Durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) gelten seit dem 01.01.2022 neue Regelungen für Vergabeverfahren des Bundes. Insbesondere sind danach Treibhausgasemissionen zwingend zu berücksichtigen. Die hierfür erforderlichen Informationen zum „ökologischen Fußabtritt“ der Beschaffung (beispielsweise bei der Ausschreibung von Rechenzentren oder mobilen Endgeräten) sind grundsätzlich von den Bietern einzuholen. Diese haben konkrete Angaben zum Energieverbrauch, aber auch zu den Treibhausgasemissionen ihrer Leistungen über den gesamten Lebenszyklus bereitzustellen.
Die AVV Klima gilt für alle Vergabeverfahren der Dienststellen des Bundes im Ober- und Unterschwellenbereich. Ausgenommen sind allerdings Beschaffungen im Bereich Verteidigung und Sicherheit sowie, soweit spezielle Regelungen Anwendung finden, von Straßenfahrzeugen. Einzelne Bundesministerien können zudem für ihren Geschäftsbereich Ausnahmen zulassen. Die AVV stellt eine Weiterentwicklung der Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung energieeffizienter Leistungen (AVV EnEff) dar und dient der Erreichung der Ziele des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, die im Bundes-Klimaschutzgesetz normiert sind.
Bei jeder Planung, Auswahl und Durchführung von Vergabeverfahren muss der Bund nunmehr prüfen, wie mit der Beschaffung zum Erreichen der nationalen Klimaschutzziele nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz – insbesondere zur Minimierung der Treibhausgasemissionen um mindestens 65 % bis 2030 – beigetragen werden kann. Auch ist stets die Beschaffungsvariante zu wählen, mit der die Minderung von Treibhausgasemissionen über die gesamte Nutzungsdauer zu den geringsten Kosten erreicht werden kann, soweit die dadurch verursachten Mehraufwendungen nicht außer Verhältnis zu ihrem Beitrag zur Treibhausgasminderung stehen. Diese neu aufgenommenen Regelungen entsprechen den in § 13 Abs. 2 des Bundes-Klimaschutzgesetz definierten Zielvorgaben.
Es sind somit bereits bei der Bedarfsermittlung, aber auch bei der Wahl des Beschaffungsgegenstandes, die Energieeffizienz und die zu erwartenden Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus verpflichtend im Rahmen der Vorbereitung des Vergabeverfahrens einzubeziehen.
Die Bewertung der Treibhausgasemissionen bestimmt sich nach dem über das Brennstoffemissionshandelsgesetz festgelegten CO2-Preis. Die Bestimmung der verursachten Treibhausgasemissionen soll dabei in der Regel auf der Grundlage von Hilfestellungen des Umweltbundesamtes erfolgen und es sind grundsätzlich Lebenszykluskostenrechner zu verwenden. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn für eine Leistung keine belastbaren Hilfestellungen für die Berechnung von Treibhausgasemissionen existieren.
Die AVV Klima enthält auch erstmalig in der Anlage 1 eine Liste mit Produkten (z.B. Heizpilze oder Einweggeschirr), die aufgrund der erheblichen negativen Klimawirkungen grundsätzlich nicht mehr beschafft werden dürfen.
Bei der Gestaltung der Leistungsbeschreibung ist die zum Zeitpunkt der Beschaffung höchste auf dem europäischen Markt verfügbare Energieeffizienzklasse bzw. das höchste Leistungsniveau an Energieeffizienz zu berücksichtigen. Es soll dabei auf vorhandene Gütezeichen (wie beispielsweise das Umweltzeichen Blauer Engel) verwiesen werden, die den Anforderungen nach § 34 VgV bzw. § 24 UVgO entsprechen. Das im Rahmen der § 34 VgV bzw. § 24 UVgO grundsätzlich bestehende Ermessen wird hier aber dahingehend eingeschränkt, dass der Verweis auf Gütezeichen den Regelfall bildet. Gleichwertige Gütezeichen sind anzuerkennen. Der Nachweis der Gleichwertigkeit obliegt allerdings dem Bieter und wird in der Regel schwer zu erbringen sein.
Im Rahmen der Eignung kann die Zertifizierung von Umweltmanagementsystemen gefordert werden. Hierzu zählt beispielsweise die Zertifizierung nach dem europäischen Umweltmanagementsystem Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). Voraussetzung der Vorgaben von Zertifizierungen als Eignungsnachweis ist, dass ein Auftragsbezug und ein hinreichender Verbreitungsgrad besteht. Inwieweit eine Zertifizierung entsprechend verbreitet ist, ist anhand des zu erwartenden Bieterkreises zu ermitteln. Soweit bei einer Beschaffung insbesondere die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen zu erwarten ist, sollte der Verbreitungsgrad besonders sorgfältig geprüft werden, bevor eine Zertifizierung zum Nachweis der Eignung verlangt wird. Anderenfalls besteht die Gefahr einer (unzulässigen) Wettbewerbseinschränkung.
Soweit der geschätzte Netto-Auftragswert über 10.000 Euro liegt, sind bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots neben den Anschaffungs- die Lebenszykluskosten zu berücksichtigen. Die Einbeziehung der Lebenszykluskosten stellt – anders als bspw. bei § 59 Abs. 1 VgV bzw. § 43 Abs. 4 UVgO – dann ebenso wie im Rahmen der Bedarfsermittlung den Regelfall dar. Die erforderlichen Informationen haben die Bieter zur Verfügung zu stellen, wobei mittelständische Belange zu berücksichtigen sind.
Bisher waren von den Bietern nur konkrete Angaben zum Energieverbrauch der Leistung über den Lebenszyklus einzuholen. Nunmehr sind grundsätzlich auch konkrete Angaben zu den Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus im Vergabeverfahren abzufordern, soweit entsprechende Erkenntnisse vorliegen oder zumutbar erlangt werden können. In der Begründung zur AVV Klima findet sich hierzu, dass solange keine belastbaren Hilfestellungen für die Berechnung von Treibhausgasemissionen bestimmter Leistungen verfügbar sind, die Anforderung jedenfalls nicht von allen Bietern, insbesondere nicht für kleine und mittlere Unternehmen, erfüllbar ist. Nicht explizit geregelt ist, wann die Bereitstellung solcher Angaben den Bietern nicht mehr zuzumuten ist. Einen möglichen Anhaltspunkt bildet hier der für die Wirtschaft angegebene Erfüllungsaufwand, wonach ein Zeitaufwand von etwa 20 Minuten pro Angebot für die Ermittlung und Darstellung der Treibhausgasemissionen zumutbar sein soll.
Weiterhin sind Ausführungsbestimmungen, also Vertragsbedingungen, festzulegen, die die nationalen Klimaschutzziele fördern. Zu diesen Ausführungsbestimmungen können auch Gütezeichen und Umweltmanagementmaßnahmen zählen. Die Grenze bildet auch hier das Erfordernis des angemessenen Auftragsbezugs. Bei Lieferleistungen sollen insbesondere energieeffizienzbezogene Bedingungen vorgegeben werden, wie z.B. die Rücknahme von Geräten nach Beendigung der Nutzungszeit. Allgemeine Anforderungen, beispielsweise an die Unternehmenspolitik, sind dagegen weiterhin unzulässig.
Für die Beschaffungen des Bundes werden die neuen Prüf-, Berücksichtigungs- und Vorgabepflichten, zumindest am Anfang, zu einem erhöhten Vorbereitungs-, Konzeptions- und Dokumentationsaufwand bei der Planung und Durchführung von Vergabeverfahren führen. Es bleibt insofern abzuwarten, ob der prognostizierte zusätzliche Zeitaufwand für Dienststellen des Bundes pro Beschaffungsvorgang von 70 bzw. 90 min., je nachdem ob der geschätzte Netto-Auftragswert über oder unterhalb von 10.000 Euro liegt, für die Umsetzung der Vorgaben der AVV Klima tatsächlich realistisch ist.
Bieter sind nicht unmittelbarer Adressat der AVV Klima. Sie sollten sich trotzdem frühzeitig mit den neuen Anforderungen vertraut machen, um (weiterhin) erfolgreich an Vergabeverfahren teilnehmen zu können. Von besonderer Relevanz dürfte die stärkere Einbeziehung von Lebenszykluskosten und Treibhausgasemissionen in den Beschaffungsprozess sein. Die erforderlichen Angaben hierzu haben grundsätzlich die Bieter zu ermitteln und darzustellen. Dies führt voraussichtlich zu einem nicht zu unterschätzenden Mehraufwand. Dieser könnte insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen eine kaum (wirtschaftlich sinnvoll) leistbare Aufgabe darstellen.
Die Berücksichtigung umweltbezogener Aspekte im Vergabeverfahren ist bereits in § 97 Abs. 3 GWB bzw. § 2 Abs. 3 UVgO geregelt und somit nicht neu.
Allerdings setzt die AVV Klima neue Maßstäbe und schränkt insbesondere das Leistungsbestimmungsrecht und den Entscheidungsspielraum nicht unerheblich zugunsten des Klimaschutzes ein. Dies gilt unmittelbar allerdings nur für Vergabeverfahren des Bundes. Ob und inwieweit sich die Länder und Kommunen ebenfalls an den neuen Vorgaben und der damit verbundenen Vorbildfunktion orientieren bzw. diese ggf. in eigene Regelungen überführen, ist derzeit noch offen.
Bieter und Vergabestellen sollten sich frühzeitig mit den neuen Vorgaben hinreichend vertraut machen. Dies gilt auch deshalb, da nicht ausgeschlossen ist, dass die Einhaltung von den Vergabekammern zumindest als vorgelagerte Rechtsfrage geprüft werden könnte. Bieter haben zwar keinen unmittelbaren Anspruch im Rahmen einer subjektiven Rechtsverletzung aus § 97 Abs. 6 GWB, da es sich bei der AVV Klima nicht um eine „Bestimmung über das Vergabeverfahren“ handelt. Es ist aber allgemein anerkannt, dass, auch wenn eine Regelung für sich genommen keinen vergaberechtlichen Drittschutz begründet, ihre konkrete Anwendung (etwa im Rahmen der Leistungsbeschreibung) drittschützend und damit im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens inzident überprüfbar sein kann (vgl. bspw. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – VII Verg 105/11).
Dr. Jana Dahlendorf ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei SammlerUsinger Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Berlin. Sie berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren ebenso wie Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt sie ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen.
0 Kommentare