Eine Aufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz Anstrengung des Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei entweder angemessen oder der Bieter sei im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Die Aufklärung betrifft neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots. Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage der Unterlagen über die Preisermittlung erfordert zudem eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung. Der Auftraggeber hat die Angaben mithin einer Plausibilitätskontrolle im Sinne eines Realitätschecks zu unterziehen. Unter Umständen kann in Folge der zunächst gewonnenen Prüfungsergebnisse eine ergänzende Aufklärung in Betracht kommen.
§ 16d EU VOB/A (§ 60 VgV)
Der Auftraggeber (AG) führt ein offenes Verfahren zur Vergabe von Umbaumaßnahmen durch. Ein wesentlicher Bestandteil der Umbaumaßnahmen sind Entsorgungs- und damit verbundene Transportleistungen. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Vier Bieter gaben ein Angebot ab. Die Angebotspreise wichen bei allen Bietern insbesondere im Hinblick auf die Kosten der Entsorgung des Materials und dessen Transports erheblich voneinander ab. Das günstigste Angebot des Bieters B (zugleich die Beigeladene im Verfahren) lag dabei 35% unter dem zweitplatzierten Bieter A (zugleich die Antragstellerin im Verfahren). Es lag allerdings nur 5% unter der nicht näher begründeten Kostenschätzung des AG. Der AG führte mit beiden Bietern Angebotsaufklärungen (u.a. auch zum Nachunternehmereinsatz) durch. Die Preisaufklärung erstreckte sich beim Bieter B auf mehr als 40 Einzelpositionen des Leistungsverzeichnisses. Daraufhin erläutert B seinen günstigen Preis und legt darüber hinaus einen Auszug seiner Urkalkulation zu den Positionen vor. Der AG machte sich die Angaben von B zu eigen und sah das Angebot für den Zuschlag vor.
Die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung rügte Bieter A im Wesentlichen unter Hinweis auf den unangemessen niedrigen Preis des B sowie die nicht ordnungsgemäße Aufklärung des AG. Nachdem der AG die Rüge zurückgewiesen hatte, stellte A einen Nachprüfungsantrag.
Mit Erfolg.
Auf ein Angebot mit unangemessen niedrigem Preis darf gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A der Zuschlag nicht erteilt werden. Hierzu hat der öffentliche Auftraggeber bei Bedarf eine Aufklärung zu veranlassen und auf der Basis der vom Bieter erteilten Auskünfte zu entscheiden, ob dieser in der Lage ist, seine Leistungen auftragsgerecht zu erbringen (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, VOB/A-EU § 16d Rn. 6).
Die Pflicht des Auftraggebers, in eine Preisprüfung einzutreten, kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten aber auch aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnissen aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des Auftraggebers ergeben. Der Auftraggeber ist jedenfalls dann verpflichtet, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten, wenn der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten und dem Angebot des zweitplatzierten Bieters mehr als 20 % beträgt. Der Auftraggeber hat mittels der in § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A vorgeschriebenen Aufklärung dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder hinreichende Gründe aufzuzeigen, dass sein Angebot annahmefähig ist. Dafür hat er an den Bieter eine eindeutig formulierte Anforderung zu richten, mit der er Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt und Gelegenheit gibt, die Seriosität des Angebots nachzuweisen. Die Prüfung muss darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die zu treffende Entscheidung zu schaffen. Der Überprüfungspflicht sind durch den Grundsatz der Zumutbarkeit allerdings Grenzen gesetzt.
Die daraufhin getroffene Entscheidung des AG, der Angebotspreis von B sei zufriedenstellend aufgeklärt und das Angebot daher zuschlagsfähig, genügt vorliegend nicht den Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Ausübung des ihr zustehenden rechtlich gebundenen Ermessens. Denn eine Aufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei entweder angemessen oder der Bieter sei im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Die Aufklärung betrifft neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 zum Az. X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 18. September 2019 zum Az. Verg 10/19 und vom 29. Mai 2020 zum Az. Verg 26/19). Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage der Unterlagen über die Preisermittlung erfordert zudem eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung.
Danach hat der AG in der vorliegenden Prüfung allein die rechnerische Richtigkeit geprüft, wobei anscheinend schlicht der Vergütungsbetrag, der von B genannt wurde, der Rechnung zugrunde gelegt wird. Der AG hat keine Plausibilitätskontrolle unterzogen, ob der von B angegebene Leistungsansatz (Personal/Gerät) realistisch ist. Um die Plausibilität der Bieterangaben im Sinne einer gesicherten Tatsachengrundlage“ zu überprüfen, ist daher eine weitere Aufklärung von dem AG vorzunehmen. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ist das Vergabeverfahren vom AG unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zurückzuversetzen.
Die Entscheidung ist in der Sache zutreffend. Die Ausführungen der Vergabekammer zeigen deutlich auf, dass es für einen öffentlichen Auftraggeber rechtlich nicht unerhebliche Hürden gibt, die es zu überspringen gilt, wenn ein besonders günstiges Angebot beauftragt werden soll. Im Kern lassen sich aus der Entscheidung der Vergabekammer, welche zutreffend auf die Rechtsprechung des BGH und des OLG Düsseldorf referenziert, u.a. folgende Punkte für die ordnungsgemäße Preisaufklärung entnehmen:
– Bei einem ungewöhnlich niedrigen Preis hat der Auftraggeber an den Bieter eine eindeutig formulierte Anforderung zu richten, mit der er Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt und ihm Gelegenheit gibt, die Seriosität seines Angebots nachzuweisen. Die Prüfung muss darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die zu treffende Entscheidung zu schaffen. Je konkreter und spezifischer der Auftraggeber das Aufklärungsverlangen formuliert, desto eher wird er in der Lage sein, die Prüfung und die damit einhergehende Plausibilitätskontrolle vergaberechtskonform durchführen zu können.
– Eine Aufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz Anstrengung des Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei entweder angemessen oder der Bieter sei im Falle eines Unterkostenangebots wettbewerbskonform in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen.
– Die Vergabekammer stellt erfreulich deutlich heraus, dass in Folge der zunächst gewonnenen Prüfungsergebnisse unter Umständen eine ergänzende Aufklärung in Betracht kommen kann. Stellt der Auftraggeber mithin fest, dass er nach Durchsicht und Würdigung der überreichten Unterlagen immer noch unsicher ist, kann er erneut und weitergehend Aufklärung betreiben.
Da vorliegend aufgrund des Preisabstands von mehr als 20% zum zweitplatzierten Angebot die allgemein anerkannte Aufgreifschwelle überschritten und damit eine Aufklärungspflicht bestand, soll an dieser Stelle auf eine zwei Tage jüngere Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 17.11.2021 (Az. Verg 43/21) hingewiesen werden. In diesem Verfahren hatte der Verfasser den Auftraggeber vertreten und das OLG diesem vorab gestattet, den Zuschlag zu erteilen. In seinem Beschluss stellte das OLG Düsseldorf zutreffend klar, dass es dem Auftraggeber nicht verwehrt ist, in eine Preisprüfung auch dann einzutreten, wenn zwar die Aufgreifschwelle nicht erreicht wird, aber das Angebot aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt. In diesem Fall gab es ebenfalls eine fast 35%ige Abweichung, allerdings nicht zum zweitgünstigsten Angebot (der Abstand betrug weniger als 10%), sondern von der Kostenschätzung des Auftraggebers. Darüber hinaus lag das aufgeklärte Angebot 20% unter dem Durchschnitt der Angebote aller sechs Mitbieter in diesem Vergabeverfahren.
Schließlich soll auf zwei Aspekte außerhalb der Preisprüfungsthematik kurz hingewiesen werden:
– Streitig war vorliegend zwischen den Bietern A und B zudem, ob diese im Zusammenhang mit der Durchführung der Entsorgungsleistungen zutreffende Angaben zu einem etwaigen Nachunternehmereinsatz gemacht hatten. Eine in der Praxis häufig anzutreffende und schwierige Problematik! Die Vergabekammer gab dem AG auf, mit beiden Bietern nach der Rückversetzung des Vergabeverfahrens hier entsprechende Aufklärungen vorzunehmen. Ein für den Auftraggeber nicht einfaches Thema.
– Der Nachprüfungsantrag datierte vom 11.10.2021. Die Vergabekammer entschied nach Beiladung, Gewährung von Akteneinsicht und Durchführung einer mündlichen Verhandlung (am 03.11.) am 15.11.2021 über den Nachprüfungsantrag, mithin innerhalb von fünf Wochen entsprechend dem in § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB verankerten Beschleunigungsgebot. Das ist vorbildlich. Von einer solchen Verfahrensdauer kann vielerorts nur geträumt werden. Die Gründe hierfür sind allerdings vielschichtig, so dass die hier häufig vernommene Häme im Hinblick auf die Vertreter der Vergabekammern grundsätzlich fehl am Platz ist.
Wenn ein Auftraggeber feststellt, dass ein Angebot zu günstig erscheint, ist eine Aufklärung des Angebotspreises regelmäßig schon aus eigenem Schutz zwecks Vermeidung von späteren Nachträgen/Schlechtleistungen geboten. Dies gilt im Bau- wie im Liefer-/Dienstleistungsbereich gleichermaßen (§§ 16d EU VOB/A, 16d Abs. 1 VOB/A, 60 VgV, 44 UVgO). Bei der Aufklärung ist äußerste Sorgfalt unumgänglich. Ganz wesentlich ist, dass der Auftraggeber die preislich problematischen Positionen bzw. (Teil)Leistungen identifiziert und möglichst konkret hinterfragt. Anderenfalls kann er seiner Prüfungs- und Kontrollpflicht nicht nachkommen. Sollten nach der (ersten) Aufklärung weiterhin Zweifel verbleiben, wird eine weitere Aufklärung häufig notwendig sein. Auf die Kontroverse, ob Aufklärungen gemäß dem Formblatt 223 (Aufgliederung der Einheitspreis) und im Hinblick auf (alle) Nachunternehmerpreise bei Bauvergaben verhältnismäßig sind, soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen, sondern stattdessen auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 19.05.2021 zum Az. Verg 13/21 verwiesen werden. Bietern ist ungeachtet dessen anzuraten, dem Aufklärungsbegehren des Auftraggebers (wenn möglich umfassend) nachzukommen und diese sprichwörtlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Versäumnisse haben hier häufig den Ausschluss zur Folge.
Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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