Mit Urteil vom 16.05.2023 (Az.: XIII ZR 14/21) hat der BGH – was in dem nachfolgend wiedergegebenen Leitsatz nicht hinreichend zum Ausdruck kommt – entschieden, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A gebe dem Auftraggeber (auch) das Recht, verbindlich Dateiformate vorzugeben, in denen Angebote oder Angebotsteile zur Vermeidung eines Ausschlusses aus formalen Gründen einzureichen sind. Diese Entscheidung erging zwar zur VOB/A 2016, sie wäre aber, wenn sie richtig wäre – was sie aber nicht ist – auf die gleichlautende Norm in der VOB/A 2019 übertragbar.
Anfang 2019 schrieb der Auftraggeber im Wege einer Öffentlichen Ausschreibung nach dem Abschnitt1 der VOB/A 2016 Bauarbeiten mit einem geschätzten Auftragswert von ca. 140.000 € aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Elektronische Angebote waren zugelassen. Die Vergabeunterlagen enthielten eine Vorgabe des Auftraggebers, die so zu verstehen war, dass Bieter, die eAngebote abgeben, das mit Preisangaben ausgefüllte Leistungsverzeichnis als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einreichen mussten. Bieter A gab das preisgünstigste Angebot ab. Sein eAngebot war vollständig, allerdings lag das ausgefüllte Leistungsverzeichnis nur als PDF-Datei vor. Der Auftraggeber schloss das Angebot des A nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 aus formalen Gründen aus und vergab den Auftrag in der Folgezeit anderweitig. Daraufhin verklagte A den Auftraggeber auf Schadensersatz (positives Interesse). Mit Urteil vom 28.07.2020 wies das Landgericht die Klage ab; der Grund für die Klageabweisung spielte im weiteren Verlauf keine Rolle mehr. Auf Berufung des A gab das Oberlandesgericht mit Urteil vom 25.08.2021 der Klage dem Grunde nach statt. Es war der Auffassung, A habe ein prüf- und wertungsfähiges Angebot abgegeben; ein Ausschluss nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 sei nicht in Betracht gekommen, weil die Vorgabe, das Leistungsverzeichnis im GAEB-Format einzureichen, nicht von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 gedeckt sei. Hiergegen legte der Auftraggeber Revision ein.
Der BGH gab der Revision statt. Der Begriff „Form“ in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 lasse nach seinem Wortlaut die Auslegung dahin zu, dass die Form des Angebots auch die bei seiner Einreichung zu verwendenden elektronischen Mittel umfasse, dieses Mittel also vom Auftraggeber verbindlich vorgegeben werden könne. Das bei der Abgabe eines Angebots zu verwendende elektronischen Mittel könne zugleich die Art und Weise der Verkörperung des Angebots und seiner Abgabe bestimmen. Wenn ein elektronisches Mittel zur Verkörperung und Übermittlung des Angebots wie WinGAEB ein bestimmtes Dateiformat erfordere, beinhalte die Vorgabe der Verwendung dieses Mittels zwangsläufig auch die Vorgabe, dass Angebote in diesem Dateiformat zu erstellen und einzureichen sind.
Zunächst ist anzumerken, dass das Urteil des BGH schon sachlich sehr fragwürdig ist. Das im konkreten Fall vom Auftraggeber den Bietern zum Download zur Verfügung gestellte Programm WinGAEB ist ein Datenverarbeitungsprogramm (wie MS Word oder MS Excel), mit dem man Dateien im GAEB-Format herstellen, lesen, bearbeiten und in andere Formate wie MS Excel exportieren kann. WinGAEB gibt dem Verwender aber auch die Möglichkeit, ein ausgefülltes Leistungsverzeichnis als Excel-Datei oder txt-Datei zu erstellen. Das Programm ist kein elektronisches Mittel zum Senden oder Empfangen digitaler Angebote i.S.d. § 11a (EU/VS) Abs. 2 VOB/A. Mit WinGAEB hergestellte Dateien kann man z.B. auch als EMail-Anhang versenden. Das vom Auftraggeber für die Entgegennahme digitaler Angebote bereitgestellte elektronische Mittel erforderte offensichtlich auch nicht die Übermittlung von GAEB-Dateien. Sonst wäre dem Bieter A nämlich nicht gelungen, ein vollständiges Angebot im PDF-Format hochzuladen. Das System hätte auch Excel-Dateien akzeptiert.
Einer rechtlichen Nachprüfung hält das Urteil des BGH nicht stand. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 2 Abs. 1 Satz 1 VOB/A und § 2 Abs. 1 Satz 1 UVgO werden öffentliche Aufträge im Wettbewerb vergeben. Daraus folgt, dass der Auftraggeber nur dann wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen ergreifen darf, wenn dies aus sachlichen Gründen unbedingt notwendig ist. Zu den einschneidensten wettbewerbsbeschränkten Eingriffen eines Auftraggebers in ein Vergabeverfahren gehört der Ausschluss eines Wettbewerbsteilnehmers oder eines Angebots. Es sollte sich von selbst verstehen, dass dieser Schritt entweder auf einer normierten Grundlage beruhen (OLG Düsseldorf v. 08.07.2020 – Verg 6/20), oder zur Durchsetzung der Grundprinzipien des Vergaberechts unbedingt erforderlich sein muss. Zumindest bei der Ausschreibung von Bauleistungen ist weiterhin zu beachten, dass es erklärtes Ziel der bis heute fortwirkenden Neufassung der VOB/A aus dem Jahre 2009 war, im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren (BGH v. 18.06. 2019 – X ZR 86/17). Dass Angebote, die vollständig sind, also geprüft, gewertet und bezuschlagt werden könnten und nur im „falschen“ Dateiformat übermittelt wurden, unter keinem gravierenden Mangel leiden, kann niemand ernsthaft in Frage stellen. Leider ist die Botschaft des X. Zivilsenats des BGH nicht bei dem derzeit für Vergabesachen zuständigen XIII. Zivilsenat angekommen. Dieser hat stattdessen in § 13 Abs. 1 Satz 1 VOB/A die Befugnis des Auftraggebers hineingelegt, auch das Dateiformat, in dem das eAngebot (oder ein Teil davon) abzugeben ist, verbindlich und ausschlussbedroht vorzuschreiben.
Man könnte vielleicht den Begriff „Form“ in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A so verstehen, dass damit alle denkbaren formalen Anforderungen an Angebote gemeint sind, so z.B. auch die Vorgabe, dass schriftliche Angebote nur handschriftlich oder nur maschinenschriftlich erstellt werden dürfen. Das war und ist aber nicht Sinn und Zweck der Norm und war von dem für die Erarbeitung und Weiterentwicklung der VOB/A zuständigen Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) nie so gewollt. Dies ignorierte der BGH, als er § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A neu erfand.
Um die Jahrtausendwende guckte, aus Brüssel kommend, die eVergabe mit digitalen Angeboten um die Ecke. Dies nahm der DVA im Jahre 2000 zu Anlass, den Auftraggebern erstmals die Möglichkeit einzuräumen, auch eAngebote zuzulassen. Unter der neuen Überschrift „Form und Inhalt der Angebote“ hatten die neuen Sätze 1 und 2 des § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A 2000, die Urfassung des heutigen § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, folgenden Wortlaut:
„Die Angebote müssen schriftlich eingereicht und unterzeichnet sein. Daneben kann der Auftraggeber mit digitaler Signatur im Sinne des Signaturgesetzes versehene digitale Angebote zulassen, die verschlüsselt eingereicht werden müssen.“
Man kann nicht ernsthaft in Frage stellen, dass nur zwei Formen gemeint waren: schriftlich und digital, sonst nichts. Der Regelungsinhalt beschränkte sich auf die Aussage, dass Papierangebote immer zulässig sind, digitale nur dann, wenn sie vom Auftraggeber zugelassen wurden. Ein weitergehender Regelungsinhalt dahingehend, dass der Auftraggeber befugt sein könnte, für eAngebote auch sonstige verbindliche Formvorgaben zu machen, ließ sich mit seriösen Auslegungsmethoden nicht in die Norm hineininterpretieren.
2006 erhielt § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A eine sprachlich neue Fassung:
„Der Auftraggeber legt fest, in welcher Form die Angebote einzureichen sind. Schriftlich eingereichte Angebote sind immer zuzulassen. Sie müssen unterzeichnet sein. Elektronisch übermittelte Angebote sind nach Wahl des Auftraggebers mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz und den Anforderungen des Auftraggebers oder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen.“
Eine Änderung des Regelungsgehalts hinsichtlich des nun auch im Normtext enthaltenen Begriffs „Form“ war offensichtlich nicht gewollt; nach wie vor ging es nur um zwei Formen: schriftlich oder digital. Dementsprechend ist im jurisPK-Vergaberecht, 2. Auflage 2008 unter Rn. 3 zu § 21 VOB/A 2006 das zu lesen, was damals allgemeine Meinung war:
„Durch die Novelle der VOB/A 2006 wurde mit Blick auf die elektronische Vergabe in Nr. 1 Absatz 1 eine Neuregelung eingeführt, wonach der der Auftraggeber festzulegen hat, in welcher Form – schriftlich oder digital – die Angebote einzureichen sind.“
Die Fassung aus dem Jahre 2006 findet sich unverändert im der VOB/A 2009, dort allerdings als § 13 Abs. 1 Nr. 1. Die nächste Änderung erfolgte in der neuen Gesamtausgabe der VOB/A 2016. Ab dem 19.10.2018 entfiel die Verpflichtung des Auftraggebers, schriftliche Angebote immer zuzulassen. Im Einführungserlass des (damaligen) BMUB v. 09.09.2016 heißt es unter „Hinweise“ zu § 13:
„§ 13 sah bislang vor, dass der Auftraggeber (anders als in der VOL/A) schriftliche Angebote immer zulassen musste, also nicht vollständig auf die E-Vergabe umstellen konnte. Dies gilt jetzt nur noch bis zum 18. Oktober 2018, also dem Zeitpunkt, ab dem im Oberschwellenbereich die E-Vergabe spätestens verpflichtend wird. Nach diesem Zeitpunkt kann der Auftraggeber im Unterschwellenbereich die Form der einzureichenden Angebote bestimmen. Er kann wählen, ob er weiterhin schriftliche Angebote zulässt oder ausschließlich elektronisch eingereichte.“ In den Hinweisen zu § 14 ist zu lesen: „Entschließt sich der Auftraggeber nach dem 18. Oktober 2018, Angebote auch in schriftlicher Form zuzulassen, führt er weiterhin einen herkömmlichen Eröffnungstermin unter Anwesenheit der Bieter durch.“
Sollte es trotz der Normhistorie jemals Zweifel daran gegeben haben, dass es in § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 ausschließlich darum ging, dass der Auftraggeber frei wählen kann, ob er auch künftig neben Angeboten in digitaler Form auch Angebote in „schriftlicher Form“ zulässt und gegebenenfalls eine entsprechende Festlegung treffen muss, müssten diese durch die zitierten Hinweise endgültig ausgeräumt worden sein.
Der Regelungsinhalt des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2019 ist mit dem aus dem Jahre 2016 identisch. Auch heute gilt, was bereits 2016 galt: Gemäß § 11 Abs. 4 (EU/VS) VOB/A liegt es formgerechtes eAngebot vor, wenn es auf elektronischem Wege in Textform beim Auftraggeber eingeht. Für weitergehenden Formvorgaben, deren Missachtung mit dem Angebotsausschluss sanktioniert werden könnte, gibt es keine Rechtsgrundlage – schon gar nicht in § 13 (EU/VS) VOB/A.
Auf die Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen wäre die BGH- Entscheidung ohnehin nicht übertragbar. In der VgV fehlt eine Vorschrift, in die man das hineininterpretieren könnte, was der BGH in § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 hineingelegt hat. Die einzige Formvorschrift ist § 53 VgV. Der Wortlaut des § 38 Abs. 1 Satz 1 UVgO ist so eindeutig, dass er einer „Auslegung“ im Sinne der Entscheidung des BGH vom 16.05.2023 von vorn herein entgegensteht. Er gibt genau das wieder, was auch Sinn und Zweck des § 13 (EU/VS) Abs. 1 Nr. 1 VOB/A war und ist.
Empfehlung der Redaktion
Der Autor teil regelmäßig sein Wissen in Seminaren für die DVNW Akademie. Den „Grundkurs Vergaberecht für Auftraggeber“ können Sie zum Beispiel als Online-Seminar buchen oder an einem der Vor-Ort-Termine in Frankfurt, Düsseldorf oder Berlin teilnehmen.
RiOLG a. D. Hermann Summa war bis Mitte 2019 Richter am Oberlandesgericht Koblenz und einer der wenigen Richter, die seit 1999 ununterbrochen einem Vergabesenat angehörten, weshalb er mit der Entwicklung und Veränderung des Vergaberechts bestens vertraut ist. Bekannt wurde er als Mitherausgeber und -autor des juris PraxisKommentars Vergaberecht, eine Tätigkeit, die er nach wie vor ausübt. Auch im "Unruhestand" bleibt er dem Vergaberecht verbunden. Er ist weiterhin Referent auf Fachveranstaltungen und in der Fortbildung tätig.
In der Zeitschrift VergabeR 2023, Heft 6 gibt es eine Anmerkung zu dieser BGH-Fehlentscheidung von RA Mantler, die weitere sachliche und methodische Mängel des Urteils aufzeigt.
Die Entscheidung wurde auch von RA Dr. Nikolas Graichen auf Vergabeblog.de vom 07/08/2023, Nr. 54086: https://www.vergabeblog.de/2023-08-07/der-auftraggeber-bestimmt-die-form-zur-reichweite-des-bestimmungsrechts-des-auftraggebers-zur-form-der-angebotsabgabe-bgh-urt-v-16-05-2023-xiii-zr-14-21/ erörtert.