Am 16. Dezember 2024 haben 394 der 717 im Bundestag anwesenden Abgeordneten in einer historischen Abstimmung dem (noch) Bundeskanzler Olaf Scholz ihr Vertrauen entzogen. Der Weg für vorgezogene Neuwahlen ist nun offiziell frei. Mit dem Termin am 23. Februar bleibt jedoch nur wenig Zeit für Wahlkampf – und dementsprechend nur wenig Zeit, um sich als Wähler:in zu entscheiden. Um Ihnen bei all der Informationsflut einen Überblick zu verschaffen, haben wir in unserer exklusiven Artikel-Serie, dem Vergabeblog Bundestagswahl-Guide, zusammengefasst, was die jeweiligen Parteien in Bezug auf das Vergaberecht und die öffentliche Beschaffung geplant haben. Die Pläne der Freien Demokraten hat Manfred Todtenhausen, Berichterstatter für Vergaberecht und handwerkspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion exklusiv für uns eingeordnet.
Alles lässt sich ändern – unter diesem Motto ziehen die Freien Demokraten in den Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025. Verändern wollen Sie dabei viel – was für die öffentliche Beschaffung und das Vergaberecht vorgesehen ist, haben wir für Sie zusammengefasst.
- Drastische Vereinfachung des Vergaberechts: Um die übermäßige Bürokratie im Vergaberecht zu reduzieren, ist eine grundlegende Reform vorgesehen. Die Wertgrenze für Direktaufträge soll auf 100.000 Euro angehoben werden, um Verfahren zu vereinfachen. Gleichzeitig ist geplant, Berichts-, Dokumentations- und Nachweispflichten drastisch zu reduzieren. Die Einbeziehung vergabefremder Kriterien bei der Auftragsvergabe wird kritisch betrachtet und soll künftig vermieden werden, um den Fokus auf eine effiziente und praxisnahe Vergabe zu lenken.
- Beschleunigte Planungszeiten für alle Infrastrukturprojekte: Planungszeiten für Straßen, Schienen, Wasserstraßen und digitale Netze sollen mindestens halbiert werden. Der Mobilfunk- und Glasfaserausbau soll als überragendes öffentliches Interesse verankert und Ersatzneubauten generell genehmigungsfrei gestellt werden.
- Baustellen-Turbo durch Ausschreibungsmodalitäten: Um Staus effektiver zu vermeiden, sollen die Ausschreibungsmodalitäten für Bauprojekte überarbeitet werden. Vorgesehen ist, durch gezielte Anreize schnelles und fristgerechtes Bauen zu fördern und damit Bauprojekte effizienter abzuschließen.
- Reform der Finanzströme zwischen Bund und Ländern: Im Rahmen einer Föderalismusreform soll das Steueraufkommen neu verteilt werden, damit der Bund sich stärker auf seine originären Aufgaben konzentriert und Länderaufgaben nur in Ausnahmefällen bezuschusst. Eine Finanzföderalismuskommission wird angestrebt, um angepasste Finanzierungsströme zwischen Bund und Ländern zu sichern und die föderale Struktur effizienter zu gestalten.
- Änderungen bei den Verantwortlichkeiten auf der Schiene: Die Finanzmittel des Bundes sollen verstärkt in den Ausbau und die Instandhaltung der Bahninfrastruktur fließen. Eine klare Trennung von Netz und Betrieb sowie mehr Wettbewerb auf der Schiene sollen Effizienz und Zuverlässigkeit steigern. Im Fernverkehr wird eine Öffnung hin zu mehr Wettbewerb angestrebt, während die Sanierung der Hauptverkehrsadern im Schienennetz bei nachgewiesenem Erfolg fortgesetzt wird.
- Dreijähriges Bürokratie-Moratorium und Abbau von Vorschriften: Ein dreijähriges Moratorium soll sicherstellen, dass keine neuen bürokratischen Belastungen für Unternehmen beschlossen werden, ohne bestehende Regelungen im gleichen Umfang abzubauen. Zusätzlich wird ein bürokratiefreies Jahr angestrebt, in dem Betriebe von Berichtspflichten befreit werden. Geplant ist ein Jahresbürokratieentlastungsgesetz sowie die Verankerung einer Bürokratiebremse im Grundgesetz, um den Erfüllungsaufwand für Betriebe langfristig um mindestens sechs Milliarden Euro pro Legislaturperiode zu reduzieren.
- Entrümpelung des Bundesrechts und Vereinfachung von Verfahren: Veraltete, komplexe und widersprüchliche Gesetze sollen abgeschafft werden. Regelungen mit Sunset-Klauseln sollen automatisch außer Kraft treten, wenn sie nicht aktiv verlängert werden. Genehmigungsfiktionen und Stichtagsregelungen sollen Verfahren beschleunigen.
- Kritik an bürokratischen EU-Vorgaben: Ein striktes Verbot von „Gold Plating“ soll sicherstellen, dass europäische Richtlinien nur 1:1 in deutsches Recht umgesetzt werden. Auf EU-Ebene wird die Abschaffung bürokratischer Rechtsakte wie der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und anderer Green-Deal-Maßnahmen gefordert.
- Einhaltung der Schuldenbremse und finanzielle Verantwortung: Die Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz bleibt oberstes Gebot, um künftigen Generationen keine Schuldenberge zu hinterlassen. Der Bund soll sich auf seine originären Aufgaben konzentrieren, während Länderaufgaben nur in Ausnahmefällen bezuschusst werden. Auf EU-Ebene wird eine Verschuldungskompetenz der EU strikt abgelehnt, und der Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ soll eine einmalige Ausnahme bleiben.
- Föderalismusreform und klare Zuständigkeiten: Das Steueraufkommen zwischen Bund und Ländern soll neu verteilt werden, um die Mitfinanzierung von Länderaufgaben durch den Bund gerecht zu regeln. Eine neue Finanzföderalismuskommission wird angestrebt, um klare Verantwortlichkeiten und angepasste Finanzierungsströme zwischen Bund und Ländern zu schaffen.
- Etablierung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus auch im Bereich der Beschaffung: Die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus soll umfassend in staatlichen Behörden verankert und zur Grundlage für Fortbildungen sowie die Vergabe staatlicher Gelder gemacht werden. Organisationen oder Projekte, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, sollen keine staatliche Förderung erhalten.
Todtenhausen: Entbürokratisierung für besseren Wettbewerb
Manfred Todtenhausen, Berichterstatter für Vergaberecht und handwerkspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion hat die Vorhaben seiner Partei für den Vergabeblog eingeordnet. Basierend auf seiner eigenen Erfahrung erklärt er, warum eine Entbürokratisierung und Entschlackung des Vergaberechts unabdingbar ist:
Das derzeitige Vergaberecht muss dringend entbürokratisiert, entschlackt und vereinfacht werden. Insbesondere Mittelständler und Handwerksbetriebe, das kenne ich aus meiner eigenen Erfahrung, bewerben sich kaum noch auf öffentliche Ausschreibungen, da der Aufwand viel zu groß ist. Oft fehlt es diesen Unternehmen an personellen und finanziellen Ressourcen, um beispielsweise geforderte Nachweise zu erbringen. Dies führt dazu, dass KMU faktisch aus dem Wettbewerb gedrängt werden, obwohl sie leistungsfähig und wettbewerbsfähig sind. In der Folge leidet der Wettbewerb, was zu höheren Preisen und einer geringeren Auswahl an Angeboten führen kann. Das kann nicht sein. Das öffentliche Auftragswesen ist ein Kernstück unserer Wirtschaft – deswegen ist es umso wichtiger, dass das Vergaberecht praxisnah ausgestaltet ist.
Auch die Unterschiede der Regelungen auf Länderebene müssten sich ändern:
Zu große Probleme werden allen Beteiligten derzeit noch durch unterschiedliche Regelungen der Bundesländer auferlegt, wie z.B. im Dreiländereck Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit den Ländern soll erarbeitet werden, wie das Vergaberecht einheitlicher gestaltet werden kann – zum Beispiel in einem gemeinsamen Fachausschuss bzw. einer Bund-Länder-Kommission zum Vergaberecht.
Schließlich weist Herr Todtenhausen auf fehlende Kenntnisse und Erfahrungen in der Praxis sowie die große Rolle von der Erhöhung verschiedener Wertgrenzen hin:
Ein wesentliches Manko in der derzeitigen Vergabepraxis sind nicht die rechtlichen Ausgestaltungen, sondern fehlende Kenntnisse und Erfahrungen in der Praxis. Dies soll aktiv unterstützt werden, wie z.B. mit einem Help-Desk. Außerdem halte ich die Anhebung gewisser Wertgrenzen für essenziell. Ein konkretes Beispiel, wie es auch in unserem Wahlprogramm steht: die Erhöhung der Direktauftragsgrenze auf 100.000 Euro!“
Quelle: FDP Wahlprogramm
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