Die Kommission hat vergangenen Mittwoch eine EU-Richtlinie vorgeschlagen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch angemessene Mindestlöhne schützen und ihnen am Ort ihrer Arbeit einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen soll. Mindestlöhne in angemessener Höhe haben nicht nur eine positive soziale Wirkung. Sie bringen auch umfassende wirtschaftliche Vorteile mit sich, da sie die Lohnungleichheit verringern, zur Stützung der Binnennachfrage beitragen und die Arbeitsanreize stärken. Angemessene Mindestlöhne können auch das geschlechtsspezifische Lohngefälle verringern, da mehr Frauen als Männer einen Mindestlohn erhalten. Durch die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs würde die vorgeschlagene Richtlinie außerdem jene Arbeitgeber schützen, die angemessene Löhne zahlen.
Die derzeitige Krise hat Branchen mit hohem Anteil von Geringverdienenden, wie Reinigungsdienste, Einzelhandel, Gesundheitswesen, Langzeitpflege und Heimbetreuung, besonders hart getroffen. Die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Verringerung der Armut trotz Erwerbstätigkeit ist nicht nur während der Krise wichtig, sondern ist auch für eine nachhaltige und inklusive wirtschaftliche Erholung von entscheidender Bedeutung.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Der heutige Vorschlag für angemessene Mindestlöhne ist ein wichtiges Signal, dass die Würde der Arbeit auch in Krisenzeiten unantastbar sein muss. Wir haben beobachtet, dass sich Arbeit für zu viele Menschen nicht mehr lohnt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten Zugang zu angemessenen Mindestlöhnen und einem angemessenen Lebensstandard haben. Heute legen wir einen Rahmen für Mindestlöhne vor, der die nationalen Traditionen und die Tariffreiheit der Sozialpartner uneingeschränkt achtet. Die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen wird nicht nur unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber, die angemessene Löhne zahlen, schützen und die Grundlage für eine gerechte, inklusive und stabile Erholung schaffen.“
Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte: „Es muss sichergestellt werden, dass auch Geringverdienende vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Mit diesem Vorschlag wollen wir dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU dort, wo sie arbeiten, ihren Lebensunterhalt in angemessener Form bestreiten können. Den Sozialpartnern kommt bei den Lohnverhandlungen auf nationaler und lokaler Ebene eine entscheidende Rolle zu. Wir unterstützen ihre Tarifautonomie. Wo dies nicht möglich ist, bieten wir einen Rahmen, der den Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Mindestlöhnen als Richtschnur dient.“
EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit erklärte: „Fast 10 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU leben in Armut – das müssen wir ändern! Es darf nicht sein, dass Menschen, die einer Arbeit nachgehen, Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Mindestlöhne hinken anderen Löhnen, die in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, hinterher und müssen aufschließen. Tarifverhandlungen sollten in allen Mitgliedstaaten der Goldstandard sein. Die Gewährleistung angemessener Mindestlöhne ist in Grundsatz 6 der europäischen Säule sozialer Rechte, die von allen Mitgliedstaaten gebilligt wurde, schwarz auf weiß festgehalten – wir zählen also auf ihr anhaltendes Engagement.“
Ein Rahmen für Mindestlöhne unter uneingeschränkter Achtung der nationalen Zuständigkeiten und Traditionen
In allen EU-Mitgliedstaaten gibt es Mindestlöhne. In 21 Ländern gibt es gesetzliche Mindestlöhne und in 6 Mitgliedstaaten (Dänemark, Italien, Zypern, Österreich, Finnland und Schweden) wird der Mindestlohn ausschließlich durch Tarifverträge geschützt. In den meisten Mitgliedstaaten sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch von unzulänglicher Angemessenheit und/oder Lücken beim Mindestlohnschutz betroffen. Vor diesem Hintergrund schafft die vorgeschlagene Richtlinie einen Rahmen, um die Angemessenheit der Mindestlöhne und den Zugang der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Mindestlohnschutz in der EU zu verbessern. Der Vorschlag der Kommission respektiert das Subsidiaritätsprinzip voll und ganz: Er schafft einen Rahmen für Mindeststandards, der die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und die Autonomie sowie die Vertragsfreiheit der Sozialpartner im Bereich der Löhne berücksichtigt und widerspiegelt. Der Vorschlag legt weder ein gemeinsames Mindestlohnniveau fest noch verpflichtet er die Mitgliedstaaten zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne.
In Ländern mit einer hohen tarifvertraglichen Abdeckung sind der Anteil der Geringverdienenden sowie die Lohnungleichheit tendenziell niedriger und die Mindestlöhne höher. Daher zielt der Vorschlag der Kommission darauf ab, Tarifverhandlungen über Löhne in allen Mitgliedstaaten zu fördern.
Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen sollten Voraussetzungen für die Festlegung von Mindestlöhnen in angemessener Höhe schaffen. Zu diesen Voraussetzungen gehören insbesondere klare und solide Kriterien für die Festlegung des Mindestlohns, Referenzwerte für die Bewertung der Angemessenheit sowie regelmäßige und rechtzeitige Aktualisierungen der Mindestlöhne. Diese Mitgliedstaaten werden ferner aufgefordert, die verhältnismäßige und gerechtfertigte Anwendung von Mindestlohnvariationen und -abzügen sowie die wirksame Einbeziehung der Sozialpartner in die Festlegung und Aktualisierung des gesetzlichen Mindestlohns sicherzustellen.
Schließlich sieht der Vorschlag eine bessere Durchsetzung und Überwachung des in jedem Land geltenden Mindestlohnschutzes vor. Die Einhaltung und die wirksame Durchsetzung sind von entscheidender Bedeutung, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Zugang zum Mindestlohnschutz profitieren und Unternehmen vor unlauterem Wettbewerb geschützt werden. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie wird eingeführt, dass die Mitgliedstaaten der Kommission ihre Daten in Bezug auf den Mindestlohnschutz in einem jährlichen Bericht vorlegen.
Hintergrund
Präsidentin von der Leyen kündigte bei ihrem Amtsantritt an, ein Rechtsinstrument vorzulegen, mit dem sichergestellt würde, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserer Union einen gerechten Mindestlohn erhalten. Dieses Versprechen erneuerte sie in ihrer ersten Rede zur Lage der Union am 16. September 2020.
Das Recht auf angemessene Mindestlöhne ist in Grundsatz 6 der europäischen Säule sozialer Rechte verankert, die im November 2017 vom Europäischen Parlament, dem Rat im Namen aller Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission in Göteborg gemeinsam proklamiert wurde.
Der Vorschlag für eine Richtlinie stützt sich auf Artikel 153 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) über Arbeitsbedingungen. Er folgt einer zweistufigen Konsultation der Sozialpartner gemäß Artikel 154 AEUV. Der Vorschlag der EU-Kommission wird nun dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Billigung vorgelegt. Nach der Annahme müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.
Quelle: EU-Kommission
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