Der Haushaltsausschuss hat sich vergangenen Dienstag, 21. November 2023, mit den Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Nachtragshaushalt 2021 auf den Haushalt 2024 sowie das Haushaltsfinanzierungsgesetz befasst und öffentlicht Expertenzu den Folgen des Urteils angehört. Am Folgetag, Mittwoch, den 22. November 2023, sagte der Haushaltsausschuss die für Donnerstag geplante Abstimmung über den Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 und den Regierungsentwurf für ein Haushaltsfinanzierungsgesetz ab. Das Bundesfinanzministerium hat zwischenzeitlich die für den Klima- und Transformationsfonds verfügte Haushaltssperre auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt ausgeweitet. Ausgangslage
Das Bundesverfassungsgericht hatte den Zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Mit dem Zweiten Nachtragshaushalt hatte die Bundesregierung die Übertragung von Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) vorgesehen. Dazu hatte der Bundestag erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremse beschlossen und die Notsituation mit den Folgen der Corona-Pandemie begründet. Geklagt hatten Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Expertenanhörung im Haushaltsausschuss
In der Anhörung sprachen sich am 21.11.2023 mehrere der Sachverständigen dafür aus, einen Nachtragshaushalt für 2023 zu verabschieden, der die Erklärung einer Notlage im Sinne der Schuldenbremse vorsieht. Damit soll laut Expertenmeinung sichergestellt werden, dass die aus dem Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) in diesem Jahr abgeflossenen Mittel verfassungsrechtlich gedeckt sind.
Der Bundestag hatte 2022 beschossen, zur Bekämpfung der Energiepreiskrise insgesamt Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro in den WSF zu überführen, um damit in den Jahren 2022, 2023 und 2024 unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse zu finanzieren. Auch diese Übertragung von Kreditermächtigungen, die auf Grundlage einer Ausnahme von der Schuldenregel beschlossen worden waren, steht nach Auffassung der Experten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf verfassungsrechtlich wackligen Beinen.
Uneinig waren sich die Sachverständigen in der Frage, ob der aktuell im parlamentarischen Verfahren befindliche Bundeshaushalt 2024 zeitnah beschlossen werden sollte oder nicht.
Der Rechtswissenschaftler Professor Hanno Kube (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) legte dar, dass er nachdrücklich keine Beschlussreife des Haushaltsentwurfs sehe. Kube, der in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Unionsabgeordneten vertrat, sprach sich dafür aus, zunächst einen „Kassensturz“ vorzunehmen, auch mit Blick auf den Haushalt 2023. Dabei bezog sich der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Sachverständige zum einen auf die Problematik rund um die Kreditermächtigungen des WSF, zum anderen auf die Nachberechnung der Ausgaben aus den Sondervermögen. Kube verwies auf die Möglichkeiten einer vorläufigen Haushaltsführung, sollte kein Haushalt für 2024 beschlossen werden.
Ähnliche positionierte sich auch der Bundesrechnungshof. In ihrer Stellungnahme führten die unabhängigen Rechnungsprüfer an, dass die Nettokreditaufnahme im Jahr 2023 nach Maßgaben des Urteils – bezogen auf den WSF und die Anrechnung der Kreditaufnahme der Sondervermögen – tatsächlich bei 184,4 Milliarden Euro liegen würde. Das seien 138,8 Milliarden Euro mehr als nach der Schuldenregel zulässig (und im Bundeshaushalt ausgewiesen). Für den Regierungsentwurf 2024 bezifferte der Hof, der ebenfalls von der Union zur Anhörung benannt worden war, die tatsächliche NKA mit 65,1 Milliarden Euro, die um 48,5 Milliarden Euro über der Schuldenregel und der im Entwurf vorgesehenen Neuverschuldung liege. „Sollte der Bundestag den Haushalt 2024 sowie den Wirtschaftsplan des WSF-Energiekrise für das Jahr 2024 auf Grundlage des Regierungsentwurfs ohne wesentliche Änderungen im Hinblick auf die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts beschließen, hielte der Bundesrechnungshof dies für verfassungsrechtlich höchst risikobehaftet“, heißt es in der Stellungnahme weiter.
Der Rechtswissenschaftler Professor Henning Tappe (Universität Trier) hingegen betonte, dass unmittelbar aus dem Urteil für den Kernhaushalt – abseits vom Wirtschaftsplan des Klima- und Transformationsfonds – nur „redaktionelle Änderungsbedarfe“ bestünden. Eine andere Frage sei indes, wie man auf die fehlenden 60 Milliarden Euro reagieren wolle, sagte der von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige.
Der Rechtswissenschaftler Professor Alexander Thiel (BSP Business & Law School) Berlin führte aus, dass das Grundgesetz zwar ermögliche, einen Haushalt auch nach Beginn des Haushaltsjahres zu verabschieden. Wünschenswert sei aber, dies nicht zu tun. Er halte die Verabschiedung „trotz der Komplexität“ für machbar, sagte der von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige.
Aus ökonomischer Perspektive sprach sich der Wirtschaftswissenschaftler Professor Jens Südekum (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) für eine Verabschiedung des Haushaltes 2024 aus. Weitergehende Fragen ließen sich gegebenenfalls über einen Nachtragshaushalt klären. Südekum führt aus, dass durch das Urteil sowie dessen Folgen für den KTF und die darin enthaltenen Programme Verunsicherung bei Unternehmen und Privathaushalten entstehen werde. Die im KTF enthaltenen Projekte seien aber weiterhin notwendig und müssten rechtssicher dargestellt werden, sagte der ebenfalls von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige.
Ähnliche argumentiert der Wirtschaftswissenschaftler Professor Berthold U. Wigger (Karlsruher Institut für Technologie). Es entstünden „zusätzliche Unsicherheiten“, sagte Wigger mit Verweis auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Wichtig sei nun die Priorisierung im Haushalt. Steuererhöhungen, um einnahmenseitig zu reagieren, sah der von der FDP-Fraktion benannte Sachverständige skeptisch. Die steuerlichen Rahmenbedingungen beeinflussten die Standortattraktivität – und Deutschland habe in den vergangenen 15 Jahren an Standortattraktivität verloren, so Wigger.
Für eine Priorisierung im Haushalt sprach sich auch der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dirk Meyer (Universität der Bundeswehr Hamburg) aus. Eine weitere Möglichkeit sah Meyer unter anderem in der stärkeren Nutzung von Marktmechanismen wie dem CO2-Preis. Würde man langfristig von einer „Verordnungspolitik“ samt Technologielenkung wegkommen, ließen sich Haushaltsmittel freikriegen, sagte der von der AfD-Fraktion benannte Sachverständige.
Insgesamt äußerten sich zehn Sachverständige auf Fragen der Abgeordneten und in schriftlichen Stellungnahmen. Das Video der Anhörung, die Sachverständigenliste und deren Stellungnahmen auf bundestag.de.
Haushaltssperre
Das Bundesfinanzministerium hat die für den Klima- und Transformationsfonds verfügte Haushaltssperre auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt ausgeweitet, berichtet die Tagesschau unter dem Titel: „Nach Urteil des Verfassungsgerichts – Finanzministerium weitet Haushaltssperre aus“. Das Bundesfinanzministerium „stoppt die Verpflichtungsermächtigungen in 2023, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden“.
Regierungserklärung erwartet
Bundeskanzler Olaf Scholz wird sich heute am Dienstag, 28. November 2023, im Rahmen einer 25-minütigen Regierungserklärung zur gegenwärtigen Haushaltslage äußern. Dies wird ab 10 Uhr live im Parlaments-TV übertragen.
Quelle Bundestag, Tagesschau
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