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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 06/11/2023 Nr. 54848

Kündigung nach Schlechtleistung rechtfertigt Ausschluss! (VK Bund, Beschl. v. 17.08.2023 – VK2-56/23)

EntscheidungDer öffentliche Auftraggeber kann einen Bieter von der weiteren Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn dieser eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies u.a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat. Eine wesentliche Anforderung eines früheren öffentlichen Auftrags wird dabei nicht nur bei Verletzung einer Hauptleistungspflicht (z.B. bei Nichtleistung trotz Möglichkeit zur Leistung oder Leistungsverzug) verletzt, sondern auch bei Verstößen gegen bedeutende vertraglich vereinbarte Nebenpflichten. Die Pflicht zur wöchentlichen Teilnahme an Baustellenbesprechungen stellt insbesondere bei Großbaustellen mit mehreren Gewerken gleichzeitig eine solche Nebenpflicht dar.

§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A

Sachverhalt

Gegenstand der Vergabe ist die (Neu)Ausschreibung von Wärmedämmarbeiten (Wärmedämmverbundsystem) durch den öffentlichen Auftraggeber (AG) an mehreren Gebäuden im offenen Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Die Neuvergabe war erforderlich geworden, weil der AG den zuvor vergebenen Auftrag nach diversen Schlechtleistungen der Antragstellerin (AST) außerordentlich gekündigt hatte. Die AST hatte u.a.

  • die Bauarbeiten unter Hinweis auf diverse Behinderungsanzeigen teilweise gar nicht begonnen,
  • teilweise nach entsprechender Aufforderung nicht weitergeführt und zudem
  • an den vertraglich vereinbarten wöchentlichen Baubesprechungen ohne Entschuldigung ganz überwiegend nicht teilgenommen.

Darüber hinaus wurde fünf Wochen nach der Kündigung dieses Auftrags auch ein weiterer Auftrag mit der AST wegen teilweise vergleichbarer Schlechtleistungen betreffend Innenputzarbeiten ebenfalls außerordentlich gekündigt.

Die AST gibt im streitgegenständlichen Vergabeverfahren das preisgünstigste Angebot ab, wird von dem AG allerdings wegen Schlechtleistung unter Berufung auf § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A ausgeschlossen. Hiergegen wendet sich die AST und stellt nach Zurückweisung ihrer Rüge einen Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Der Ausschluss war rechtskonform, da die AST bei den beiden vorangehenden Bauaufträgen erheblich und fortdauernd mangelhaft geleistet hat; der Nachprüfungsantrag mithin unbegründet.

§ 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A bestimmt, dass der AG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen kann, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies u.a. zu einer vorzeitigen Beendigung geführt hat. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der AST vor.

1. Mangelhaftigkeit der Leistungen

Hinsichtlich des Vertrages zur Anbringung des Wärmedämmverbundsystems ist die Schlechtleistung zum einen darin zu sehen, dass die AST die Dämmarbeiten nicht fristgerecht durchgeführt hat. 65% der ursprünglich beauftragten Dämmarbeiten waren von der Behinderungsanzeige der AST nicht betroffen und hätten somit durchgeführt werden können. Die AST hat diese Arbeiten jedoch nicht vorgenommen, sondern unter Berufung auf die streitigen Punkte letztlich fast keine Leistungen, in jedem Fall deutlich weniger als die wie vorstehend beschrieben möglichen Leistungen erbracht.

Ein weiterer Mangel der Leistungen, diesmal bezogen sowohl auf den Auftrag zur Anbringung des Wärmedämmverbundsystems wie auch des Innenputzes, ist darin zu sehen, dass die AST die überwiegende Anzahl der Jour fixe-Termine nicht wahrgenommen hat. Vertreter der AST waren nur bei neun von insgesamt 31 Terminen anwesend. Im Jahr 2023 handelte es sich insoweit, bis zur Kündigung des Vertrages über die Wärmedämmarbeiten Ende März, um lediglich einen Jour fixe-Termin, an dem die AST teilnahm. Eine Schlechtleistung i.S.d. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A kann nicht nur bei Verletzung einer direkt den Vertragsgegenstand ausmachenden Pflicht vorliegen, wie hier insbesondere betreffend die unmittelbaren Wärmedämm- bzw. Putzarbeiten. Auch ein Verstoß gegen den kaufmännischen Teil des Vertrages kann als Schlechtleistung in diesem Sinne eingestuft werden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.05.2018 zum Az. 11 Verg 5/18, jeweils zum ungenehmigten Nachunternehmereinsatz). Vorliegend war die Teilnahme an den wöchentlichen Jour fixe-Besprechungen in den zusätzlichen Vertragsbedingungen ausdrücklich vereinbart. Die Nichtteilnahme an diesen Veranstaltungen stellt damit einen Mangel der Leistung dar.

2. Wesentlichkeit der mangelhaften Leistungen, Gewissheit, Ermessen und Verhältnismäßigkeit

Hinsichtlich der unterbliebenen Wärmedämmarbeiten, einschließlich der von dem AG gegenüber der AST angemahnten Leistungen, handelt es sich um Hauptleistungspflichten aus dem vorangegangenen Auftrag, was für die Wesentlichkeit der Anforderung spricht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 zum Az. Verg 7/18). Diese wesentliche Anforderung wurde auch erheblich und fortdauernd verletzt. Der AG legt insoweit nachvollziehbar dar, dass es nicht nur zu Verzögerungen dieser unmittelbaren Dämmarbeiten kam, sondern auch weitere Gewerke auf der Baustelle mit betroffen wurden. Auch bei der Teilnahme an den Jour fixe-Terminen handelt es sich um eine wesentliche Anforderung beider gekündigten Voraufträge. Ausschlaggebend ist für das Kriterium der Wesentlichkeit, welche Bedeutung der jeweiligen Anforderung für den AG zukommt, mithin wie sich eine mangelhafte Erfüllung für ihn auswirkt. Die Wesentlichkeit ergibt sich schon aus der expliziten vertraglichen Verpflichtung zur Teilnahme, die die Wichtigkeit der Jour fixes für den AG hervorhebt.

Diese erheblichen Schlechtleistungen haben auch in beiden Voraufträgen zu einer vorzeitigen Beendigung der Aufträge durch fristlose Kündigung von Seiten des AG geführt. Die AST hat den Kündigungen jeweils widersprochen. Eine gerichtliche Prüfung, die zur rechtskräftigen Feststellung der Rechtmäßigkeit der Kündigungen geführt hätte, ist bislang zwar nicht erfolgt, aber für die Nachprüfung des von dem AG verfügten vergaberechtlichen Ausschlusses nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auch nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass der AG von der Schlechterfüllung Gewissheit hat, also eine Überzeugung gewonnen hat, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet. Dies ist nach dem Sachverhalt vorliegend eindeutig der Fall.

Ferner hat der AG bei der Entscheidung über den Ausschluss der AST sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Aus der Vergabeakte lässt sich unmissverständlich entnehmen, dass der AG hinsichtlich des Ausschlusses der AST Ermessenserwägungen angestellt hat. So findet sich im entsprechenden Vermerk nicht nur eine ausführliche Sachverhaltsdarstellung und Begründung der Kündigung beider Voraufträge, sondern insbesondere auch eine Prognose zur (nicht) zu erwartenden zukünftigen Vertragserfüllung durch die AST.

Die Entscheidung, die AST vom Vergabeverfahren auszuschließen, ist unter Berücksichtigung der Schwere der Pflichtverletzung wie auch des Ausmaßes des dadurch verursachten Schadens schließlich verhältnismäßig.

Rechtliche Würdigung

Aufgrund des Sachverhalts ist die Entscheidung der VK Bund wenig überraschend und in sich schlüssig und nachvollziehbar. Vorliegend haben diverse mehr oder weniger unstreitige Schlechtleistungen zu außerordentlichen Kündigungen von gleich zwei Bauaufträgen der AST geführt. Dass der AG dann berechtigt sein muss, die erneute Beauftragung mittels Ausschlusses nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A zu verhindern, sollte klar sein.

So richtig wie zutreffend ist dabei die Aussage, wonach bei Bauleistungen nicht nur eine Verletzung von Hauptleistungspflichten wesentliche Schlechtleistungen darstellen können, sondern auch der Verstoß gegen vertragliche Nebenpflichten, vorliegend in Gestalt eines Verstoßes gegen die in der Praxis häufig anzutreffende Pflicht zur Teilnahme an wöchentlichen Baustellenbesprechungen. Dies gilt – so die Vergabekammer zutreffend – erst recht unter Berücksichtigung der hohen Relevanz der koordinierenden Besprechungen zwischen den einzelnen Gewerken auf größeren Baustellen.

Schließlich hat die Vergabekammer die einzelnen Voraussetzungen der ordnungsgemäßen Ausübung des Ausschlussgrundes schulmäßig geprüft und richtigerweise bejaht. Bei der Prüfung der in der Praxis häufig vernachlässigten Ermessenausübung konnte die Vergabekammer auf gleich zwei Vermerke in der Vergabeakte zurückgreifen, einen des AG und einen weiteren des involvierten Ingenieurbüros. Entscheidend stellt die Vergabekammer darauf ab, dass sich in beiden Vermerken jeweils (negative) Prognosen befinden, welche von der Beauftragung dieses Angebotes abraten. Ferner werden unter Hinweis auf diese Prognose Argumente aufgeführt und damit dokumentiert, welche die Ausschlussentscheidung begründen. Insoweit ergibt sich aus der Vergabeakte eindeutig, dass der AG eine Entscheidung getroffen hat, ohne fehlerhaft von einer Bindung infolge eines zwingenden Ausschlussgrundes auszugehen.

Praxistipp

Sofern öffentliche Auftraggeber von dem Ausschlussgrund der Schlechtleistung nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A Gebrauch machen wollen, tun Sie gut daran, bei der Dokumentation sowohl der Schlechtleistung als solcher als auch der daraufhin ausgeübten Ermessensentscheidung einen gewissen Aufwand zu betreiben. Anderes als in vielen anderen Sachverhalten, insbesondere solchen ohne vorausgegangene außerordentliche Kündigung eines Bauauftrags, sind nicht unerhebliche Hürden zu überspringen, um den Ausschlussgrund rechtssicher ausüben zu können.

Auftragnehmern und Bietern ist zu empfehlen sich anders zu verhalten als der (ehemalige) Auftragnehmer/ Bieter in dem hier zugrundeliegenden Sachverhalt. Ohne an dieser Stelle auf die Einzelheiten (und Möglichkeiten) der VOB/B einzugehen, möchte ich es an dieser Stelle bei einem wichtigen Grundsatz belassen, welcher jedenfalls bei leistungswilligen Unternehmen einen hinreichenden Grund für eine möglichst ordnungsgemäße Leistungserbringung mit sich bringen sollte:

Gemäß § 6 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Sobald die (etwaigen) hindernden Umstände wegfallen, hat er ohne weiteres und unverzüglich die Arbeiten wieder aufzunehmen und den Auftraggeber davon zu benachrichtigen. Dies bedeutet zugleich, dass mögliche Bauleistungen zu erbringen sind und zwar unabhängig davon, dass bei anderen Leistungen möglicherweise eine Behinderung vorliegt. Hiergegen hat die AST im streitgegenständlichen Fall zweifelsohne eklatant verstoßen und damit eine (wesentliche) Schlechtleistung begangen.

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Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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