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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 09/10/2025 Nr. 72352

IT-Vergabestelle und Vertragsstrategie: Eine integrative Brücke für moderne öffentliche Beschaffung

Die öffentliche IT-Beschaffung steht an einem Scheideweg: Zwischen bewährter Vergabepraxis und der Notwendigkeit digitaler Steuerungsfähigkeit. Die Gründung einer IT-Vergabestelle birgt Chancen, wird aber erst dann dauerhaft tragfähig, wenn sie mit einem ebenso konsequenten IT-Vertragsmanagement gekoppelt ist – als Herzstück für Transparenz, Kontrolle und strategische Entwicklung.

1. Strategischer Anspruch einer IT-Vergabestelle

Sie soll sowohl Vergabeverfahren professionell durchführen als auch gestalten, indem sie:

– Bedarfe systematisch erhebt und bündelt

– Technologiefelder (z. B. KI, Cloud, Open Source) im Vergabeportfolio strukturiert

– Interoperabilität und Plattformstandards fördert

– Rechtliche und technische Rahmenbedingungen antizipiert

Damit wird die IT-Vergabestelle zur Schnittstelle zwischen Strategie, Technik und Verwaltung.

2. Vertragsmanagement als integraler Baustein

Ein effektives IT-Vertragsmanagement darf nicht getrennt von der Beschaffung gedacht werden:

– In Sachsen-Anhalt gilt seit dem 10.09.2024 eine Verwaltungsvorschrift zur Einführung eines koordinierten IT-Vertragsmanagements (RdErl. des MID vom 14. August 2024 – 56-02820-7/1)

– Wichtig ist darin der Aufbau von Steuerungsinstanzen, die Verträge systematisch erfassen, Laufzeiten, Optionen und Leistungen überwachen und kooperativ zusammenarbeiten.

– Ein digitales Vertragsverwaltungstool (z. B. für Versionierung, Fristenmanagement, Audit-Logging) kann dies operationalisieren.

Diese Verknüpfung sichert, dass Verträge nicht isoliert, sondern als Teil des Lebenszyklus der Beschaffung behandelt werden.

3. Institutionelle Vernetzung: Vergabe + Vertrag + Portfolioplanung

Die IT-Vergabestelle sollte in der Lage sein:

– Verträge vergleichbar zu strukturieren – modular, mit standardisierten Klauseln

– Laufzeiten, Leistungsstufen und Kündigungsoptionen aktiv steuerbar zu machen

– Portfolioansätze zu entwickeln (z. B. Basisdienste, Speziallösungen, KI-Komponenten, Wartungs- & Schulungspakete)

– Skalierung und Bündelung auszuloten – um Effizienzen zu heben und Marktpositionen zu verbessern

So entsteht ein systematischer Rahmen, in dem Beschaffung und Vertragsvollzug nicht getrennte Sphären sind.

4. Internationale Erfahrungen & europäische Perspektive

– In Albanien (Diella) wurde bereits eine vollständig digitalisierte Vergabe eingeführt – dies verdeutlicht, dass künftige Vergabestrategien eine verbindliche rechtliche und vertragsstrategische Begleitung brauchen.

– Israel zeigt, wie Vertragsgestaltung und strategisch eingebettete digitale Logik – z. B. mit Rücktrittsmechanismen, Transparenzpflichten, API-Integration und Interoperabilitätsanforderungen – elementar für eine agile Beschaffungsstruktur ist.

– Die EU-Vergaberichtlinie (2014/24/EU) zielte darauf, nationale Märkte für Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten zu öffnen. Bislang ist dieser Anspruch durch technische Fragmentierung (insbesondere mit TED und heterogenen Portalarchitekturen), nationale Praktiken und sprachlichen Barrieren kaum realisiert.

Eine IT-Vergabestelle mit vernetztem Vertragsmanagement und digitalen Tools könnte hier einen Beitrag leisten, die Binnenmarktwirkung von Beschaffung zu stärken.

5. Pilotcharakter, Ressourcen und Rahmenbedingungen

Die Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt zeigen, dass zentrale Vergabe-/Vertragsansätze realisierbar sind – jedoch unter den Bedingungen:

– ausreichend personalisierte und digitale Ausstattung

– klare institutionelle Verankerung

– Unterstützung durch Führung und politische Rückendeckung

– Bereitschaft zu iterativem Lernen und Anpassung

Die IT-Vergabestelle dient in diesem Sinne als Experimentierraum, nicht als sofortige Blaupause. Andere Länder und Verwaltungen können daraus lernen, adaptieren und weiterentwickeln.

6. Ausblick und Appell an die Leserschaft

Eine zukunftsfähige IT-Beschaffung braucht neue Technologien und strukturelle Verknüpfung von Vergabe, Vertrag und Strategie.

Die Integration eines digitalisierten Vertragsmanagements in die IT-Vergabestelle markiert einen entscheidenden Schritt:

– für Transparenz und Steuerbarkeit

– für Rechtssicherheit bei KI- und Cloud-Projekten

– für eine evolutionäre Öffnung des Binnenmarkts auf digitaler Ebene

Ich lade die DVNW-Gemeinschaft ein, diesen integrativen Ansatz kritisch zu prüfen, interdisziplinär zu diskutieren und gemeinsam Modelle zu erproben – in Projekten, Pilotvorhaben und Fachdialogen.

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Dr. Gábor Spuller

Der Autor ist derzeit im Ministerium für Infrastruktur und Digitales des Landes Sachsen-Anhalt tätig und federführend am Aufbau der IT-Vergabestelle beteiligt. Zuvor war er in der Verwaltungsbehörde für europäische Strukturfonds sowie für europäische Angelegenheiten in Brüssel tätig. Mit dem Wechsel in die Digitalabteilung verbindet sich sein Schwerpunkt auf die Verzahnung von IT-Strategie, Vertragsmanagement und Vergabepraxis. Die Beiträge geben die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.

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Eine Antwort zu „IT-Vergabestelle und Vertragsstrategie: Eine integrative Brücke für moderne öffentliche Beschaffung“

  1. Avatar von name
    name

    zu 1.
    – Bedarfe bündeln: Dabei handelt es sich um eine übergreifende, interne Aufgabe. Zu vermitteln, was mit welchen Mitteln gelöst werden kann, ist eine Fachaufgabe. Manchmal ergibt sich daraus eine Beschaffung, in den meisten Fällen jedoch nicht. Mit Blick auf das Projekt „Dienstekonsolidierung“ beim BVA sollten Vergabestellen nicht versuchen, sich an dieser Aufgabe zu verheben
    – OpenSource ist keine Technologie, sondern eine Eigenschaft, die als Anforderung in Bund und einigen Ländern im Haushaltsrecht verankert ist. Diese gilt dann auch für KI- und Cloud-Beschaffungen
    – Es gibt in Dtld keine „Plattformstandards“ – wir haben Bundes- und Landesrecht sowie die Verwaltungsvereinbarungen auf Basis von Art. 91c GG
    – zukünftige rechtliche Regelungen zu „antizipieren“ ist der Grund, warum sehr viele IT-Projekte des Bundes vor die Wand gefahren wurden. Es wurden Anforderungen aufgestellt, die der Gesetzgeber (bewusst) nicht formuliert hat.

    -> die Beschaffung ist zu einem kleinen Teil an der IT beteiligt, aber sie hat weder den Überblick noch die fachliche Tiefe eine IT-Abteilung zu ersetzen

    zu 3.

    – Der Portfolio-Ansatz funktioniert nicht, da nur ein Bruchteil der IT über Beschaffungen gestaltet wird.

    zu 4
    – die EU-Richtlinie ist zwar nett gemeint, aber die EU hat keine Kompetenz im Bereich nationaler Sicherheit. In Zeiten, in denen die EU-Staaten sich gegenseitig hacken und ausspionieren, hat die RL keine Auswirkung auf IT-Beschaffung. Man müsste die halt mal wegklagen, aber niemand möchte Software aus Ungarn beschaffen.

    zu 5

    Die Erfahrungen aus LSA zeigen, dass man sich Nischen sucht, in denen kaum jemand klageberechtigt ist. Die illegale Anbindung der BundID bei der Einmalzahlung200 dient hier als prominentes Beispiel, aber der EfA-Marktplatz sieht auch nicht besser aus.