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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 01/12/2025 Nr. 72885

Rechtsmissbräuchlichkeit und Zurückweisung einer sofortigen Beschwerde infolge eines unangemessenen Vergleichsangebotes

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.05.2025 – VII-Verg 38/24

EntscheidungDer Vergabesenat des OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 07.05.2025 ein deutliches Signal – auch über das Vergaberecht hinaus – gesetzt: Wer im Nachprüfungsverfahren Vergleichsangebote unterbreitet und diese nicht dem Grunde wie der Höhe nach rechtfertigen kann, läuft bei einem unangemessenen Angebotsinhalt Gefahr, sich im Sinne des § 242 BGB rechtsmissbräuchlich zu verhalten – mit der Folge, dass eine sofortige Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen wird.

Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) schrieb im nicht-offenen Verfahren (Teilnahmewettbewerb mit anschließender Angebotsphase) nach zwei Gebietslosen getrennte Wachschutz- und Sicherheitsdienstleistungen aus. Zuschlagskriterien waren mit 50 % der Preis und mit 50 % die Qualität der angebotenen Leistung.

Die Antragstellerin (ASt), die Bestandsauftragnehmerin ist, beteiligte sich hinsichtlich eines Loses am Vergabeverfahren. Sie wurde nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs neben weiteren Bietern zur Angebotsabgabe aufgefordert. Nach Wertung der Angebote lag die ASt auf dem vierten Rang, die Beigeladene (B) auf dem ersten Rang, was der ASt – zusammen mit der Absicht der Zuschlagserteilung an die B – von dem AG mit Vorabinformationsschreiben mitgeteilt und damit begründet wurde, dass die ASt in einigen qualitativen Unterkriterien nicht die volle Punktzahl erreicht habe. Nachdem die ASt dies erfolglos als vergaberechtswidrig gerügt hatte, stellte sie einen Nachprüfungsantrag.

Gegen die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrags legte die ASt sofortige Beschwerde ein. Während des Beschwerdeverfahrens trat die ASt telefonisch mit einem Vergleichsvorschlag an den AG heran. In diesem Vorschlag bot sie die Rücknahme des Nachprüfungsantrags und der sofortigen Beschwerde gegen Zahlung der vollständigen Kosten für das Nachprüfungsverfahren sowie einer zusätzlichen Entschädigungszahlung in Form einer Einmalzahlung an. In einem zweiten, „nachgebesserten“ und schriftlichen Vergleichsangebot schlug die ASt sodann vor, die Einmalzahlung um etwa die Hälfte zu reduzieren. Der AG nahm die Vergleichsangebote nicht an, sondern beanstandete diese und die sofortige Beschwerde als rechtsmissbräuchlich. Die ASt trug daraufhin zur Begründung des Vergleichsangebots vor, dass fruchtlose Aufwände im Rahmen der Angebotserstellung zu kompensieren seien, die (u. a.) dadurch entstanden seien, dass der Leistungsstart des ausgeschriebenen Auftrags nicht (mehr) zum vorgesehenen Zeitpunkt erfolgen könne sowie auch eine Beteiligung an der zwischenzeitlich von der AG initiierten Interimsvergabe nicht möglich gewesen sei.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf wies die sofortige Beschwerde der ASt als „nicht (mehr) zulässig“ zurück, da der ASt eine rechtsmissbräuchliche Festsetzung des Beschwerde- und Nachprüfungsverfahrens und damit ein zur Unzulässigkeit führender Verstoß gegen den auch im Vergabeverfahren geltenden Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB vorzuwerfen sei.

Rechtsmissbräuchlich verhalte sich ein Antragsteller dann, wenn er den Nachprüfungsantrag mit dem Ziel erhebt, den öffentlichen Auftraggeber in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben konnte. Dabei verhalte sich nicht nur derjenige rechtsmissbräuchlich, der bereits bei Einleitung des Nachprüfungsverfahrens in rechtsmissbräuchlicher Absicht handelt, sondern auch derjenige, der sich erst nach Einleitung des Verfahrens dazu entschließt, das Verfahren zur Verfolgung rechtlich missbilligender Zwecke zu verwenden.

Vorliegend könne die ASt insbesondere nicht darlegen, dass die von ihr aufgestellte (und später reduzierte) Forderung in Form der Einmalzahlung – dem Grunde wie der Höhe nach – gerechtfertigt sei. Insbesondere war für das Gericht nicht erkennbar, weshalb der ASt als Bestandsauftragnehmerin ausgiebige Kosten für die Angebotserstellung entstanden sein sollten, die sie in ihrem Vergleichsangebot geltend gemacht hat. Dies gelte umso mehr, als die ASt weder eine für die Angebotserstellung benötigte Stundenzahl noch einen zu Grunde gelegten Stundensatz vorgetragen hat.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt. Das OLG Düsseldorf schärft mit seinem Beschluss vom 07.05.2025 die Anforderungen für die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Falle eines Vergleichsangebotes.

Zunächst stellt das OLG Düsseldorf nachvollziehbar klar, dass allein die Initiierung von Vergleichsgesprächen selbstredend keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellt. Dieser könne sich aber vielmehr aus der Unangemessenheit des Angebotsinhaltes ergeben. Entscheidend ist dabei, ob ein Antragsteller mit dem Angebot versucht, den öffentlichen Auftraggeber in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann.

Zentral ist ferner die Feststellung unter Bezugnahme auf eine aktienrechtliche Entscheidung des BGH (Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 249/90, NJW 1992, 569), wonach die rechtsmissbräuchliche Absicht nicht bereits zu Beginn des Nachprüfungsverfahrens bestehen muss, sondern auch erst nachträglich gefasst werden kann.

Schließlich stellt das Gericht fest, dass ein rechtsmissbräuchlich handelnder ASt nicht allein durch den Vorwurf, der AG verhalte sich vergaberechtswidrig, einen eigenen Rechtsmissbrauch des AG begründen kann. Insbesondere kann der ASt dadurch nicht geltend machen, der AG könne sich wegen eines eigenen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht auf den Rechtsmissbrauch des Antragstellers berufen (tu quoque).

Praxistipp

Die wichtigste aus der Entscheidung zu ziehende Konsequenz ist, bei Vergleichsangeboten stets vorsichtig zu sein und insbesondere auf die Angemessenheit des unterbreiteten Vergleichsvorschlags zu achten, wenngleich die genaue Grenze zwischen einem (noch) zulässigen Vergleichsangebot und einem (bereits) rechtsmissbräuchlichen Verhalten nicht bzw. zumindest nicht pauschal gezogen werden kann, sondern stets einzelfallbezogen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Einzelfallumstände zu bestimmen ist. Jedenfalls aber sollte die Angemessenheit einer geltend gemachten Forderung, und zwar vor allem dann, wenn Sonderzahlungen zum Gegenstand des Vergleichsangebots gemacht werden, bereits vorab dem Grunde und der Höhe nach dargelegt werden, um sich nicht durch die fehlende Nachvollziehbarkeit eines Vergleichsvorschlags der Gefahr der Zurückweisung des Nachprüfungsantrags bzw. der Beschwerde auszusetzen. Die diesbezügliche Begründung des Vergleichsvorschlags muss nach dem OLG Düsseldorf widerspruchsfrei, nicht zu pauschal und belastbar sein.

Da das OLG Düsseldorf zudem die Bedeutung des § 242 BGB als allgemein gültigen Rechtsgrundsatz betont, wird man die Entscheidung auch über das Vergaberecht hinaus für relevant ansehen können.

Anmerkung

Der Autor Dr. Matthias Ganske hat im Rahmen des hier besprochenen Verfahrens den öffentlichen Auftraggeber vertreten.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Christopher Giogios verfasst.

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Christopher Giogios

Christopher Giogios ist als Rechtsanwalt bei der REDEKER SELLNER DAHS Partnerschaft von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mbB, in Bonn tätig. Er berät und vertritt die öffentliche Hand und Unternehmen in nationalen und europaweiten Vergabeverfahren sowie zu allgemeinen wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Fragestellungen.

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Dr. Matthias Ganske

Dr. Matthias Ganske ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der REDEKER SELLNER DAHS Partnerschaft von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mbB, in Bonn. Er berät und vertritt öffentliche Auftraggeber und Unternehmen insbesondere im Vergabe-, Abgaben-, Preis- und öffentlichen Wirtschaftsrecht. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist er (Mit-)Herausgeber und Autor zahlreicher Fachpublikationen, Lehrbeauftragter an der Universität Bonn sowie Dozent im Rahmen von Fachanwaltslehrgängen.

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