Die VK Rheinland hat sich in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss intensiv mit der umstrittenen Frage auseinandergesetzt, ob Bieter in Verhandlungsverfahren in der Angebotsphase Rechtsschutz gegen die im Teilnahmewettbewerb fehlerhaft bejahte Eignung eines Konkurrenten geltend machen können. Das OLG Düsseldorf hatte im Jahr 2021 für Aufsehen gesorgt, als es entschied, dass Konkurrenten derartige Vergabeverstöße aufgrund des Vertrauensschutzes des Bieters, dessen Eignung unzutreffend angenommen wurde, hinnehmen müssen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.03.2021 – Verg 9/21). Gegen diese Auffassung hat die VK Rheinland nunmehr klar Stellung bezogen.
„Bejaht ein Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb die Eignung eines Bewerbers, begründet er zu dessen Gunsten einen Vertrauenstatbestand. Ob dies einem rechtsschutzsuchenden anderen Unternehmen entgegengehalten werden kann, ist dagegen zweifelhaft.“
§ 160 Abs. 3 GWB; Art. 1 Abs. 1 UAbs. 4 Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG
Ein Auftraggeber schrieb eine Dienstleistungskonzession europaweit aus. Er gestaltete das Verfahren als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Nachdem der Auftraggeber die nicht berücksichtigten Bieter über die angestrebte Zuschlagserteilung unterrichtet hatte, rügte dies ein Bieter. Er machte unter anderem geltend, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter im Teilnahmewettbewerb die Mindestanforderungen an die Eignung nicht erfüllt habe. Nachdem der Auftraggeber die Rüge zurückwies, stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag bei der VK Rheinland.
Der Nachprüfungsantrag hat keinen Erfolg.
Die VK Rheinland geht allerdings ausführlich auf die umstrittene Frage ein, ob Bietern in der Angebotsphase Rechtsschutz gegen die fehlerhaft bejahte Eignung eines Konkurrenten im Teilnahmewettbewerb zusteht. Diese Frage hatte das OLG Düsseldorf im Jahr 2021 in einer kontrovers diskutierten Entscheidung verneint. Es entschied, dass konkurrierende Bieter derartige Vergaberechtsverstöße aufgrund des Vertrauensschutzes des anderen Bieters hinnehmen müssen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.03.2021 – Verg 9/21).
Die VK Rheinland beurteilt diese Position kritisch. Nach ihrer Auffassung werden die weiteren Bieter hierdurch im Ergebnis primärrechtsschutzlos gestellt.
Es fehle bei Abschluss des Teilnahmewettbewerbs an einer Vorabinformation im Sinne der Rechtsmittelrichtlinien (Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG und Rechtsmittelrichtlinie 92/13/EWG). Zum Zeitpunkt der Mitteilung gem. § 134 Abs. 1 GWB in der Angebotsphase wäre der Verstoß dann jedoch unter Zugrundelegung der Auffassung des OLG Düsseldorf bereits nicht mehr angreifbar. Das führe im Ergebnis zu einer materiellen Rügepräklusion, ohne dass die Voraussetzungen des § 160 Abs. 3 GWB vorlägen.
Dies verstoße jedoch gegen das unionsrechtliche Gebot, dass jede Entscheidung eines Auftraggebers, die unter die unionsrechtlichen Vorschriften fällt, der in den Rechtsmittelrichtlinien vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen ist (vgl. EuGH, Urt.v. 05.04.2017 – Rs. C-391/15).
Vor diesem Hintergrund erwägt die VK Rheinland ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.
Davon sieht sie jedoch letztlich ab, da ihrer Auffassung nach der für den Zuschlag vorgesehene Bieter die Anforderungen an die Eignung erfüllte. Daher war diese Rechtsfrage im Ergebnis nicht entscheidungsrelevant.
Nach Ansicht des OLG Düsseldorf wird mit der positiven Eignungsprüfung im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Bieter begründet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.03.2021 – Verg 9/21). Sie müssten nicht damit rechnen, dass der ihnen in der Angebotsphase entstandene Aufwand dadurch nachträglich nutzlos werden könne, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage zu einem späteren Zeitpunkt nochmals abweichend beurteilt.
Dieser Vertrauenstatbestand sei im Interesse einer fairen Risikoabgrenzung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bietern ein allgemeiner Grundsatz, der sich aus § 242 BGB ergebe. Mitbieter haben nach Ansicht des OLG Düsseldorf danach im Verhandlungsverfahren einen Vergaberechtsverstoß, der in der fehlerhaften Bejahung der Eignung eines Bewerbers am Ende des Teilnahmewettbewerbs liegt, ab dem Zeitpunkt der Begründung des Vertrauenstatbestands hinzunehmen.
Die VK Bund hat diese Position im Herbst 2021 geteilt, ohne jedoch näher auf diese Rechtsfrage einzugehen (VK Bund, Beschl. v. 06.10.2021 – VK 2-45/21). Das OLG Düsseldorf hat seine Auffassung zudem in einem jüngst veröffentlichten Beschluss bestätigt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.04.2022 – Verg 25/21).
Die VK Rheinland stellt in dem hier dargestellten Beschluss demgegenüber zutreffend darauf ab, dass den Bietern durch die Auffassung des OLG Düsseldorf im Ergebnis der Primärrechtsschutz verwehrt wird.
Dies ist nicht mit den durch die Rechtsmittelrichtlinien vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten vereinbar. Den weiteren Bietern wird im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb erst kurz vor Abschluss des Verfahrens in der Angebotsphase mitgeteilt, welcher Bieter für den Zu-schlag vorgesehen ist. Zu diesem Zeitpunkt wäre nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf jedoch jeglicher Primärrechtsschutz gegen die im Teilnahmewettbewerb fehlerhaft bejahte Eignung des konkurrierenden Bieters ausgeschlossen.
Zudem nimmt die Rechtsprechung, auf die das OLG Düsseldorf seine Auffassung stützt, zwar grundsätzlich einen Vertrauensschutz an. Diese Rechtsprechung betrifft jedoch gerade nicht das Verhältnis des Vertrauensschutz beanspruchenden Bieters zu anderen, rechtsschutzsuchenden Bietern (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 07.01.2014, X ZB 15/13; OLG Naumburg, Beschl. v. 23.12.2014 -2 Verg 5/14). Dies arbeitet die VK Rheinland in ihrer Entscheidung überzeugend heraus.
Die Auffassung des OLG Düsseldorf führt zudem dazu, dass der elementare vergaberechtliche Grundsatz, nach dem öffentliche Aufträge nur an geeignete Unternehmen vergeben werden dürfen, nicht eingehalten wird (§ 122 Abs. 1 S. 1 GWB). Darüber hinaus haben die Bieter mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung nach der Rechtsprechung einen Anspruch darauf, dass öffentliche Auftraggeber die einmal aufgestellten Anforderungen an die Eignung einhalten (vgl. etwa OLG Koblenz, Beschl. v. 13.06.2012 – 1 Verg 2/12).
Vor diesem Hintergrund überzeugt die Auffassung des OLG Düsseldorf nicht. Zwar besteht ein Vertrauensschutz zugunsten des Bieters, dessen Eignung im Teilnahmewettbewerb fehlerhaft durch den Auftraggeber angenommen wurde. Dieser Vertrauensschutz sollte jedoch über einen Schadenersatzanspruch berücksichtigt werden, der auf Erstattung des Aufwands des betroffenen Bieters in der Angebotsphase gerichtet ist. Der Vertrauensschutz darf jedoch nicht dazu führen, dass den weiteren Bietern der Primärrechtsschutz verwehrt wird.
Auftraggeber sollten die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung unbedingt genau beobachten.
Die VK Rheinland hat in dem hier dargestellten Beschluss bereits erwogen, ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH einzureichen. Sie sah davon letztlich ab, da diese Rechtsfrage in diesem Fall nicht entscheidungserheblich war.
Es spricht daher Einiges dafür, dass weitere Nachprüfungsinstanzen die Auffassung des OLG Düsseldorf ablehnen könnten.
Der Autor Lars Lange ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht bei der Morgenstern Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg. Er berät Auftraggeber und Bieter zu sämtlichen Aspekten des Vergaberechts
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