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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 13/02/2025 Nr. 69784

Regress der geförderten Kommune wegen Vergabefehlern ihres Entwicklungsträgers?

OVG NRW, Urt. v. 12.12.2024 – 10 A 2417/22

EntscheidungEine geförderte Kommune kann gegenüber ihrer Entwicklungsträgerin vertragliche Schadenersatzansprüche während der regemäßigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB geltend machen. Ein Schadensersatzanspruch wegen der Rückforderung von Zuwendungen aufgrund von Vergabefehlern entsteht erst mit der Bekanntgabe des Widerrufs- und Rückforderungsbescheids der Zuwendungsgeberin gegenüber der Kommune.

Für den Verjährungsbeginn ist ein Anspruch i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden, wenn er von der kommunalen Zuwendungsempfängerin im Wege der Klage gegen ihre Entwicklungsträgerin geltend gemacht werden kann. Voraussetzung dafür ist grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs, die der Zuwendungsempfängerin im Falle einer Leistungsklage die Möglichkeit zur Klageerhebung verschafft. Für die Entstehung solcher Schadensersatzansprüche ist maßgebend, wann ein Schaden eingetreten ist. Solange nur das  Risiko eines Vermögensnachteils besteht, ist ein Schaden noch nicht eingetreten, weil bei der gebotenen wertenden Betrachtung allenfalls eine Vermögensgefährdung vorliegt, so dass noch unklar ist, ob es wirklich zu einem Schaden kommt.

BauGB § 167; BGB §§ 195, 199, 249 Abs. 1, § 254 Abs. 1, 2, § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1; §§ 633, 634, 634a Abs. 1, 2; VwGO § 42 Abs. 2; VwVfG § 54 Satz 1, § 62 Satz 2

Sachverhalt

Die Klägerin als Gemeinde begehrt von der Beklagten als Entwicklungsträgerin Schadensersatz aus einem Entwicklungsvertrag infolge der Rückforderung von Subventionen, die ihr für eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme von der Zuwendungsgeberin bewilligt und sodann wegen Vergabefehlern zurückgefordert worden waren.

Im Rahmen des geförderten Vorhabens sollten vorhandene Mehrfamilienhäuser größtenteils abgerissen und die Errichtung von überwiegend Einfamilienhäusern ermöglicht werden. Hier waren unter anderem Straßenbaumaßnahmen durchzuführen.

Zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde ein Entwicklungsvertrag geschlossen, mit dem sie die Beklagte als treuhänderische Trägerin mit der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme betraute. Gegenstand des Vertrags war die Projektsteuerung und Koordinierung von Erschließungs- und Tiefbaumaßnahmen sowie die Beantragung, der Abruf und die Bewirtschaftung der Finanzierungs- und Fördermittel und die Erstellung von Verwendungsnachweisen. Die Beklagte hatte die ihr übertragenen Aufgaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes durchzuführen und die mit der Bewilligung öffentlicher Mittel verbundenen Bedingungen und Auflagen, insbesondere das öffentliche Vergaberecht einzuhalten, zu beachten.

Die Beklagte als Trägerin beauftragte zur Durchführung der von ihr zu erbringenden Leistungen den beigeladenen  Auftragnehmer mit den Leistungsphasen  1- 9 der HOAI. Die Beigeladene führte jeweils ein Vergabeverfahren für die Straßenbaumaßnahmen 2008 sowie 2011 durch und schlug das günstige Angebot für den Zuschlag vor. In beiden Vergabeverfahren nahm sie eine beschränkte Ausschreibung mit einem rein regionalen Bieterfeld vor.

Nach Prüfung durch das Rechnungsprüfungsamt schloss sich die Zuwendungsgeberin dessen Auffassung an, dass die von der Beigeladenen durchgeführten Vergabeverfahren aufgrund Verstößen gegen Vergabegrundsätze fehlerhaft gewesen seien. Die Zuwendungsgeberin widerrief die Bewilligungsbescheide für beide Straßenbaumaßnahmen und forderte die entsprechenden Subventionsbeträge zurück.

Die durch die Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht in erster Instanz abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, der (teilweise) Widerruf der Zuwendungsbescheide sei rechtmäßig, weil gegen das vergaberechtliche Verbot, den Teilnehmerkreis auf Unternehmen aus bestimmten Regionen oder Orten zu beschränken, verstoßen und damit eine Auflage des (jeweiligen) Zuwendungsbescheides nicht erfüllt worden sei. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist sodann zurückgenommen worden.

Zuletzt hat die Klägerin die Beklagte im Wesentlichen zur Zahlung der ihr durch die Rückforderung der Subventionsbeträge und entsprechender Zinsen entstandener Schäden aufgefordert und wiederum Klage erhoben. Nachdem das Verwaltungsgericht der Klage in erster Instanz teilweise stattgegeben hat, hat die Klägerin nunmehr das Berufungsverfahren geführt, in welchem sie die vollständige Verurteilung der Beklagten zur Zahlung begehrt.

Die Entscheidung

Das OVG entschied, dass die Klage insbesondere hinsichtlich des durch die Subventionsrückforderung sowie der Zinsen entstandenen Schadens begründet sei.

Bei dem geschlossenen Entwicklungsvertrag handele es sich aufgrund der der klagenden Gemeinde obliegenden öffentliche Aufgabe um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß § 54 S. 1 VwVfG-NW, auf den gemäß § 62 S. 2 VwVfG-NW die schuldrechtlichen Vorschriften nach §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB Anwendung finden würden.

Die beklagte Trägerin habe ihre vertragliche Pflicht zur Einhaltung des Vergaberechts im Hinblick auf das Zuwendungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Zuwendungsgeberin verletzt. Das ergebe sich offensichtlich aus den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass der Widerrufs- und Rückforderungsbescheid der Zuwendungsgeberin rechtmäßig gewesen sei. Denn die Vergabeauflage im Zuwendungsverhältnis sei nicht beachtet worden, weil gegen die VOB/A 2006 bzw. 2009 verstoßen worden sei.

Die Beklagte habe die Vergabefehler zu vertreten, weil die Nichtbeachtung der Zuwendungsregelungen zumindest fahrlässig erfolgt sei, da die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch sie als bundesweit tätige Stadtentwicklerin und Expertin im Bereich des Fördermittelmanagements nicht beachtet worden sei. Im Vergabeverfahren sei entgegen dem damals geltenden § 8 Ziffer 1 Satz 2 VOB/A 2006 bzw. § 6 Abs. 1 Ziffer 1 VOB/A 2009 eine Beschränkung der Bieterliste auf regional ansässige Unternehmen erfolgt. Die Beklagte hätte sorgfältig hinreichende Gründe für eine Abweichen von den Vergabegrundsätzen benennen müssen und im Zweifel eine Auftragsvergabe durch den beigeladenen Auftragnehmer ohne vorherige Beteiligung überregionaler Bieter am Vergabeverfahren nicht vornehmen dürfen. Pflichtverletzungen des ausschreibenden Beigeladenen, seien der Beklagten unabhängig davon gemäß § 278 BGB zuzurechnen.

Schäden seien in Höhe der Rückforderungsbeträge seitens der Zuwendungsgeberin entstanden.

Ein Mitverschulden der klagenden Gemeinde gemäß § 254 Abs. 1, 2 BGB liege nicht vor, weil dies der vertraglichen Risikoverteilung des Entwicklungsvertrags widerspräche. Eine zusätzliche Vergabeprüfpflicht oder Warnpflicht der Klägerin habe nicht bestanden. Daher habe die Klägerin als Kommune die Aufgaben auf das auf Fördermittelmanagement spezialisierte Unternehmen der Beklagten entgeltlich übertragen. Ihrer Schadensminderungspflicht sei die Klägerin durch die erfolglose Klage gegen die Widerrufs- und Rückforderungsbescheid nachgekommen.

Der Schadenersatzanspruch sei nicht verjährt. Anzuwenden seien auf Entwicklungsverträge die allgemeinen Verjährungsfristen, nicht die werkvertraglichen Verjährungsfristen der § 634a BGB. Die Anwendung dieser Regelung würde anderenfalls für die Klägerin bezüglich der vertraglichen Pflichtverletzung mithin eine Prüfobliegenheit bedeuten, ob bei der Auftragsvergabe die Subventionsvorgaben eingehalten worden seien. Dass die Anwendung der werkvertraglichen Verjährungsregelungen auf den konkreten Entwicklungsvertrag mit seinen dargestellten Pflichten mit vergaberechtlichem Bezug nicht sachgerecht sei, verdeutlichten im Übrigen auch die zeitlichen Abläufe der Durchführung des Entwicklungsvertrages und das sich über rund fünf Jahre erstreckende Widerrufs- und Rückforderungsverfahren in Bezug auf die Subvention.

Die regelmäßige Verjährungsfrist betrage gemäß § 195 BGB drei Jahre und beginne gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlange oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Für den Verjährungsbeginn entstanden sei ein Anspruch i S. d.  § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wenn er vom Gläubiger im Wege der Klage geltend gemacht werden könne, was bei Fälligkeit des Anspruchs der Fall sei. Für die Entstehung eines Schadensersatzanspruchs sei maßgebend, wann ein Schaden eingetreten sei. Dies sei der Zeitpunkt, in dem sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung im Vergleich zu seinem früheren Vermögensstand objektiv verschlechtert habe. Solange nur das Risiko eines Vermögensnachteils bestehe, sei ein Schaden noch nicht eingetreten, weil bei der gebotenen wertenden Betrachtung allenfalls eine Vermögensgefährdung vorliege, so dass noch unklar sei, ob es wirklich zu einem Schaden komme.

Gemessen daran entstehe ein Schadensersatzanspruch wegen der Rückforderung von Zuwendungen grundsätzlich (frühestens) mit der Bekanntgabe des Widerrufs- und Rückforderungsbescheides. Bis zu diesem Zeitpunkt hänge die Schadensentstehung noch von für den Betroffenen ungewissen Umständen ab. Es liege in der Regel bei Bewilligungsbehörde, ob sie bestimmte Tatbestände aufgreife, welche Rechtsfolgen sie daraus ziehe und wie sie ihr Ermessen ausübe. Andere Schreiben ohne Rechtsfolge oder ein Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamts würden keine Anspruchsentstehung und keinen Fristbeginn begründen, da sie lediglich der Vorbereitung einer Verwaltungsentscheidung gedient hätten. Da die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren damit Ende des Jahres 2017 begonnen habe, habe sie am Ende des Jahres 2020 geendet, sodass die Klageerhebung im August 2020 verjährungshemmend gewirkt habe und der Anspruch durchsetzbar gewesen sei.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OVG NRW ist nach Ansicht des Autors richtig und konsequent. Sie zeigt strukturiert auf, wie die Regelungen des öffentlich-rechtlichen Vertrags, des BGB sowie des öffentlichen Vergaberechts aus dem Zuwendungsverhältnis zusammenhängen und ineinandergreifen.

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen sind öffentliche Aufgaben der Gemeinde. Diese können sich der Entwicklungsträger zu ihrer Erfüllung bedienen. Es ist sachgerecht, dass Entwicklungsverträge aus diesem Grunde als öffentlich-rechtliche Verträge eingestuft werden, sodass dann zulässig die Regelungen für öffentlich-rechtliche Verträge Anwendung finden können, die sodann auf das BGB ergänzend verweisen, soweit sich aus dem VwVfG-NW nichts Abweichendes ergibt.

Das OVG führt sodann nahezu schulbuchmäßig zu den Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs aus einer vertraglichen Pflichtverletzung aus.

Zur Begründung des Vergaberechtsverstoßes aufgrund der Nichtbeachtung von gewichtigen Vergabeprinzipien zieht das OVG die Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die Klage gegen den Widerrufs- und Rückforderungsbescheid heran, vgl. §§ 121, 63 VwGO.

Gleichzeitig stellt es nach Ansicht des Autors hohe Anforderungen daran, dass sich ein Entwicklungsträger vor dem Hintergrund seiner ausdrücklich Pflichten aus dem Entwicklungsvertrag entlasten kann, sodass folgerichtig und konsequent ein Verschulden des Erfüllungsgehilfen dem Träger zugerechnet wird und ein Mitverschulden der geförderten Kommune ausscheidet, obwohl aufgrund vereinzelter Umstände durchaus nicht gänzlich abwegig gewesen wäre, dass diese zumindest ein geringes Mitverschulden hätte treffen können. Im Ergebnis überwogen hat für das OVG der ausdrückliche Leistungsinhalt des Entwicklungsvertrags.

Als für den Anspruchsteller freundlich zu bezeichnen ist, dass das OVG die regelmäßige Verjährungsfrist und nicht die werkvertragliche als anwendbar erachtet. Die Anwendung werkvertraglicher Fristen mit ihren kenntnisunabhängigen Voraussetzungen für den Fristbeginn wäre vor dem Hintergrund, dass der Entwicklungsvertrag eben nicht unmittelbar werkvertragliche, an eine Abnahme geknüpfte Leistungen, sondern insbesondere solche beinhaltet, die die Durchführung von Vergabeverfahren, deren Kontrolle und das Fördermittelmanagement umfassen, nicht sachgerecht. Da das Vergaberecht aus dem Zuwendungsverhältnis komplex und dessen Verständnis regelmäßig Schwierigkeiten insbesondere bei den Zuwendungsempfängern bereitet, ist zu begrüßen, dass bei Vergabefehlern die Entstehung und Kenntnis des Schadenersatzanspruchs frühestens mit der Bekanntgabe des Widerrufs- und Rückforderungsbescheids einsetzen. Denn dieser stellt für die (geschädigte) Kommune als Zuwendungsempfängerin einen transparenten und klar bestimmbaren zeitlichen Umstand dar, der rechtssicher den Beginn der Verjährungsfrist erkennen lässt, insbesondere weil der tatsächliche Schaden in der rechtsverbindlich durch den Zuwendungsgeber mit Bescheid festgesetzten Rückforderungssumme nach seiner Ermessensentscheidung im konkreten Einzelfall ersichtlich wird.

Praxistipp

Sanierungs- und Entwicklungsträger, die im Rahmen von Entwicklungsverträgen für die Einhaltung des Vergaberechts aus Zuwendungsverhältnissen ihrer auftraggebenden Kommunen vertraglich verantwortlich sind, können sich nicht durch die Delegation auf ihnen zurechenbare Auftragnehmer freizeichnen. Sie haften bei vertraglicher Pflichtenübernahme grundsätzlich ohne Anrechnung eines Mitverschuldens ihrer Auftraggeber und sind insbesondere den regelmäßigen und kenntnisabhängigen Verjährungsfristen von drei Jahren ausgesetzt, sodass sie im Hinblick auf Schadenersatzansprüche oftmals lange keine Rechtssicherheit genießen; nicht zuletzt, weil die Anspruchsentstehung sowie die Kenntnis in Bezug auf die Subventionsrückforderung und damit der Verjährungsbeginn erst mit Bekanntgabe des Widerrufs- und Rückforderungsbescheids gegenüber der Kommune einsetzen. Kommunale Auftraggeber dagegen sollten mögliche Schadenersatzansprüche gut im Auge behalten, wenn der Zuwendungsgeber sie tatsächlich mit einer Rückforderung aufgrund von Pflichtverletzung konfrontiert, die der Auftrag nehmende Träger entgeltlich übernommen hat und daher verantwortlich haftet.

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Michael Pilarski

Der Autor Michael Pilarski ist als Syndikus bei der Investitions- und Förderbank des Landes Niedersachsen – NBank – in Hannover tätig. Als Prüfer der Vergaberechtsstelle lag sein Schwerpunkt mehrere Jahre in den Bereichen Zuwendungs- und Vergaberecht. Er hat die Einhaltung des Zuwendungs- und Vergaberechts seitens geförderter privater und öffentlicher Auftraggeber geprüft und Zuwendungsempfänger bei zuwendungs- und vergaberechtlichen Fragestellungen begleitet. Sodann ging er in der Rechtsabteilung dem Vergabe-, Vertrags- sowie Auslagerungsmanagement nach. Nunmehr vertritt er die NBank in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, insbesondere wegen Ablehnungen und Aufhebungen von Bewilligungen sowie Rückforderungen von Fördermitteln wegen Vergabe- und Zuwendungsfehlern. Darüber hinaus sitzt er der Vergabekammer Niedersachsen in Lüneburg und der Vergabekammer des Bundes in Bonn bei, ist zugelassener Rechtsanwalt, übernimmt Referententätigkeiten und Schulungen im Zuwendungs- und Vergaberecht und ist Autor verschiedener Veröffentlichungen.

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