Immer wieder kommt es vor, dass es bei öffentlichen Auftraggebern zu personellen Engpässen kommt; sei es durch Urlaub, Elternzeit, (längere) Krankheit oder schlicht Beendigungen von Beschäftigungsverhältnissen. Für den öffentlichen Auftraggeber stellt sich in diesem Fall oftmals die Frage, wie für diese fehlenden personellen Ressourcen kurzfristig und effizient Ersatz beschafft werden kann. Vergaberechtliche Fragen werden durch wirtschaftliche und zeitliche Überlegungen überlagert, sodass für die Vergabestelle die Frage im Fokus steht, ob ein Vergabeverfahren durchgeführt werden muss oder die Beschaffung „schlanker“ abgewickelt werden darf.
Dass der Abschluss eines Werkvertrags und derjenige eines Dienst(leistungs)vertrags im Zusammenhang mit der Personalbeschaffung gemäß § 103 Abs. 1, 4 GWB grundsätzlich vergabepflichtig sind und eine Ausnahme von der Vergabepflicht für Arbeitsverträge gemäß § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB gilt, darüber dürfte Klarheit bestehen. Die gleiche Klarheit dürfte demgegenüber beim Abschluss von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen nach Erfahrung des Autors zum einen nicht bestehen und zum anderen durchaus die Überlegung folgen lassen, ob eine Vergabepflicht von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen überhaupt besteht und, falls ja, ob diese sachgerecht ist.
1. Ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag im Sinne des § 1 AÜG entsteht zwischen einem Verleiher und einem Entleiher mit dem Inhalt, dass ein Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber (Verleiher) einem Dritten (Entleiher) gegen Entgelt und für bestimmte Zeit zur Arbeitsleistung überlassen wird und dieser in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt ( – Auf den Werkvertrag soll hier nicht näher eingegangen werden, da er für die Frage der Vergabefreiheit der Arbeitnehmerüberlassung wegen der Erfolgsgerichtetheit weniger relevant ist). Der Verleiher zahlt als Arbeitgeber die Vergütung an den entliehenen Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags. Der Entleiher zahlt ein Entgelt an den Verleiher für die Überlassung des Arbeitnehmers. Bei der Arbeitnehmerüberlassung überlässt der Verleiher dem Vertragspartner geeignete Arbeitskräfte, die dieser nach eigenen betrieblichen Erfordernissen in seinem Betrieb einsetzt. Eine Arbeitnehmerüberlassung erfolgt im Regelfall aufgrund eines Dienstverschaffungsvertrags. Es handelt sich daher bei der Arbeitnehmerüberlassung, auch als Zeitarbeit, Temporärarbeit, Leiharbeit, Mitarbeiterüberlassung oder Personalleasing bezeichnet, um ein im Vergleich zur Erteilung eines Dienstleistungsauftrags gänzlich anderes Rechtsverhältnis (VK Bund, Beschluss vom 18.08.2015, VK2-43/15.).
2. Durch den Dienstleistungsvertrag bzw. Dienstvertrag (Die Unterscheidung des Dienstvertrags nach § 611 BGB zum Dienstleistungsvertrag nach Art. 4 Abs. 1 ROM I hat vorliegend keine Relevanz.) gemäß § 611 BGB wird im Gegensatz zum Arbeitnehmerüberlassungsvertrag als Dienstverschaffungsvertrag derjenige, der Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Gegenstand des Dienstvertrag können Dienste jeder Art sein. Als Dienstleistungsaufträge gelten negativ abgegrenzt gemäß § 103 Abs. 4 GWB die Verträge über die Erbringung von Leistungen, die nicht unter die Absätze 2, also Lieferaufträge, und 3, also Bauaufträge, fallen.
Dieser wird im Unterschied zum Arbeits- oder Arbeitnehmerüberlassungsvertrag gewählt, wenn der Bedarf des öffentlichen Auftraggebers in weisungsunabhängigen Aufgaben und Tätigkeiten des weisungsfreien selbstständigen Unternehmers ohne Eingliederung in den Betrieb oder die Behörde des Arbeitgebers bzw. Entleihers besteht (Sterner, in: Müller-Wrede, § 107 GWB, Rn. 19).
Ein solcher Dienstleistungsvertrag liegt aber dann nicht vor, wenn es sich nach den Gesamtumständen um zu beschaffende Tätigkeiten handelt, die ganz genau und konkret im Hinblick auf Inhalt, Art, Umfang sowie Ort und Zeit vorgeben sind, sie weisungsgebunden zu erbringen sind und der Mitarbeiter fest in den Betrieb eingegliedert ist, sodass im Hinblick auf einen solchen Bedarf rechtlich häufig nur die Wahl zwischen einem Arbeitsvertrag oder Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu treffen sein wird.
3. Der Arbeitsvertrag ist ein Unterfall des Dienst(leistungs)vertrags und begründet ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer. Arbeitsverträge richteten sich im Allgemeinen nach den Regelungen der § 611 BGB i.V.m. dem konkret geschlossenen Arbeitsvertrag. Nunmehr besteht in § 611a BGB eine gesetzliche Kodifizierung.
Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit und durch Eingliederung in die Arbeitsorganisation verpflichtet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.05.2002, VII-Verg 8-15/01; EuGH, Urteil vom 21.06.1988, Rs. 197/86). In dem für die Reichweite der Ausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB maßgeblichen europarechtlichen Sinne sind Arbeitsverträge dadurch gekennzeichnet, dass sich eine natürliche Person gegenüber einem Auftraggeber verpflichtet, unter dessen Leitung und Anweisungen Arbeitsleistungen zu erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Gurlit, in Burgi/Dreher/Opitz, § 107 GWB, Rn. 23.).
Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
Im Unterschied zum Dienst(leistungs)vertrag im Sinne der §§ 611 BGB, 103 Abs. 4 GWB, der die Erbringung einer Dienstleistung durch einen Dritten umfasst, beschafft der Auftraggeber durch den Abschluss von Arbeitsverträgen Personal für seine eigenen Tätigkeiten. Hierdurch entsteht ein wesentlich engeres Pflichtenverhältnis als durch die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags an einen freien Dienstleister. Personalauswahl und -beschaffung sind deshalb etwas anderes als die Vergabe von öffentlichen Aufträgen (Sterner, in: Müller-Wrede, § 107 GWB, Rn. 18.).
§ 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB besagt nun im Oberschwellenbereich, dass der vierte Teil des GWB, der die Vergabepflichten statuiert, nicht anzuwenden ist auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu Arbeitsverträgen. Über die Verweisung des § 1 Abs. 2 UVgO gilt diese Ausnahme auch im Unterschwellenbereich.
Wie ausgeführt ist die Beschaffung von Dienstleistungen, soweit sie nicht anderen Ausnahmen unterfallen, ersichtlich nicht von § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfasst und damit nach § 103 Abs. 1, 4 GWB vergabepflichtig. Demgegenüber ist der Arbeitsvertrag offensichtlich von der Ausnahme umfasst und damit vergabefrei.
Auch für viele Vergabe-Praktiker wird vor dem Hintergrund der Regelung des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB nicht immer unmittelbar klar sein, ob Arbeitnehmerüberlassungsverträge als eine Art „Zwitter“, „Kombination“ bzw. „Verknüpfung“ zwischen Dienstleistungs- und Arbeitsverträgen ausschreibungspflichtig sind.
Denn diese Überlegung ist aus dem Grunde nicht abwegig, weil nach Erfahrung des Autors Arbeitnehmerüberlassungsverträge auf den ersten Blick von ihrer Natur her als dem Arbeitsvertrag und nicht dem Dienstleistungsvertrag ähnelnd angesehen werden, da im Ergebnis eine weisungsgebundene Arbeitsleistung für den Entleiher durch einen entliehenen Arbeitnehmer erbracht wird, die für einen Arbeitsvertrag charakteristisch ist. Folglich kann man sich schnell zu der Schlussfolgerung verleiten lassen, die Ausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB für Arbeitsverträge würde bei der Beschaffung von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen auch gelten.
Im Rahmen der Beschaffung eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags kann daher die durchaus berechtigte Frage gestellt werden, ob Arbeitnehmerüberlassungsverträge vergabepflichtig sind, und bejahendenfalls, ob dies überhaupt sachgerecht ist oder nicht sogar die Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung bzw. Anpassung besteht, weil sie vor dem Hintergrund vergaberechtlicher Überlegungen eine Vergabefreiheit wie Arbeitsverträge rechtfertigen.
1. Die Ausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB für Arbeitsverträge dient der Umsetzung von Art. 10 Buchstabe g 2014/24/EU, Art. 21 Buchstabe f 2014/25/EU, Art. 13 Buchstabe i 2009/81/EG.
Der Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB ist nicht analogiefähig, die Aufzählung ist abschließend (Sterner, in: Müller-Wrede, § 107 GWB, Rn. 3; BGH, Urteil vom 01.12.2008, X ZB 31/08) und darf nicht ergänzt oder erweitert werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.05.2004, Verg 78/03). Als Ausnahmebestimmung sind die Regelungen eng auszulegen, wobei des Gebot enger Auslegung im Sinne einer eng am jeweiligen Zweck des Ausnahmetatbestandes orientierten Auslegung zu verstehen ist. Eine den Anwendungsbereich der Bereichsausnahme möglichst weit zurückdrängende Auslegung ist jedoch nicht statthaft (Sterner, in: Müller-Wrede, § 107 GWB, Rn. 4).
Ist wie nach deutschem Begriffsverständnis die Weisungsgebundenheit für das Vorliegen eines Arbeitsvertrags entscheidend, so spricht sogar viel dafür, dass § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB bloß deklaratorischer und nicht konstitutiver Natur ist. Denn durch das Merkmal der Weisungsabhängigkeit unterscheiden sich Arbeitsverträge gerade von Dienstleistungsverträgen, und auch Bau- und Lieferaufträge sind gekennzeichnet durch die selbständige Leistungserbringung (Gurlit, in Burgi/Dreher/Opitz, § 107 GWB, Rn. 23; Antweiler, in: Ziekow/Völlink, § 107 GWB, Rn. 34). Zwar sieht Erwägungsgrund 14 der Vergaberichtlinie vor, dass Wirtschaftsteilnehmer auch natürliche Personen sein können. Sie müssen jedoch Dienstleistungen „am Markt“ anbieten. Damit ist jedenfalls nicht der „Arbeitsmarkt“ gemeint, denn der Anwendungsbereich des Vergaberechts umfasst nicht die Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer i.S.v. § 55 AEUV. Honorarkräfte sind dementsprechend nicht von der Ausnahme erfasst (Schellenberg, in: Pünder/Schellenberg, § 107 GWB, Rn. 32).
Zu weitgehend ist aber wiederum die Annahme, Verträge über die Bestellung von Organmitgliedern juristischer Personen seien wegen deren fehlender Weisungsgebundenheit nicht als Arbeitsverträge zu qualifizieren mit der Konsequenz, dass bei Überschreiten der Schwellenwerte das GWB-Vergaberecht anzuwenden sei. Hiermit würde Sinn und Zweck der Ausnahme verfehlt, da bei diesen Bestellungsvorgängen gleichermaßen eine personengebundene, auf höchstpersönliche Leistungen bezogene Auswahlentscheidung in Frage steht. Zudem schließt auch Art. 45 AEUV nicht kategorisch die Einstufung eines Geschäftsleitungsmitglieds als Arbeitnehmer aus (ibid.). Der Begriff umfasst im Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB daher nach ganz überwiegender Meinung sowohl die Begründung von öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnissen als auch die Bestellung von Organen (ibid). Es ist offensichtlich, dass Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte oder Beiräte nicht im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens bestellt werden können: Organtätigkeiten sind höchstpersönliche Verpflichtungen und keine Dienstleistungen, die auch von Unternehmen wahrgenommen werden könnten. Dies gilt auch dann, wenn die Bestellung eines Organs nicht mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages gekoppelt ist, wie dies bei Aufsichtsrats- und Beiratsmitgliedern der Fall ist. Insofern bedarf es jedenfalls einer erweiternden Auslegung, wonach Arbeitsverträge im vergaberechtlichen Sinne auch Bestellungsverträge mit einzelnen Organmitgliedern sind (Schellenberg, in: Pünder/Schellenberg, § 107 GWB, Rn. 33-36).
Der EuGH hat sich zum Begriff der Arbeitsverträge und der Ausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB verhalten. Unter den Begriff Arbeitsverträge der Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB fallen auch befristete Einzelarbeitsverträge, die mit Personen geschlossen werden, die nach objektiven Kriterien wie Dauer der Arbeitslosigkeit, früherer Berufserfahrung und Anzahl unterhaltsberechtigter minderjähriger Kinder ausgewählt wurden (EuGH, Urteil vom 25.10.2018, C-260/17). Denn das EU-Vergaberecht will den grenzüberschreitenden Handel erfassen, nicht aber die Arbeitsfreiheit einzelner Personen regulieren. In Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2014/24/EU heißt es: Es sei darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise dazu verpflichtet werden, die Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder nach außen zu vergeben, wenn sie diese Dienstleistungen selbst erbringen oder die Erbringung durch andere Mittel als öffentliche Aufträge organisieren möchten. Daran gemessen macht dieser Erwägungsgrund einerseits deutlich, dass der Abschluss von Arbeitsverträgen durch öffentliche Auftraggeber bezweckt, Dienstleistungen selbst erbringen zu können. Das Vergaberecht erfasst nur Dienstleistungen, die aufgrund von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen, nicht aber auf anderen beschaffungsatypischen Grundlagen beruhen, wie etwa Gesetz oder eben Arbeitsverträgen. Ein Arbeitsverhältnis begründet regelmäßig ein besonderes Vertrauens- und Pflichtenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Insbesondere sollen Arbeitgeber bei ihrer personellen Auswahl nicht daran gehindert sein, auch rein persönliche oder subjektive Eindrücke zu berücksichtigen. Ebenso können vergaberechtsfreie Arbeitsverträge auf unbestimmte oder begrenzte Zeit abgeschlossen werden (Vergabeblog.de vom 10/12/2018, Nr. 39357).
Für die Zwecke dieser Definition ist die Frage, wie diese Personen eingestellt werden, folglich unerheblich. Insbesondere kann zwar ein Arbeitsverhältnis auf einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer beruhen. Daraus folgt jedoch keineswegs, dass unter Ausschluss von aufgrund einer Auswahl nach objektiven Kriterien geschlossenen Verträgen nur Verträge, die aufgrund subjektiver Kriterien hinsichtlich der eingestellten Personen geschlossen werden, „Arbeitsverträge“ i.S.d. Bestimmung wären (Gurlit, in Burgi/Dreher/Opitz, § 107 GWB, Rn. 24). Da gemäß der Definition des „Arbeitsverhältnisses“ durch den EuGH der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber nach dessen Weisung während einer bestimmten Zeit Leistungen erbringt, können darüber hinaus auch befristete Verträge nicht von dem Begriff „Arbeitsverträge“ i.S.v. Art. 10 Buchst. g der Richtlinie 2014/24 mit der Begründung ausgenommen werden, dass die Dauer des Arbeitsverhältnisses, das durch sie geschaffen werde, begrenzt sei (EuGH, Urteil vom 25.10.2018, C-260/17).
Arbeitnehmerüberlassungen nach dem AÜG sind vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts dem Wortlaut nach nicht ausdrücklich oder unmittelbar ausgenommen, da das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers dort nicht mit dem beschaffenden Entleiher, sondern mit dem Verleiher besteht. Auftragsgegenstand ist dem Grunde nach eine Dienstleistung des Verleihers an den Entleiher, weshalb es sich nach Ansicht der Literatur um einen Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 4 GWB handelt (Sterner, in: Müller-Wrede, § 107 GWB, Rn. 21; Höß, in: Heuvels/Höß/Kuß/Wagner, § 100 GWB, Rn. 8).
Ungeachtet des durch die Neufassung missverständlich gewordenen Wortlauts, der von „öffentlichen Aufträgen zu Arbeitsverträgen“ spricht, sind Arbeitnehmerüberlassungsverträge keine Arbeitsverträge, sondern Dienstleistungsverträge (Gurlit, in Burgi/Dreher/Opitz, § 107 GWB, Rn. 25; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, § 107 GWB, Rn. 33). Jedenfalls keine Arbeitsverträge sind daher Verträge zur Personalüberlassung und über das Management von Unternehmen. Handelsvertreter- oder Eigenhändlerverträge, wie sie von dem Vergaberecht unterworfenen juristischen Personen der öffentlichen Hand durchaus abgeschlossen werden können, fallen ebenfalls nicht unter die Ausnahme (Schellenberg, in: Pünder/Schellenberg, § 107 GWB, Rn. 33-36).
Die vergaberechtliche Besonderheit für die Arbeitnehmerüberlassung spiegelten sich laut VK Bund dennoch darin wider, dass die „Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung“ in Ziffer 22 des Anhangs I B als eigenständige Kategorie einer nachrangigen Dienstleistung aufgeführt war, bei der die Vermittlung im Vordergrund steht (VK Bund, Beschluss vom 18.08.2015, VK2-43/15). Nunmehr finden sie sich grundsätzlich in Anhang XIV zu Art. 74 der Vergabekoordinierungsrichtlinie wieder, der die Vergabe von Aufträgen für soziale und andere besondere Dienstleistungen regelt und für die ein höherer EU-Schwellenwert von 750.000 Euro gilt.
Vereinzelt harmonisieren die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten nicht miteinander und sind nicht stringent.
1. Das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gewährt ihm grundsätzlich die Entscheidung darüber, ob er Dienstleistungen selbst im eigenen Betrieb erbringt oder auf andere Weise z.B. durch Dritte erbringen lässt, sodass ihm als Ausfluss der EU-Vergaberichtlinien im Grundsatz nicht verwehrt ist, eine Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu beschaffen.
2. Eine analoge Anwendung des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB ist aufgrund des klaren Wortlauts, der von Arbeitsverträgen spricht, auf Arbeitnehmerüberlassungsverträge nicht vertretbar, zumal die Aufzählung der Ausnahmetatbestände systematisch abschließend ist und Erwägungsgrund 5 und Art. 10 Buchstabe g 2014/24/EU, dessen Ausfluss die Regelung ist, seit ihrer Entstehung nur von „Arbeitsverträgen“ spricht.
3. Die Nennung der Arbeitnehmerüberlassung im Anhang der Vergabekoordinierungsrichtlinie verdeutlicht im Umkehrschluss, dass die Richtlinie von einer grundsätzlichen Vergabepflichtigkeit ausgeht, bei der lediglich Erleichterungen gelten.
4. Die Frage ist, ob der Sinn und Zweck, der mit der Ausnahme der Arbeitsverträge von der Vergabepflicht einhergeht, unter Umständen auch auf Arbeitnehmerüberlassungsverträge zutrifft.
Die Begründung der Ansichten von Rechtsprechung und Literatur zur Vergabefreiheit von Arbeitsverträgen drehen sich im Wesentlichen stets um die Begrifflichkeiten der Weisungsabhängigkeit, der Eingliederung in den eigenen Betrieb, der personengebundenen, auf höchstpersönliche Leistung bezogenen Auswahlentscheidung und des besonderen Vertrauens- und Pflichtenverhältnisses. Insbesondere sollen Arbeitgeber bei ihrer personellen Auswahl nicht daran gehindert sein, auch rein persönliche oder subjektive Eindrücke zu berücksichtigen.
Betrachtet man nunmehr die Interessenslage bei der Beschaffung eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags, fällt auf, dass es dem Auftraggeber und Entleiher hauptsächlich darum geht, dass der Verleiher einen Leiharbeitnehmer weisungsgebunden, in den Betrieb des Entleihers eingegliedert, zur Verrichtung der Arbeitsleistung beim Auftraggeber überlasst. Es kommt dem Auftraggeber als Entleiher regelmäßig auf besondere Erfahrungen und Qualifikationen des Leiharbeitnehmers an und es kommt ihm erheblich darauf an, dass dieser die Leistung höchstpersönlich erbringt. Zu diesem Zweck werden vor endgültiger Überlassung persönliche Vorstellungs- bzw. Bewerbungsgespräche beim Entleiher geführt, um eine Auswahlentscheidung treffen zu können. Im Ergebnis kauft der Auftraggeber daher ein besonderes Vertrauens- und Pflichtenverhältnis ein. Von Bedeutung sind für ihn bei der personellen Auswahl insbesondere auch rein persönliche und subjektive Eindrücke vom Leiharbeitnehmer.
Das Vergaberecht soll nur Dienstleistungen, die aufgrund von öffentlichen Aufträgen, gerade aber nicht solche, die auf anderen beschaffungsatypischen Grundlagen beruhen, erfassen. Auch an dieser Stelle könnte man sich bei der Arbeitnehmerüberlassung die nicht unberechtigte Frage stellen, ob ihre Natur als „Zwitter“, „Kombination“ bzw. Verknüpfung“ von Dienstleistung und Arbeitsvertrag mit einem Mehrpersonenverhältnis beschaffungstypisch ist. Denn rein rechtlich-formalistisch ist mit Sicherheit zuzugeben, dass durch den Entleiher im direkten Verhältnis zum Verleiher unmittelbar eine reine Dienstleistung in Form der Arbeitnehmerüberlassung beschafft wird. Betrachtet man die Beschaffung jedoch inhaltlich, wird man feststellen müssen, dass an sich eine kombinierte bzw. gekoppelte Leistung eingekauft wird, in dem bereits im Rahmen der Dienstleistung zwischen Entleiher und Verleiher vereinbart wird, dass regelmäßig eine weisungsgebundene Arbeitsleistung des zu überlassenen Leiharbeiternehmers, der in den Betrieb des Entleihers eingegliedert wird, aufgrund einer persönlichen und subjektiven Auswahlentscheidung beschafft wird. Vom Sinn und Zweck her ist es folglich zu kurzgegriffen, an dieser Stelle nur von einer üblichen bzw. gewöhnlichen Dienstleistung zu sprechen, sondern muss dem Vorgang eine gewissen „Beschaffungsatypik“ zugestehen.
Auch hält der EuGH die Ausnahme für Arbeitsverträge auf befristete Einzelarbeitsverträge anwendbar. Ebenso können vergaberechtsfreie Arbeitsverträge auf unbestimmte oder begrenzte Zeit abgeschlossen werden. Insoweit würde die Bereitstellung eines Leiharbeitnehmers mit einer aufgrund des AÜG enthaltenen Höchstbefristung nicht per se entgegenstehen.
Der „Arbeitsmarkt“ ist natürlich ein anderer als der vergaberechtliche „Markt“ im Sinne des Wettbewerbs. Auf letzterem bewegen sich nun einmal die Verleiher-Unternehmen, sodass hier vergaberechtlicher Wettbewerb besteht, den das Vergaberecht durchaus zu regulieren bezweckt. Der Normgeber hat die Besonderheiten der Arbeitnehmerüberlassung jedoch teilweise bereits erkannt. Die vergaberechtliche Besonderheit für die Arbeitnehmerüberlassung spiegelt sich wie oben ausgeführt darin wider, dass die „Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung“ im Anhang der Vergabekoordinierungsrichtlinie als andere besondere Dienstleistung aufgenommen wurde.
Nach jetziger Rechtslage unterliegen Beschaffungen von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen im Sinne des AÜG dem öffentlichen Vergaberecht. Eine allgemeine oder besondere Ausnahme ist für diese Dienstleistung nicht unmittelbar ausdrücklich geregelt. Einer analogen Anwendung wird eine Absage erteilt.
Löst man sich dennoch von der rein formalistischen Betrachtungsweise, dass der Entleiher vom Verleiher in erster Linie eine Dienstleistung beschafft, an sich jedoch im Schwerpunkt an der weisungsabhängigen Erbringung der Arbeitsleistung des entliehenen Arbeitnehmers mit Eingliederung in den eigenen Betrieb des Entleihers interessiert ist, so fällt deutlich auf, dass auch Arbeitnehmerüberlassungsverträgen im Grunde regelmäßig die gleiche Interessenslage zugrunde liegt wie Arbeitsverträgen, für die die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB geschaffen wurde. Lediglich durch das Konstrukt der Arbeitnehmerüberlassung mit mehreren Beteiligten und einer Kombination aus Dienstleistungsvertrag sowie Arbeitsvertrag entsteht die formalistische Situation, dass der Auftraggeber vordergründig eine Dienst- und nicht Arbeitsleistung einkauft.
Nach Ansicht des Autors wäre es also unter Abänderung bzw. Anpassung der Richtlinien- und Gesetzeslage durchaus nicht abwegig und sachgerecht, die Beschaffungen von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen ausdrücklich vergabefrei oder zumindest mit weiteren Erleichterungen zu gestalten und bspw. im Rahmen einer nächsten Reform in den allgemeinen Ausnahmen des § 107 GWB unterzubringen, um den Besonderheiten Rechnung zu tragen.
Empfehlung der Redaktion
Michael Pilarski teilt sein Fachwissen auch in Seminaren der DVNW Akademie. Am 24. April 2023 betrachtet er zum Beispiel das Vergaberecht aus Sicht von Fördermittelempfängern und Zuwendungsgebern. Jetzt anmelden!
Der Autor Michael Pilarski ist als Volljurist bei der Investitions- und Förderbank des Landes Niedersachsen – NBank – in Hannover tätig. Als Prüfer, insbesondere der Vergaberechtsstelle, lag sein Schwerpunkt mehrere Jahre in den Bereichen Zuwendungs- und Vergaberecht. Er hat die Einhaltung des Zuwendungs- und Vergaberechts durch private und öffentliche Auftraggeber, die Förderungen aus öffentlichen Mitteln erhalten, geprüft und Zuwendungsempfänger bei zuwendungs- und vergaberechtlichen Fragestellungen begleitet. Nunmehr ist er in der Rechtsabteilung der NBank in den Bereichen Vergabe-, Vertrags- sowie Auslagerungsmanagement beschäftigt. Darüber hinaus sitzt er der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Lüneburg bei, ist zugelassener Rechtsanwalt und übernimmt Referententätigkeiten sowie Schulungen im Zuwendungs- und Vergaberecht.
Guten Tag Herr Pilarski,
vielen Dank für den gut strukturierten und pragmatischen Beitrag. Ich hätte dazu zwei Rückfragen:
1. Welche Vereinfachungen oder Erleichterungen könnten Sie sich für die Beschaffung von ANÜ-Leistungen vorstellen und wie sind diese ggfs. in ein formelles (aber unterschwelliges) Vergabeverfahren zu integrieren?
2. Halten Sie Ihre Ausführung für (im Wesentlichen) übertragbar auf die Beschaffung von Interimsmanagementleistungen, z.B. einer Interimsgeschäftsführung?
Besten Gruß
Jonathan Löffler
Sehr geehrter Herr Löffler,
vielen Dank zunächst einmal. Zu Ihren Fragen:
Die Frage nach den Vereinfachungen bzw. Erleichterungen wäre glücklicherweise dem Gesetzgeber überlassen, die natürlich berücksichtigen müssten, dass eine Vielzahl von Interessen übereinkommen muss; zwischen Sachgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsgrundsatz. Vereinfachungen könnten von völliger Vergabefreiheit wegen der Vergleichbarkeit zu Arbeitsverträgen reichen, über Erhöhungen von Schwellenwerten und Wertgrenzen, flexibleren Verfahrensarten mit Ausnahmen für Arbeitnehmerüberlassungsverträge sowohl im Ober- als auch Unterschwellenbereich, dass bspw. Direktvergaben rechtlich einfacher möglich und zulässig wären oder dass größere Spielräume bestünden, was Prüfung und Wertung angeht, was sich auch in subjektiven Kriterien äußern könnte, von denen Vergabestellen aus Angst, sei seien nicht zulässig und auftragsbezogen, weil sie dem recht objektiven Vergaberecht fremd sind.
Dazu müsste man tatsächlich die Köpfe zusammenstecken und die besten und praktischsten Lösungen erarbeiten, was in einer kurzen Antwort selbstverständlich nicht möglich ist. Insoweit bitte ich auch darum, die Aufzählung nicht auf die goldene Waage zu legen;).
Die zweite Frage ist sehr interessant. Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Ausführungen auf diejenigen Dienstleistungen übertragbar sind, die eine vergleichbare Nähe zum Wesen des Arbeitsvertrags aufweisen oder nach Auslegung sogar davon umfasst werden können. Bei Interimsmanagement oder Interimsgeschäftsführung wäre zunächst die Frage, wo, wie bzw. als was genau diese rechtlich ausgestaltet sind.
In diesem Zusammenhang kann ich auf obige Passage der vertretenen Meinungen verweisen:
„Zu weitgehend ist aber wiederum die Annahme, Verträge über die Bestellung von Organmitgliedern juristischer Personen seien wegen deren fehlender Weisungsgebundenheit nicht als Arbeitsverträge zu qualifizieren mit der Konsequenz, dass bei Überschreiten der Schwellenwerte das GWB-Vergaberecht anzuwenden sei. Hiermit würde Sinn und Zweck der Ausnahme verfehlt, da bei diesen Bestellungsvorgängen gleichermaßen eine personengebundene, auf höchstpersönliche Leistungen bezogene Auswahlentscheidung in Frage steht. Zudem schließt auch Art. 45 AEUV nicht kategorisch die Einstufung eines Geschäftsleitungsmitglieds als Arbeitnehmer aus (ibid.). Der Begriff umfasst im Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 3 GWB daher nach ganz überwiegender Meinung sowohl die Begründung von öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnissen als auch die Bestellung von Organen (ibid). Es ist offensichtlich, dass Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte oder Beiräte nicht im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens bestellt werden können: Organtätigkeiten sind höchstpersönliche Verpflichtungen und keine Dienstleistungen, die auch von Unternehmen wahrgenommen werden könnten. Dies gilt auch dann, wenn die Bestellung eines Organs nicht mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages gekoppelt ist, wie dies bei Aufsichtsrats- und Beiratsmitgliedern der Fall ist. Insofern bedarf es jedenfalls einer erweiternden Auslegung, wonach Arbeitsverträge im vergaberechtlichen Sinne auch Bestellungsverträge mit einzelnen Organmitgliedern sind (Schellenberg, in: Pünder/Schellenberg, § 107 GWB, Rn. 33-36).“
Das heißt, bereits jetzt sehen juristische Ansichten Vergabepflichten bei Geschäftsführern, Vorständen, Aufsichtsräten und Beiräten als praktisch sinnwidrig an. Hier dürfte es im Einzelfall jeweils auf die Rechtsform des zu führenden bzw. zu managenden Unternehmens bzw. der juristischen Person ankommen, zum im zweiten Schritt zu bestimmen, ob schon anhand der Rechtsnatur des Vertrags eine Vergabefreiheit besteht oder, obwohl kein Arbeitsvertrag besteht, zumindest sinngemäß solch höchstpersönliche Leistungen gefordert sind, dass keine gewöhnliche Dienstleistung beschafft wird.
Das sind allerdings nur ein paar Überlegungen auf die Schnelle.
Beste Grüße