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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 03/03/2025 Nr. 70148

Widerruf einer Zuwendung auch bei diskutablen Fehlern – korrekt?

VG Magdeburg, Urt. v. 09.07.2024 – 3 A 159/22 MD

EntscheidungZuwendungen werden regelmäßig mit Auflagen zur Beachtung von Vergaberecht versehen. Deren Einhaltung wird nach objektivem Maßstab überprüft. Laut VG Magdeburg führt der ausgebliebene Ausschluss von Angeboten bei falschen Umsatzangaben, der Vorlage einer abgelaufenen Unbedenklichkeitsbescheinigung nach BG Bau und einem fehlendem Kreuz in einer Erklärung der Produktherkunft jeweils zum teilweisen Widerruf einer Zuwendung. Diese Entscheidung hält einer Prüfung nicht in Gänze stand.

§§ 16 Abs. 1 Nr. 3, 15 Abs. 2, 6a Abs. 2 Nr. 1, 17 VOB/A, § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwVfG

Sachverhalt

Der Träger einer Gemeinschaftsschule in Sachsen-Anhalt erhält für die energetische Sanierung eine Zuwendung aus dem Programm „STARK III ELER“ (Förderung von Investitionen zur Sanierung und Modernisierung von Kindertageseinrichtungen und Schulen im ländlichen Raum, RdErl. d. MF v. 25.09.2025, MBl. LSA S. 520 ff.). Der Zuwendungsempfänger wird zur Einhaltung vergaberechtlicher Bestimmungen gemäß Ziffer 3 ANBest-Gk verpflichtet.

Nach Vorlage der Verwendungsnachweise reduziert der Zuwendungsgeber gestützt auf § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwVfG die Fördersumme um EUR 143.634,04. Begründet wird der Teilwiderruf mit mehreren Vergabeverstößen in Gestalt von folgenden, angeblich zu Unrecht unterlassenen Ausschlüssen von Angeboten aus dem Vergabeverfahren:

  • falsche Umsatzangaben im Formblatt 124 VHB Bund
  • Vorlage einer abgelaufenen Unbedenklichkeitsbescheinigung der BG Bau
  • Abgabe einer Erklärung nach § 12 Landesvergabegesetz Sachsen-Anhalt (LVG LSA), konkret über die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, ohne anzukreuzen, ob verwendete Produkte in Afrika, Asien oder Lateinamerika hergestellt oder bearbeitet wurden.

Gegen den Teilwiderruf klagt der Zuwendungsempfänger. Bezüglich der fraglichen Sachverhalte habe jeweils kein Ausschlussgrund vorgelegen:

  • Die vorgelegten Umsatzangaben von 2013-2015 statt 2014-2016 seien korrekt gewesen, weil die Jahre 2014-2016 nicht konkret vorgegeben worden seien und nach § 242 HGB ein Geschäftsjahr nur nach vorliegendem Jahresabschluss abgeschlossen sei (so auch Auslegungserlass des BMI vom 26.02.2020 – 70421/21 zur VOB/A 2019)
  • Die Unbedenklichkeitsbescheinigung sei nur auf Verlangen vorzulegen gewesen, weshalb die Regelungen über die Angebotsaufklärung nach § 15 Abs. 2 VOB/A und nicht jene über die formale Behandlung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A gegolten hätten; zur abgelaufenen und damit offensichtlich unrichtigen Unbedenklichkeitsbescheinigung habe man aufklären müssen und eine Nachfrist setzen dürfen, schon weil eine offenbare Unrichtigkeit vorgelegen habe.
  • Das fehlende Kreuz in der ILO-Erklärung sei sogar weitreichender, als wenn dort etwas angekreuzt worden wäre; fehlende Einzelangaben innerhalb einer Gesamterklärung seien nach der Rechtsprechung der VK Sachsen-Anhalt einer Nachforderung zugänglich (Az. 2 VK LSA 02/15), und im Übrigen sei es das einzige Angebot in dem fraglichen Los gewesen, d. h. eine Aufhebung statt der Angebotszulassung hätte zu einer erheblichen Verzögerung der Sanierungsarbeiten geführt.

Die Entscheidung

Die Klage wird vom VG als unbegründet zurückgewiesen.

Hinsichtlich der drei Sachverhalte gelte folgendes:

  • Nach dem zur Ausschreibung geltenden § 6a Abs. 2 Nr. 1 VOB/A sowie dem Formblatt 124 VHB Bund seien die Umsätze der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre gefordert gewesen. Dabei komme es nach Rechtsprechung der VK Sachsen-Anhalt ausdrücklich nicht auf die Veröffentlichung von Jahresabschlüssen an, sondern auf die tatsächliche Konstellation, d.h. bei einer Ausschreibung im Jahr 2014 seien die Zahlen aus 2011-2013 vorzulegen (Az. 3 VK LSA 36/14). Zur Beurteilung der Eignung müssten dem Auftraggeber aktuelle Daten vorliegen.
  • Zur offenbaren Unrichtigkeit bezüglich der abgelaufenen Unbedenklichkeitsbescheinigung gäbe es keine Anhaltspunkte, weshalb dies rein spekulativ sei. Relevant sei die nicht zugelassene inhaltliche Verbesserung eines Angebots, die nach der einschlägigen Rechtsprechung auch der VK Sachsen-Anhalt zum Ausschluss des betroffenen Angebots zwinge (Az. 3 VK LSA 43/15).
  • Die fehlende Erklärung in der Rubrik, ob verwendete Produkte in Afrika, Asien oder Lateinamerika hergestellt oder bearbeitet wurden, führe nach Rechtsprechung der VK Sachsen-Anhalt zu einem inhaltlich unzureichenden und damit auszuschließenden Angebot (Az. 3 VK LSA 49/14 u. 3 VK LSA 43/15). Die drohende Aufhebung in dem fraglichen Los sei kein relevantes Argument, weil die Neuausschreibung zwangsläufig eintrete, wenn kein Bieter die geforderten Bedingungen erfülle. Es solle nur unter Beachtung der Rechtsordnung und eines fairen Wettbewerbs das günstigste angemessene Angebot im Wettbewerb gefunden werden.

Ermessensfehler lägen schon wegen des intendierten Ermessens nicht vor. Demnach könne man wegen des Haushaltsgrundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der Regel nur durch Teilaufhebung das Ermessen fehlerfrei ausüben. Es läge allein im Verantwortungsbereich des Maßnahmenträgers, rechtzeitig die Voraussetzungen für die Förderfähigkeit seines Projekts zu schaffen und dies in Bezug auf die Verpflichtung zur Beachtung des Vergaberechts bei Ausschreibungen gegenüber dem Subventionsgeber darzulegen

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des VG Magdeburg ist inhaltlich erwartbar ergangen, kann allerdings nicht in Gänze überzeugen.

Bei der Beurteilung einer Widerrufsentscheidung sind Tatbestands- und Rechtsfolgeseite zu unterscheiden. Tatbestandsseitig ist die Widerrufsregelung in § 49 Abs. 3 VwVfG eine Ausnahmevorschrift und entsprechend eng auszulegen (vgl. Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, VwVfG § 49, Rn. 45). Die Beweislast für die Nichterfüllung einer Auflage liegt bei der bewilligenden Behörde (vgl. OVG Bautzen, U. v. 12.01.2012, 1 A 634/09, juris; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 5. EL Juli 2024, VwVfG § 49, Rn. 180). Dabei hat die Behörde Vorbringen des Angehörten aus einer Anhörung bei ihrer Entscheidung erkennbar in Erwägung zu ziehen (vgl. Herrmann, in: BeckOK VwVfG, 66. Ed., Stand: 01.01.2025, VwVfG § 28, Rn. 45).

Dies vorausgeschickt ist die Nichterfüllung der vergaberechtlichen Auflage nicht für alle drei fraglichen Tatbestände in der nötigen Klarheit gegeben.

Korrekt ist die gerichtsseitige Auslegung des Begriffs „abgeschlossenes“ Geschäftsjahr unabhängig von handelsrechtlichen Besonderheiten wie dem Jahresabschluss gemäß § 242 HGB. Dies gilt schon insofern, als die Vorschrift nach § 242 HGB nicht für jede Bewerber- bzw. Bieterkonstitution einschlägig ist. Sinn und Zweck der Umsatzabfrage ist der Erhalt aktuellster Daten, um die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens beurteilen zu können (so auch VK Sachsen-Anhalt, Az. 3 VK LSA 36/14). Nachvollziehbar weist das VG auf die Bewertung von Newcomern hin, bei denen auch Rumpfjahre bzw. Eintragungen mit EUR 0 zugelassen sind, was die vergaberechtliche Notwendigkeit von Jahresabschlüssen negiert. Die Ausführungen im klägerseitig zitierten Auslegungsserlass des BMI zur VOB/A 2019 widersprechen dem nicht, weil dort nur untechnisch von „Jahresabschluss“ die Rede ist und nicht ausdrücklich ein solcher nach § 242 HGB verlangt wird. Damit hätte das betreffende Angebot vom Zuwendungsempfänger ausgeschlossen werden müssen. Die Auflage wurde insoweit nicht erfüllt.

Anders stellt es sich hinsichtlich der abgelaufenen Unbedenklichkeitsbescheinigung dar. Die insofern vom VG zitierte dritte Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt hatte eine Nachbesserung für den Fall vertragsrelevanter Angaben, konkret Produktangaben, für unzulässig gehalten (vgl. Az. 3 VK LSA 43/15). Darum geht es bei einer Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht, wo die Person eines Bewerber-/Bieterunternehmens im Fokus steht. Überdies hatte die zweite Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zeitgleich die Auffassung, auch inhaltliche Unzulänglichkeiten eines Angebots seien der Aufklärung zugänglich (vgl. Az. 2 VK LSA 02/15). Dies stand damals im Einklang mit der Meinung des in EU-Vergabeverfahren zweitinstanzlich in Sachsen-Anhalt zuständigen OLG Naumburg, wonach inhaltliche Unzulänglichkeiten einer Aufklärung zugänglich seien und der Auftraggeber eine Feststellung über die hinreichende Leistungsfähigkeit des fraglichen Bieters auf Basis der Erkenntnisse aus der Aufklärung zu treffen habe (vgl. Az. 2 Verg 3/13). Jedenfalls ist der vom VG angeblich zu Unrecht vom Zuwendungsempfänger ausgebliebene zwingende Ausschluss nicht mit der nötigen Klarheit feststellbar. Aufgrund der beschriebenen Darlegungslast des Zuwendungsgebers und der engen Auslegung des Widerrufsgrunds wäre somit ein Auflagenverstoß nicht begründet.

Dies gilt auch für die fehlende Erklärung in der Rubrik eines vorgelegten Nachweises, ob verwendete Produkte in Afrika, Asien oder Lateinamerika hergestellt oder bearbeitet wurden. Wiederum ist die oben beschriebene Rechtslage eher dazu angetan, dass eine Korrektur möglich war, zumindest war dies nicht eindeutig ausgeschlossen. Zusätzlich ist die drohende Aufhebung sehr wohl ein eigenständiges Argument für den ausgebliebenen Ausschluss. Der Auftraggeber muss nämlich nicht aufheben, sondern er hat Ermessen über diese Entscheidung (vgl. damalige Kommentarliteratur, u.a. Herrmann, in: Ziekow/Völlink, 2. Aufl. 2013, Vor § 17 VOB/A, Rn. 8 ff.). Dabei spielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Rolle. Die Korrektur des relativ geringen formalen Fehlers in einem ansonsten zuschlagsfähigen und zudem einzigen Angebot des Wettbewerbs ist offenbar ein milderes Mittel als die Aufhebung des gesamten Verfahrens. Weil sich kein anderes Unternehmen in dem fraglichen Los beworben hatte, ist auch nicht ersichtlich, warum hierdurch – wie das VG meint – der „faire Wettbewerb“ beeinträchtigt sein soll. Im Gegenteil zeigt eine Interessenabwägung, dass die Bewertung des Angebots allen Beteiligten gegenüber eine angemessenere Entscheidung ist gegenüber der Aufhebung und nötigen Neuausschreibung samt entsprechendem Zeit- und Kostenaufwand.

Unterstellt man einen Auflagenverstoß allein hinsichtlich des ausgebliebenen Ausschlusses wegen der fehlenden Umsatzzahlen, ist die Rechtfolge regelmäßig der (teilweise) Widerruf. Wie das VG zu Recht ausführt, entspricht es der herrschenden Auffassung, dass das Widerrufsermessen bei Zuwendungen wegen des Haushaltsgrundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit intendiert ist, d.h. im Regelfall kann das Ermessen nur mittels eines Widerrufs fehlerfrei ausgeübt werden (vgl. BVerwG, U. v. 16.06.1997, 3 C 22-96, NJW 1998, 2233, 2234; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl. 2023, VwVfG § 40, Rn. 28 ff.).

Praxistipp

Die Rechtsprechung zur Rückforderung von Zuwendungen wegen Vergaberechtsverstößen gibt ganz überwiegend der widerrufenden Zuwendungsbehörde Recht. Sie ist sogar strenger als die Rechtsprechung der Nachprüfungsinstanzen in EU-Vergabeverfahren, weil die Gerichte in Zuwendungsstreitigkeiten die objektive Rechtslage prüfen und nicht im Ergebnis die Folgen eines Verstoßes auf die Auftragschancen eines antragstellenden Unternehmens bewerten. Deshalb müssen Zuwendungsempfänger bei regelmäßig festgelegten Auflagen zur Einhaltung von Vergaberecht noch buchstabengetreuer den Vorgaben des Vergaberechts folgen.

In den vorgegebenen Anhörungen über einen avisierten Widerruf sollten Zuwendungsempfänger sehr deutlich und umfassend ihre Sicht der Dinge darstellen. Wie oben aufgezeigt, ist die widerrufende Behörde zur Darlegung eines Auflagenverstoßes aufgerufen. In nicht wenigen Fällen wird es mehrere vertretbare Lösungen zu einem vergaberechtlichen Thema geben. Dies muss man als Zuwendungsempfänger entsprechend aufzeigen.

Es lohnt sich häufig, im Vorfeld etwaige Unklarheiten aufzuklären. Längst nicht alle Auflagen sind in der nötigen Klarheit formuliert (so z. B. im Fall des VG Cottbus, Az. VK 3 K 1618/19 festgestellt, wo der Widerruf wegen einer unklaren Auflage teilweise unzulässig war). Die Klärung von Unklarheiten von Seiten der Zuwendungsstelle muss allerdings in Textform erfolgen, idealerweise mittels einer entsprechenden Änderung des Zuwendungsbescheids bzw. -vertrags. Etwaige mündliche Auskünfte sind irrelevant und sollten einen Zuwendungsempfänger nicht in Sicherheit wiegen.

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Dr. Klaus Greb

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Dr. Klaus Greb ist Gründungspartner der Sozietät VERGABEPARTNERS Rechtsanwälte. Er berät in allen Bereichen des Vergabe- und Zuwendungsrechts und auch in gerichtlichen Verfahren. Dr. Greb veröffentlicht regelmäßig zu vergabe- und zuwendungsrechtlichen Themen, ist Referent u.a. in Veranstaltungen der DVNW-Akademie und Mitglied des Fachanwaltsausschusses Vergaberecht der Rechtsanwaltskammer Berlin.

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