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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 01/09/2025 Nr. 71992

Ein öffentlicher Auftraggeber hat kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse!

VK Westfalen, Beschl. v. 12.03.2025 – VK 1-8/25

EntscheidungWas passiert, wenn ein öffentlicher Auftraggeber im laufenden Nachprüfungsverfahren ein Vergabeverfahren zurückversetzt und die Verfahrensbeteiligten anschließend das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklären? Darf der Auftraggeber dann im selben Atemzug mittels Fortsetzungsfeststellungsantrag feststellen lassen, dass sein bisheriges Vorgehen im Übrigen rechtmäßig war? Mit dieser Frage hatte sich die VK Westfalen zu befassen. Die Antwort ist eindeutig: Nein! Die VK Westfalen hat klargestellt, dass öffentliche Auftraggeber nach übereinstimmender Erledigungserklärung keinen „Persilschein“ beantragen können – ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist in einem solchen Fall unzulässig.

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb mit vier Bekanntmachungen die Beseitigung von Ölverunreinigungen auf Verkehrsflächen als Rahmenvertrag im offenen Verfahren europaweit aus. Die Antragstellerin rügte unter anderem die Vorgabe einer Zertifizierung nach VDI 4089 sowie das Fehlen wesentlicher Informationen in den Vergabeunterlagen und dem Leistungsverzeichnis. Der Antragsgner reagierte nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens und kündigte an, die Ausschreibung zurückzuversetzen und die Unterlagen zu überarbeiten – allerdings verbunden mit der Ankündigung, an bestimmten technischen Anforderungen festhalten zu wollen.

Daraufhin erklärte die Antragstellerin das Verfahren für erledigt. Der Antragsgegner schloss sich der Erledigungserklärung an, beantragte jedoch gleichzeitig die Feststellung, dass die Antragstellerin – soweit der Antragsgegner dem Begehren der Antragstellerin nicht abgeholfen hat – durch die vom Antragsgegner durchgeführten Verfahren nicht in ihren Rechten verletzt war.

Die Entscheidung

Die VK Westfalen wies den Feststellungsantrag des Antragsgegners als unzulässig zurück. Gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB kann nach einer Erledigung zwar ein Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt werden – allerdings nur durch den Antragsteller, nicht durch den Antragsgegner. Diesem fehlt das hierfür erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Die Kammer begründete ihre Entscheidung mit folgenden Erwägungen:

  • Ein öffentlicher Auftraggeber kann keine Feststellung der Rechtmäßigkeit seines eigenen Handelns verlangen, insbesondere nicht zur Vorbeugung eines möglichen neuen Nachprüfungsverfahrens im Rahmen einer zukünftigen Neuausschreibung.
  • Das Argument der „Wiederholungsgefahr“ greift nicht, da dieses Schutzbedürfnis allein dem Antragsteller zusteht, nicht jedoch dem Auftraggeber. Ziel ist es, dem Antragsteller nicht die Früchte des von ihm angestrengten Nachprüfungsverfahrens zu entziehen.
  • Auch die Prozessökonomie rechtfertigt keinen Feststellungsanspruch zugunsten des Auftraggebers. Zwar ist dessen Interesse nachvollziehbar, sein künftiges Vorgehen überprüfen zu lassen – eine entsprechende Möglichkeit sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Zudem hat es der Auftraggeber durch die Zurückversetzung selbst in der Hand, sein beabsichtigtes Vorgehen im Rahmen der überarbeiteten Bekanntmachung und Vergabeunterlagen rechtlich zu prüfen und etwaige Vergaberechtsverstöße zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund hatte die Vergabekammer nur noch über die Verfahrensgebühr und die Kostentragung des durch Erledigungserklärung beendeten Nachprüfungsverfahrens zu entscheiden. Die Kammer entschied, dass der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, da er sich durch die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens selbst in die Position des Unterliegenden begeben habe. Zudem wurde die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin – angesichts der Komplexität des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens – als notwendig angesehen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der VK Westfalen stellt klar, dass die Möglichkeit einen Fortsetzungsfeststellungantrag zu stellen allein den Antragsstellern vorbehalten ist und § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB nicht als Instrument zur nachträglichen Absicherung der Verfahrensgestaltung durch den Auftraggeber genutzt werden darf. Der Zweck des Nachprüfungsverfahrens liegt Schutz der Bieterrechte – nicht im Interesse öffentlicher Auftraggeber an nachträglicher Bestätigung der eigenen Verfahrensführung. Ein öffentliches Interesse an „präventiver Rechtsverteidigung“ ist in § 168 GWB nicht angelegt.

Die Entscheidung verdeutlicht außerdem, dass der Antragsteller jederzeit Herr des – auf seinen Antrag hin eingeleiteten – Nachprüfungsverfahrens bleibt. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Antragsteller bis zur Bestandskraft bzw. Rechtskraft einer Entscheidung der Vergabekammer oder der Beschwerdeinstanz seinen Nachprüfungsantrag zurücknehmen kann, ohne dass es hierfür der Zustimmung der übrigen Verfahrensbeteiligten bedarf. Mit dieser Grundkonzeption wäre es unvereinbar, wenn der Antragsgegner das Verfahren nach einer übereinstimmenden Erledigungserklärung für eigene Zwecke „kapern“ und sein Handeln nachträglich legitimieren könnte. Andernfalls würde das Nachprüfungsverfahren in eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle oder ein Verfahren zur Klärung abstrakter Rechtsfragen umgedeutet – das aber ist nicht Aufgabe der Vergabekammern.

Praxistipp

Das Fazit für öffentliche Auftraggeber lautet: Wer neu ausschreibt, muss neu prüfen. Eine „Vorab-Absicherung“ einer geplanten (Neu-)Ausschreibung nach Zurückversetzung im Wege eines Fortsetzungsfeststellungsantrags ist ausgeschlossen. Wird eine Ausschreibung aufgrund von Rügen zurückversetzt, ist es die Aufgabe des Auftraggebers, eigenverantwortlich sicherzustellen, dass der erneute Vorgang mit vergaberechtlichen Vorgaben im Einklang steht. Ein rechtliches Feststellungsinteresse zur Bestätigung des eigenen Vorgehens liegt regelmäßig nicht vor, sodass entsprechende Anträge keinen Erfolg haben.

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Sven Reinecke

Sven Reinecke ist Rechtsanwalt und berät im Vergabe-, Beihilfe- und Fördermittelrecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Unterstützung von Auftraggebern und Unternehmen in vergaberechtlichen Streitigkeiten sowie der Gestaltung und Umsetzung komplexer Beschaffungsvorhaben. Zudem berät er zur Vertragsgestaltung und zu rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Einhaltung laufender Verträge.

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2 Antworten zu „Ein öffentlicher Auftraggeber hat kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse!“

  1. Avatar von Hermann Summa
    Hermann Summa

    Sollte die Vergabekammer gemeint haben, dass nur der Antragsteller auf einen Feststellungsantrag umstellen könne, wäre dies falsch. Die Entscheidung ist im Ergebnis richtig, aber unsauber begründet. Die Sache muss man etwas differenzierter sehen.

    Das Gesetz billigt das Recht, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag zu stellen, jedem Beteilgten (§ 162 GWB) zu.

    Allerdings beinhaltet die übereinstimmende Erledigunsgerklärung regelmäßig den (konkludenten) Verzicht auf eine Sachentscheidung, was der Annahme eines Festellungsinteresses entgegensteht.

    Im Einzelfall kann der Auftraggeber aber ein berechtigtes Interesse daran haben, einem drohenden Schadensersatzprozess durch die Feststellung, dass er die vom Antragsteller behaupteten Rechtsverletzungen nicht begangen hat, die Grundlage zu entziehen. Ein solcher „negativer Feststellungsantrag“ ist vom Wortlaut des Gesetzes („ob“) gedeckt.

  2. Avatar von Prof. Dr. Sven—Joachim Otto

    Der von der Vergabekammer Westfalen entschiedene Fall und der hier besprochene Beitrag berühren eine Kernfrage der Systematik des Nachprüfungsverfahrens: Wem dient es und wessen Interessen können mit welchen Rechtsinstrumenten durchgesetzt werden?

    Zunächst ist der Kammer zuzustimmen, dass das Nachprüfungsverfahren nach seiner ratio legis primär dem Schutz der subjektiven Bieterrechte dient. Das GWB stellt mit § 97 Abs. 6 GWB und den Regelungen der §§ 160 ff. GWB klar, dass es um die Durchsetzung des Anspruchs auf ein faires, transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren geht. In diesem Gefüge erscheint es konsequent, das Fortsetzungsfeststellungsinteresse primär auf Antragstellerseite zu verorten.

    Allerdings darf man die Frage nicht vorschnell in einer Dichotomie von „Bieterschutz“ versus „Auftraggeberinteressen“ auflösen. Denn auch der öffentliche Auftraggeber ist Teil eines rechtlich gebundenen Verfahrens. Es kann Konstellationen geben, in denen für ihn eine gerichtliche oder kammergerichtliche Feststellung von erheblicher Bedeutung ist – etwa zur Abwehr von Schadensersatzforderungen nach § 181 GWB oder zur Klärung wiederkehrender Rechtsfragen, die in einer Vielzahl von Vergabeverfahren auf dieselbe Weise auftreten. Die Kammer hätte daher stärker prüfen können, ob nicht jedenfalls ein objektives Klärungsinteresse bestehen kann, das auch auf Auftraggeberseite ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse rechtfertigt.

    Das Argument, der Auftraggeber könne „sein zukünftiges Verfahren selbst neu prüfen und gestalten“, trägt nur begrenzt. In der Praxis ist die Unsicherheit über die rechtliche Bewertung bestimmter Handlungen gerade das Problem, das zu kostenintensiven Verzögerungen, Nachprüfungsanträgen und Folgeprozessen führt. Eine präjudizielle Feststellung hätte hier potentiell befriedende Wirkung.

    Die Kammer betont zu Recht, dass § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB das Feststellungsinteresse nur explizit auf Antragstellerseite vorsieht. Dennoch bleibt die systematische Frage, ob § 162 GWB, der „allen Beteiligten“ prozessuale Befugnisse zuweist, nicht auch auf die Situation nach übereinstimmender Erledigungserklärung zu erstrecken wäre. Jedenfalls hätte es nahegelegen, das Spannungsverhältnis zwischen § 162 und § 168 GWB stärker herauszuarbeiten.

    Für die Praxis bedeutet die Entscheidung eine klare Begrenzung: Auftraggeber können keine „präventive Entlastung“ durch die Vergabekammer erwarten. Ob dies allerdings im Sinne einer effizienten und rechtssicheren Vergabepraxis wirklich überzeugend ist, bleibt diskussionswürdig.