auftraggebers bei der Bestimmung seiner zu beschaffenden Leistung, sei nicht grenzenlos und werde durch die Verpflichtung, die vergaberechtlichen Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und Gleichbehandlung zu wahren, begrenzt. Ausdruck hiervon sei auch die Norm des § 31 Abs. 6 VgV, die es verbiete, die Leistungsbeschreibung auf ein bestimmtes Produkt zuzuschneiden, sofern keine Rechtfertigungsgründe hierfür vorlägen. Die Festlegung des Beschaffungsbedarfs dürfe keinen Kunstgriff darstellen, um die Vergabe an eine bestimmte Bieterin zu ermöglichen. Die unentgeltliche Bereitstellung vorhandener Infrastruktur oder Ausrüstung durch den Auftraggeber selbst, sei grundsätzlich unproblematisch, da eine Ungleichbehandlung von Bieterin im Regelfall nicht zu erwarten sei. Vorliegend diene die Vorgabe der Verwendung eines spezifischen Frankiersystems jedoch unzweifelhaft der Bevorzugung des Portosystems einer bestimmten Bieterin. Andere Wettbewerber könnten das Frankiersystem nur wirtschaftlich nutzen, sofern sie ihr Angebot auf eine Nutzung durch die potenzielle Bieterin oder eines ihrer Subunternehmen oder Erfüllungsgehilfen zuschnitten. Darin liege eine vergaberechtswidrige Beschränkung der Bieter bei der Wahl ihrer Nachunternehmer. Die bevorzugte Bieterin erlange zudem einen kalkulationsrelevanten Wettbewerbsvorteil, da die Verwendung des Frankiersystems im Angebot eingepreist werden müsse. Auf die Option der Nutzung des vorhandenen Frankiersystems habe der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung in Gänze zu verzichten und den Bietern vorzugeben, die Frankierung selbst vorzunehmen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der VK Niedersachsen fügt sich nahtlos in eine Reihe von Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen ein, in denen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung und die Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers zur Abwägung standen. Als Dauerbrenner unter den Rügevorbringen, bietet das Leistungsbestimmungsrecht immer wieder sowohl Angriffs- als auch Verteidigungsfläche je nach Standpunkt. Die Vergabekamm hat sich in ihrem Beschluss an den inzwischen als vorherrschendend zu bezeichnenden, vom Senat des OLG Düsseldorf aufgestellten, Kriterien zur Bestimmung der Grenzen der Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers, orientiert. Die Grenzen der Leistungsbestimmung sind demnach eingehalten, (a) wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, (b) vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe geltend gemacht worden sind, (c) die Bestimmung frei von Willkür ist und (d) andere Wirtschaftsteilnehmer durch diese nicht diskriminiert werden.

Zutreffend kommt die VK Niedersachsen dabei zu dem Ergebnis, dass die Bereitstellung von Infrastruktur durch den öffentlichen Auftraggeber nicht zu beanstanden ist, sofern sie allen Bietern in gleicher Weise zugänglich ist.

Vorliegend waren die Beweggründe einer solchen Bereitstellung jedoch vergaberechtswidrig, da die Bevorzugung einer bestimmten Bieterin durch die Vorgaben in der Leistungsbeschreibung außer Zweifel stand. Es ist demnach wieder einmal nicht der vergaberechtliche Grundsatz, der zur Begründetheit des Nachprüfungsantrages geführt hat, sondern die konkrete Ausgestaltung des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung/ im Leistungsverzeichnis, die nach der Auffassung der VK gegen die Vorgaben des § 31 Abs. 6 VgV verstießen.

Praxistipp

Auftragnehmer sind gehalten, die Angaben in der Leistungsbeschreibung zu hinterfragen und bei Unklarheiten Fragen zu stellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn in den Bewerbungsbedingungen (nach VgV bzw. UVgO) bzw. in den Teilnahmebedingungen (nach VOB/A) eine entsprechende Hinweispflicht existiert. Wurden Vorgaben in den Vergabeunterlagen durch den Auftragnehmer gerügt und hat der Auftraggeber auf die Rügen bisher nur mit der mehrmaligen Verlängerung der Angebotsfrist und der Ankündigung zukünftig Stellung nehmen zu wollen, reagiert, besteht keine Verpflichtung die Rügeantwort (weiter) abzuwarten. Die Erhebung des Nachprüfungsantrags ist bereits zulässig, das notwendige Rechtsschutzinteresse vorhanden.

Auftraggeber können die Grenzen der Beschaffungsautonomie unter Beachtung der vergaberechtlichen Grundsätze und aktueller Rechtsprechung durchaus ausreizen. Dass ein Zuschnitt der Leistungsbeschreibung auf potenzielle Bieter in welcher Form auch immer jedoch nicht vergaberechtskonform ist, sollte inzwischen allgemein bekannt sein. Bei der Notwendigkeit einer Begrenzung oder Bevorzugung eines bestimmten Bieterkreises durch Angaben in der Leistungsbeschreibung, kann eine solche durch die Darlegung sachlicher, objektiv nachvollziehbarer, auftragsbezogener und willkürfreier Gründe vergaberechtskonform umgesetzt werden. Hierbei sind das Für und Wider allerdings sehr genau zu hinterfragen und das Ergebnis des Abwägungsprozesses in der Vergabeakte zu dokumentieren.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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