Ein Gastbeitrag von Susanne Müller-Kabisch
Immer wieder kommt es zwischen Vergabestellen und Bietern zu Kontroversen über die Behandlung von verspäteten Angeboten. Vielfach ist den Bieterunternehmen nicht bewusst, dass das Risiko des rechtzeitigen Angebotseingangs in der Vergabestelle im Wesentlichen bei ihnen liegt. Den Vergabestellen wiederum sind im Fall des verspäteten Eingangs von Angeboten die Hände gebunden. Auch das attraktivste Angebot muss zwingend bereits auf der ersten Prüfungsstufe ausgeschlossen werden, wenn es verspätet bei der Vergabestelle eintrifft. Sowohl für die Vergabestelle als auch für das Bieterunternehmen stellen verspätete Angebote daher ein Ärgernis dar. Rechtlich kompliziert wird es erst recht dann, wenn der Bieter sich bei der Abgabe des Angebots eines Kurier- oder Zustelldienstes bedient und die Vergabestelle ihrerseits bei der Entgegennahme der Angebote Empfangsvertreter oder Empfangsboten einschaltet. Dazu ein Fall aus der Praxis:
Sachverhalt
Die Vergabestelle hatte die Vergabe von Beratungsleistungen in einem europaweiten Verhandlungsverfahren (VOF) bekannt gemacht. Nach Beendigung des Teilnahmewettbewerbs forderte die Vergabestelle fünf Bieterunternehmen zur Abgabe eines schriftlichen Angebots auf. In ihrer Angebotsaufforderung setzte sie allen Bietern einheitlich eine Angebotsfrist bis zum Montag, den 10.10.2011, 10.00 Uhr. Die Vergabestelle hatte in ihrer Angebotsaufforderung auch noch folgende Hinweise zur Angebotsabgabe gegeben:
„…Angebote, die nach Ablauf der Frist eingereicht werden, können nur berücksichtigt werden, wenn der Bieter die Umstände für den verspäteten Eingang nicht zu vertreten hat. Der Bieter hat sicherzustellen, dass über Zustell- oder Kurierdienste versendete Angebote innerhalb der Angebotsfrist beim Auftraggeber eingehen. Ein Verschulden der Zustell- oder Kurierdienste wird dem Bieter zugerechnet“.
Ein Bieterunternehmen erkundigte sich bei der Vergabestelle im Vorfeld telefonisch, ob die Abgabe des Angebots auch schon am Sonnabend zuvor möglich sei. Der Mitarbeiter der Vergabestelle teilte daraufhin mit, dass auch eine Abgabe des Angebots am Wochenende beim Sicherheitsdienst, der auch an den Wochenenden das Gebäude der Vergabestelle rund um die Uhr bewachen würde, möglich sei. Der vom Bieterunternehmen mit der Abgabe des Angebots beauftragte Kurierdienst traf jedoch am Sonnabend bei der Vergabestelle weder den Sicherheitsdienst noch sonst jemanden an, dem er das Angebot hätte übergeben können. Aus dem Zustellprotokoll geht hervor, dass der Kurierdienst am Sonnabend zweimal vergeblich versucht hatte, das Angebot abzugeben.
Am nächsten Montag gab der Kurierdienst das Angebot schließlich um 10.52 Uhr in der Warenannahme der Vergabestelle ab. Der Kurierdienst war vom beauftragenden Bieterunternehmen über das Ende der Angebotsfrist am Montag um 10.00 Uhr nicht informiert worden. Die Vergabestelle schloss das Angebot daraufhin wegen Verspätung vom weiteren Verfahren aus.
Kein Ermessen der Vergabestelle bei verspäteten Angeboten
Durch die in der Angebotsaufforderung gegenüber allen Bietern einheitlich getroffene Vorgabe für die Angebotsfrist (Montag, den 10.10.2011, 10.00 Uhr) hatte sich die Vergabestelle selbst für das gesamte weitere Verfahren gebunden. Sie hatte demnach verspätete Angebote – ohne jeden Handlungs- und Ermessensspielraum – zwingend auszuschließen. Hätte sie im weiteren Verfahren ihrer eigenen Vorgabe zuwidergehandelt, hätte sie sich wegen eines Verstoßes gegen das im Vergaberecht konstituierende Diskriminierungsverbot der Art. 2 VKR, §§ 97 Abs. 2 GWB, § 2 Abs. 2 VOF angreifbar gemacht. In ihren weiteren Hinweisen zur Angebotsabgabe wiederholt die Vergabestelle nur die Vorgaben aus den vergaberechtlichen Vorschriften und der bislang hierzu ergangenen Rechtsprechung. Danach gilt, dass verspätete Angebote zwingend von der Wertung auszuschließen sind, d.h. dass der Auftraggeber auch beim besten Willen keine Möglichkeit hat, auf ein solches Angebot den Zuschlag zu erteilen (vgl. Müller-Wrede, Kommentar zur VOF, § 7 Rz. 29). Wegen der auch von dem Bieterunternehmen nicht bestrittenen Verspätung war das Angebot somit grundsätzlich auszuschließen.
Ausnahme: Der Bieter hat die Verspätung nicht zu vertreten
Eine Ausnahme für den Ausschluss verspäteter Angebote galt auch nach den Vorgaben der Vergabestelle nur für den Fall, dass der verspätete Eingang durch Umstände verursacht worden ist, die nicht vom Bieter zu vertreten sind. Die Beweislast hierfür trägt nach der Rechtsprechung der Bieter; sie ist nur sehr schwer zu erfüllen (vgl. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2. Aufl. 2007, Rz. 5147/1; noch weiter einschränkend für den Bereich der VOF: VÜA Baden-Württemberg, Beschluss v. 16.1.1997 – 1 VÜ 6/96). Das Übermittlungsrisiko für die Rechtzeitigkeit eines Angebotes trägt grundsätzlich der Bieter. So kann z.B. ein verspätetes Angebot auch dann nicht zur Wertung zugelassen werden, wenn der Bieter beweisen kann, dass er das Angebot so frühzeitig in die Post gegeben hatte, dass er unter normalen Umständen mit einem rechtzeitigen Eingang des Angebotes rechnen durfte (vgl. Weyand aaO, Rz. 5100).
Pförtner sind grundsätzlich keine Empfangsboten
Für schriftliche Angebote kommt erschwerend hinzu, dass das Angebot erst dann als im Vergabeverfahren abgegeben gilt, wenn es im Rechtssinn in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Dazu ist die Abgabe des Angebotes an den Adressaten oder seinen Empfangsvertreter oder eine sonstige Empfangsvorrichtung notwendig (1. VK Bund, Beschluss v. 23.01.2007 – VK 1 08/07; Beschluss v. 23.01.2007 – VK 1 -05/07). Pförtner sind grundsätzlich keine Empfangsvertreter. Wenn Pförtner oder sonstige Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes nicht nachweislich angewiesen wurden, eingehende Postsendungen, z.B. Angebote, umgehend an die Submissionsstelle zu überbringen, sind sie nicht einmal Empfangsboten (VK Brandenburg, Beschluss v. 26.01.2005 –VK 81/04).
Keine Mitwirkungspflicht der Vergabestelle nach Dienstschluss
Vorliegend konnte nicht mehr geklärt werden, ob die Vergabestelle ihren Sicherheitsdienst tatsächlich angewiesen hatte, eingehende Angebote entgegenzunehmen und unverzüglich an die Vergabestelle zu überbringen. Belegbar ist nur, dass der Kurierdienst am Sonnabend vor Ablauf der Angebotsfrist zweimal vergeblich versucht hatte, das Angebot an den Sicherheitsdienst zu übergeben. Eine Pflicht der Vergabestelle auch nach Dienstschluss daran mitzuwirken, dass ein Angebot entgegengenommen werden kann, gibt es indes nach der Rechtsprechung nicht (vgl. z.B. VK Schleswig-Holstein, Beschluss v. 26.10.2004- VK-SH 26/04).
Eine vorausgegangene Annahmeverweigerung hilft dem Bieter nicht ohne weiteres
Selbst wenn sich aber im konkreten Fall doch noch hätte beweisen lassen, dass die Vergabestelle unrichtigerweise zugesichert hatte, dass der Sicherheitsdienst auch am Wochenende rund um die Uhr bereit stehen würde, um das Angebot entgegenzunehmen, würde unter den vorliegenden Umständen im Ergebnis die zuständige Vergabekammer aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in das laufende Vergabeverfahren eingreifen, und die Vergabestelle verpflichten, das verspätete Angebot in die weitere Wertung zu nehmen. Gegen eine solche Annahme spricht die ständige Rechtsprechung in diesen Fällen, die sehr strenge Sorgfaltsmaßstäbe an die Übermittlung der Angebote durch die Bieter anlegt und ihnen selbst bei einem geringen Mitverschulden das Risiko zuweist (VK Köln, Beschluss v. 18.07.2002 – VK VOB 8/2002). Erschwerend kommt eine Rechtsprechung hinzu (OLG Koblenz) nach der selbst eine nachgewiesene Annahmeverweigerung durch den Auftraggeber nicht ohne weiteres dazu führt, dass das schließlich verspätet abgegebene Angebot als rechtzeitig gilt. Vielmehr soll selbst eine solche Annahmeverweigerung durch die Vergabestelle nur dann dazu führen, dass ein verspätetes Angebot als rechtzeitig gilt, wenn die Annahmeverweigerung auch tatsächlich kausal dafür wurde, dass das Angebot im späteren Verlauf nicht mehr rechtzeitig bei der Vergabestelle eintraf (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 20.02.2009, 1 Verg 1/09).
Mit anderen Worten: Selbst wenn der Bieter vorliegend also den Nachweis führen kann, dass sein Bote vor Ablauf der Angebotsfrist vergeblich bei der Vergabestelle war und entgegen der Zusicherung der Vergabestelle keinen Beauftragten des Sicherheitsdienstes angetroffen hatte, dem er das Angebot hätte abgeben können, würden diese fehlgeschlagenen Versuche dem Bieterunternehmen nur dann den Weg zurück in das Vergabeverfahren ebenen können, wenn sie als hinreichend kausal dafür anzusehen wären, dass das Angebot letztendlich verspätet bei der Vergabestelle eintraf.
Empfehlung für die Praxis
Bieterunternehmen sollten somit bei der Angebotsabgabe besondere Sorgfalt aufwenden. Alle Fragen rund um die Angebotsabgabe sollten der Vergabestelle schriftlich gestellt werden und diese sollte auch um schriftliche Antwort gebeten werden. Von einer „vorauseilenden“ Angebotsabgabe nach Dienstschluss beim Sicherheitsdienst der Vergabestelle sollte abgesehen werden. Stattdessen sollte der beauftragte Kurier nachweislich über das Ende der Angebotsfrist unterrichtet werden und eine fristgerechte Abgabe des Angebots in der Vergabestelle vertraglich mit dem Kurierdienst vereinbart werden.
Die Autorin Frau Susanne Müller-Kabisch ist Rechtsanwältin und in der Ernst & Young Law GmbH für den Bereich Vergaberecht verantwortlich. Sie berät sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieterunternehmen in allen vergaberechtlichen Fragestellungen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Müller-Kabisch,
eine praktisch m.E. nach sehr interessante Entscheidung zu diesem Themenkreis – hier aus einer etwas anderen Perspektive – wurde heute veröffentlicht.
Das OLG Köln, Urteil vom 31.01.2012 – 3 U 17/11 (nicht rechtskräftig) hatte darüber zu entscheiden, wann und ggf. in welcher Höhe ein Kurierdienst dem Bieter zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er den Abgabetermin nicht einhält.
Der Bieter klagte den vollen Erfüllungsschaden (fast 800.000 €) ein. Die Klage wurde abgewiesen, da die verspätete Zustellung nicht nachweislich zu einem Schaden des Bieters geführt haben soll. Dies wird damit begründet, dass das Angebot der Bieterin zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen und damit nach dem normativen Schadensbegriff kein Schaden für die Bieterin vorliege.
Diese Entscheidung zeigt, dass Schadensersatzansprüche gegen einen Kurierservice wegen verspäteter Abgabe oftmals sehr schwer durchsetzbar sein dürften. Der Bieter muss den Nachweis führen, dass er den Zuschlag bei rechtzeitiger Abgabe tatsächlich hätte erhalten müssen. Dabei steht er erfahrungsgemäß nicht nur aus rechtlicher Sicht vor hohen Hürden.
Um aber überhaupt bis zur Frage eines potentiellen Schadens zu gelangen, muss natürlich zunächst die schuldhafte Pflichtversäumnis nachgewiesen werden. In diesem Zusammenhang kann ich Ihrer Empfehlung einer schriftlichen Vereinbarung unter Hinweis auf die Bedeutung der Frist nur beipflichten.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Martin Hahn
Hallo,
wie verhält es sich, wenn der Kurierdienst durch Virus befallen, erst einen Tage später als bestellt, dann noch 3h nach Frist abgibt und sich dann rausstellt, dass es das einzige Angebot ist?
Hat die Behörde die Möglichkeit, das Angebot dann gelten zu lassen?
Mit freundlichen Grüßen