Öffentliche Einrichtungen bündeln den Kauf von Waren und Dienstleistungen häufig in zentralen Beschaffungsstellen. Diese Bündelung soll günstigere Beschaffungsbedingungen erzielen. Sie soll auch das Beschaffungsmanagement professionalisieren. § 120 Abs. 4 GWB regelt zentrale Beschaffungsstellen grundlegend. Weitere Details sieht § 4 VgV (bzw. SektVO) vor. Diese Vorschriften erwähnen unmittelbar aber keine grenzüberschreitend tätigen Beschaffungsstellen. Der EuGH hat dazu einen Fall aus Österreich entschieden.
§ 120 Abs. 4 GWB; § 4 SektVO; § 4 VgV; Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/25 EU; Art. 39 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/24/EU.
Leitsatz
Wenn eine zentrale Beschaffungsstelle grenzüberschreitend tätig ist, gelten die nationalen Vorschriften des Mitgliedstaates, in dem die Beschaffungsstelle ihren Hauptsitz hat. Das betrifft auch die Regelungen für Nachprüfungsverfahren. Diese gelten unabhängig vom Sitz eines Dritten, der die zentrale Beschaffungsstelle oder den Auftraggeber kontrolliert.
Sachverhalt
Die bulgarische Firma ER, ein Sektorenauftraggeber, hat Elektroinstallationsarbeiten über das EU-Amtsblatt ausgeschrieben. Die österreichische Firma EBS agierte dabei als zentrale Beschaffungsstelle und führte im Auftrag und auf Rechnung der ER das Vergabeverfahren durch. Beide Unternehmen, ER und EBS, sind zu 100% Tochtergesellschaften der österreichischen EVN, die mehrheitlich vom Bundesland Niederösterreich kontrolliert wird. Ein österreichisches Gericht wurde als zuständige Stelle für mögliche Nachprüfungsverfahren benannt. Das anwendbare Recht für das Vergabeverfahren und alle resultierenden Ansprüche wurde auf österreichisches Recht festgelegt, während für die Vertragsabwicklung bulgarisches Recht vorgesehen war (Rdnr. 9 ff.).
Zwei bulgarische Unternehmen, die bei der Ausschreibung nicht berücksichtigt wurden, reichten beim österreichischen Nachprüfungsgericht Anträge auf Überprüfung ein. Dieses Gericht lehnte die Anträge jedoch ab, da es sich für nicht zuständig hielt. Es begründete dies damit, dass es für Verträge, die in Bulgarien ausgeführt und nach bulgarischem Recht abgewickelt werden sollen, nicht zuständig sei. Daraufhin wandten sich die Unternehmen an ein höheres Gericht in Österreich, das den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchte (Rdnr. 14 ff.).
Die Entscheidung
Nach Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/25/EU kann die zentrale Beschaffung von einer Beschaffungsstelle durchgeführt werden, die ihren Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat. Dabei gelten die nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaates, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ansässig ist. Im vorliegenden Fall bestand Unsicherheit darüber, wie zwischen dem Mitgliedstaat des Auftraggebers (Bulgarien) und dem der zentralen Beschaffungsstelle (Österreich) im Hinblick auf die zentrale Beschaffung unterschieden werden soll. Für die Zuordnung eines Auftraggebers zu einem Mitgliedstaat ist jedenfalls der Sitz des Auftraggebers das entscheidende Kriterium. Dies gilt unabhängig davon, ob und ggf. in welcher Weise sowie in welchem Umfang der Auftraggeber Eigentümer in einem anderen Mitgliedstaat hat (Rdnr. 21 ff., 30). Die Richter in Luxemburg meinen, dass das in Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2014/25/EU festgelegte Verbot der Umgehung dieses Kriterium stützt. Danach muss jeder Auftraggeber die Regeln des Mitgliedstaates befolgen, in dem er ansässig ist (Rdnr. 27 ff.). Somit handelt es sich bei der Beschaffung der bulgarischen Firma ER um die Vergabe eines grenzüberschreitenden Auftrages gemäß Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/25/EU, weil die zentrale Beschaffungsstelle und der Auftraggeber ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben (Rdnr. 31).
Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/25/EU legt aber nicht explizit fest, ob die nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaates, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat (Österreich), auch die Nachprüfungsverfahren und die Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen umfassen (Rdnr. 33). Der Wortlaut des Artikels schließt es nicht aus, dass er sich sowohl auf Nachprüfungsverfahren als auch auf die Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen bezieht (Rdnr. 35). Diese Interpretation wird durch die Erwägungsgründe 78 und 82 der Richtlinie unterstützt. Darin wird deutlich, dass der Unionsgesetzgeber nicht nur das Vergabeverfahrensrecht für grenzüberschreitende Aufträge und zentrale Beschaffungsstellen bestimmen wollte, sondern auch das Recht in Bezug auf Nachprüfungsverfahren (Rdnr. 41 ff.). Zudem entspricht es dem Richtlinienziel, einheitliche Regeln für grenzüberschreitende zentrale Beschaffungen zu schaffen. Es ist daher konsequent, dass auch die Nachprüfungsverfahren dem Recht des Mitgliedstaates folgen, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ansässig ist (Rdnr. 44), soweit sie das Vergabeverfahren durchgeführt hat (Rdnr. 48).
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der Luxemburger Richter erscheint im Kontext des EU-Richtlinienrechts plausibel. Wenn eine zentrale Beschaffungsstelle im EU-Mitgliedstaat A ein Vergabeverfahren für einen Auftraggeber im Mitgliedstaat B durchführt, gilt nicht nur das Vergaberecht von A, sondern auch dessen Recht für Nachprüfungsverfahren. Weder der Wortlaut noch die Systematik der Richtlinie oder deren Zielsetzung fordern, dass die Anwendung des materiellen Rechts von A davon abhängig sein sollte, dass der Auftraggeber aus B von einer Stelle aus A kontrolliert wird. Es ist auch praktisch sinnvoll und effektiv, wenn der Vergaberechtsschutz dem Vergabeverfahrensrecht folgt. Es wäre kompliziert, wenn beispielsweise die in A ansässige zentrale Beschaffungsstelle das Vergabeverfahren nach dem Recht von A durchführt, der Rechtsschutz für Nachprüfungsverfahren jedoch nach dem Recht des Auftraggebers in B geregelt wäre. Dies alles schließt aber nicht aus, dass das später anzuwendende Vertragsrecht ein anderes sein kann als das Vergabeverfahrensrecht (Rdnr. 46).
Praxistipp
In Deutschland wurde Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/25 EU (bzw. Art. 39 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2014/24/EU) zwar weder im GWB noch in der SektVO (bzw. VgV) explizit umgesetzt. Jedoch zeigt die Begründung zu § 4 Abs. 1 Satz 3 SektVO (bzw. VgV), dass die Auftragsvergabe durch eine zentrale Beschaffungsstelle in einem anderen EU-Mitgliedstaat nicht beschränkt werden sollte, weil der deutsche Verordnungsgeber die nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaates, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, für maßgeblich erachtet (BR-Drs. 87/16, 159, 232). Das Urteil des EuGH ist somit auch für Cross-Border-Vergaben zentraler Beschaffungsstellen in Deutschland relevant, die im Auftrag und auf Rechnung anderer öffentlicher Auftraggeber Vergabeverfahren für diese durchführen. Dies entspricht zudem Art. 57 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2014/25/EU (bzw. Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2014/24/EU), laut dem ein Mitgliedstaat wie Deutschland seinen öffentlichen Auftraggebern nicht verbieten darf, zentrale Beschaffungsdienste in Anspruch zu nehmen, die von zentralen Beschaffungsstellen in einem anderen Mitgliedstaat angeboten werden.
Holger Schröder
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss „Fachanwalt für Vergaberecht“ der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
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