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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 06/05/2024 Nr. 56483

Die Eigenschaft einer Handwerkskammer als Auftraggeber nach § 99 GWB (OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 08.02.2024 – 54 Verg /23)

EntscheidungAuch wenn eine Handwerkskammer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, stellt sie nicht zwangsläufig einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB da, da sie regelmäßig keiner qualifizierten staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegt. Eine bloße Rechtsaufsicht vermittelt gerade keine hinreichende Möglichkeit der Einflussnahme. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der überwiegenden Subventionierung beim projektbezogenen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB ist der Zeitpunkt der Ausschreibung, mithin regelmäßig der Bekanntmachung. Auf spätere Auszahlungen kommt es nicht an. Entscheidend ist mithin eine Beurteilung der Projektfinanzierung ex-ante.

§§ 99 Nr. 2 GWB, 99 Nr. 4 GWB

Sachverhalt

Die Auftraggeberin und zugleich Antragsgegnerin, eine Handwerkskammer, schrieb unter Nutzung einer eVergabeplattform im Mai 2023 europaweit Planungsleistungen für Baugrund und Wasserhaltung im offenen Verfahren für das Projekt Trave Campus in Lübeck europaweit aus.

Nach Abgabe des (preisgünstigsten) Angebots wurde die Antragstellerin gebeten einen geeigneten Nachweis zur Erfüllung einer Voraussetzung nach dem Leistungsverzeichnis zu erbringen. Die verlangte Akkreditierung konnte die Antragstellerin nach Auffassung der Antragsgegnerin jedoch nicht erbringen, weshalb sie die Antragstellerin im Verfahren nicht weiter berücksichtigt und ausgeschlossen hat.

Gegen diesen Ausschluss wendete sich die Antragstellerin mittels Rüge und Nachprüfungsantrag. Die für das Nachprüfungsverfahren zuständige Vergabekammer Schleswig-Holstein lehnte eine Qualifikation als öffentliche Auftraggeberin der den Auftrag vergebenden Handwerkskammer nach § 99 GWB ab und verwarf den Nachprüfungsantrag wegen mangelnder Statthaftigkeit. Insbesondere sei die Antragsgegnerin (auch) keine öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 4 GWB. Jedenfalls hätte es für die Anwendung des projektbezogenen Auftraggeberbegriffs des § 99 Nr. 4 GWB zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt an einer 50 %igen Subventionierung des Gesamtvorhabens gefehlt.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer legte die Antragstellerin Beschwerde ein. Nachdem das Oberlandesgericht eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde zurückgewiesen hat, vergab die Antragsgegnerin den Auftrag an die Beigeladene.

Die Entscheidung

Die Beschwerde blieb erfolglos!

Der Nachprüfungsantrag gerichtet auf Zurückversetzung des Vergabeverfahrens ist unzulässig, da eine wirksame Bezuschlagung bereits erfolgte. Dieser wirksam erteilte Zuschlag kann nicht aufgehoben werden, § 168 Abs. 2 S. 1 GWB. Der wirksam erteilte Zuschlag beendet das Vergabeverfahren mit der Folge, dass eine Beeinflussung durch ein Nachprüfungsverfahren nicht mehr erfolgen kann. Eine Nichtigkeit der zu Gunsten der Beigeladenen erfolgten Bezuschlagung war nicht ersichtlich. Der durch die Antragstellerin hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag blieb ebenfalls erfolglos.

Das OLG teilte mithin die Auffassung der Vergabekammer, wonach die Antragsgegnerin nicht nach § 99 Nr. 1 bis 3 GWB als öffentliche Auftraggeberin zu qualifizieren sei. Es hat keine überwiegende staatliche Finanzierung oder mehrheitliche Organbesetzung vorgelegen (§ 99 Nr. 2 a) GWB). Überdies fehlte es der Handwerkskammer an einer Leitung der Aufsicht im Sinne des § 99 Nr. 2 b) GWB, da die Handwerkskammer einer Rechts- und keiner Fachaufsicht unterliegt. Mangels entsprechender Einflussmöglichkeiten ist eine bloße Rechtsaufsicht grundsätzlich nicht ausreichend. Ließe man eine qualifizierte Rechtsaufsicht, die sich auf die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung erstreckt aufgrund laufender Eingriffsmöglichkeiten genügen, hätte eine solche laufende Kontrolle in konkretem Fall nicht vorgelegen.

Insbesondere unterfiel die Antragsgegnerin nach Ansicht des OLG mit der streitgegenständlichen Ausschreibung nicht § 99 Nr. 4 GWB. Maßgeblicher Zeitpunkt der Berechnung der überwiegenden Subventionierung ist der Zeitpunkt der Ausschreibung. Entscheidend ist, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Fördermitteln bei der Gesamtkalkulation gerechnet hat. Der Anwendungsbereich des § 99 Nr. 4 GWB ist nur dann eröffnet, wenn der vergebenden Stelle zum Zeitpunkt der Ausschreibung mehr als 50 % der Projektkosten als Subventionen zur Verfügung gestellt werden. Im Zeitpunkt der Ausschreibung musste die Antragsgegnerin eine Subventionierung von mehr als 50 % jedoch nicht annehmen. Vielmehr diente die ausgeschriebene Planungsleistung der Vorbereitung der konkreten Planung, in deren Verlauf die Antragsgegnerin die Realisierbarkeit und insbesondere die diesbezüglichen Fördermöglichkeiten prüfen kann. Auf eine spätere Auszahlung kommt es allerdings nicht an. Entscheidend ist, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Fördermitteln bei seiner Gesamtkalkulation im Zeitpunkt der Vergabemaßnahme gerechnet hat.

Rechtliche Würdigung

Das OLG hatte sich mit der Frage der Qualifikation der Handwerkskammer als öffentlichem Auftraggeber zu befassen.

Dabei verneinte das Gericht zurecht eine qualifizierte staatliche Einflussmöglichkeit im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB. Dies ist auch nachvollziehbar und bestätigt die Ansicht der Vergabekammer des Bundes. Beschränkt sich demnach die Prüfung der zuständigen Aufsichtsbehörde auf eine reine Rechtsprüfung, liegt eine qualifizierte staatliche Einflussmöglichkeit im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB selbst dann nicht vor, wenn sie etwaige Haushaltspläne zu genehmigen hätte (so ebenfalls die VK Bund im Beschluss vom 22.08.2018 zum Az. VK 1-77/18). Anders wäre dies zu beurteilen, wenn die Aufsichtsbehörde in das operative Geschäft der Körperschaft des öffentlichen Rechts eingreifen könnte und damit einen tatsächlichen Einfluss ausüben würde. Daher wird es immer einer Einzelfallbetrachtung bedürfen, ob eine Einrichtung, vorliegend die in Rede stehendes Handwerksammer, als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB zu qualifizieren ist oder nicht.

Zutreffenderweise stellt das OLG überdies fest, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung einer überwiegenden Subventionierung der Zeitpunkt der Ausschreibung ist. Nur eine Beurteilung nach diesem Zeitpunkt lässt eine klare und rechtssichere Beurteilung der Subventionierung zu. Insofern teilt das Oberlandesgericht die Auffassung des OLG München im Beschluss vom 10.11.2010 zum Az. Verg 19/10. Auf spätere Auszahlungen darf es daher richtigerweise nicht ankommen, würde es sich dabei doch um hypothetische Ereignisse in der Zukunft handeln, welche für keinen der Verfahrensbeteiligten sicher absehbar wären.

Praxistipp

Als Handwerkkammer bzw. allgemeinhin bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts ist im Zuge der Beauftragung Dritter im Vorfeld zu prüfen, ob die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber gegeben ist. Eine solche kann sich aus § 99 Nr. 1 und Nr. 4 GWB ergeben. Ist die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber zu verneinen, ist es ratsam, Bieter im ungeachtet dessen durchgeführten Vergabeverfahren darüber proaktiv zu informieren. Das Risiko der Einleitung von Nachprüfungsverfahren dürfte dadurch substanziell minimiert werden. Vorliegend hatte die Handwerkskammer in der EU-Bekanntmachung zwar auf die Nennung einer Vergabekammer als zuständige Nachprüfungsinstanz verzichtet und stattdessen sich selber benannt, allerdings nicht unmissverständlich klargestellt, dass es sich bei ihr um keinen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB handelt.

Sollen für die Realisierung des Projekts öffentliche Fördermittel verwendet werden, kommt es für die Beurteilung als projektbezogener öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB auf den Zeitpunkt des Beginns der Ausschreibung an. In der Praxis haben Unternehmen und damit potentielle (öffentliche) Auftraggeber daher zu diesem Zeitpunkt zu klären, ob eine überwiegende Subventionierung des Vorhabens in Rede steht oder (eher) nicht.

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Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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