Öffentliche Auftraggeber dürfen bei IT-Vergaben von einer Fachlosaufteilung absehen, wenn sie hiermit Kosten einsparen und Kompatibilitätsprobleme vermeiden können. Dies hat der Vergabesenat des OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 25.04.2012 (VII-Verg 100/11) entschieden. Die Abgrenzung zum typischen Mehraufwand einer Losvergabe, der eine Gesamtvergabe gerade nicht rechtfertigt, ist entscheidend.
§ 97 Abs. 3 S. 2, 3 GWB; § 2 Abs. 2 S. 2, 3 EG VOL/A; § 5 Abs. 1 EG VOB/A.
In dem entschiedenen Fall schrieb der Auftraggeber Drucker und Multifunktionssysteme (Kopieren, Drucken, Scannen) mit dazu gehöriger Software aus. Mit der Software sollten alle Systembestandteile über eine einheitliche und vernetzte Bedienoberfläche steuerbar sein. Deshalb teilte der Auftraggeber Hard- und Software nicht in Fachlose auf, sondern schrieb sie gemeinsam aus. Die hiergegen gerichtete Rüge eines Bieters hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf war die Ausschreibung in einem Gesamtauftrag durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
Weites Ermessen – Nachschieben von Gründen erlaubt
§ 97 Abs. 3 S. 2, 3 GWB, die sich inhaltsgleich in § 2 Abs. 2 S. 2, 3 EG VOL/A wiederfinden, enthalten das Gebot der Losvergabe. Dort heißt es:
„Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.“
In seiner Entscheidung erinnert der Vergabesenat zunächst daran, dass Auftraggebern ein weiter Spielraum bei der Entscheidung über die Losaufteilung zusteht. Ein Absehen von der Losvergabe als gesetzlichem Regelfall muss zwar besonders begründet werden. Gerichte prüfen jedoch nur, ob der Auftraggeber den Sachverhalt zutreffend ermittelt hat und ob die Entscheidung im Ergebnis nachvollziehbar oder willkürlich ist (vgl. bereits OLG Düsseldorf vom 11.01.2012, VII-Verg 52/11).
Außerdem, so der Senat weiter, dürfen Auftraggeber für ein Absehen von der Losvergabe noch in einem laufenden Nachprüfungsverfahren Gründe nachschieben (vgl. bereits OLG Düsseldorf vom 26.11.2008, VII-Verg 54/08 unter Berufung auf § 114 S. 2 VwGO).
Kompatibilitätsprobleme und Einsparungen rechtfertigen Gesamtvergabe
Im vorliegenden Fall sah der Vergabesenat wirtschaftliche und technische Gründe im Sinne von §§ 97 Abs. 3 S. 2, 3 GWB, 2 Abs. 2 S. 2, 3 EG VOL/A für gegeben, die eine Gesamtvergabe rechtfertigen.
Der Auftraggeber wollte eine einheitliche Bedienoberfläche für alle Komponenten einrichten, die alle Drucker miteinander verbindet. Dadurch sollten die Hausdruckerei des Auftraggebers besser einbezogen und die Drucker optimal ausgelastet werden, was Kosten einsparen sollte.
Zur erstrebten Vernetzung aller Systembestandteile führt der Senat aus:
„Dabei handelt es sich um anerkennenswerte Gründe, die eine Gesamtvergabe erlaubten. Denn es ist eine Erfahrungstatsache, dass insbesondere bei der Integration unterschiedlicher Hardwarekomponenten und Software im System Kompatibilitätsprobleme, technische Schwierigkeiten und Verzögerungen auftreten können, die zu Mehrkosten beim Gebrauch führen. Das ist dem Senat aufgrund eigener Sachkunde aus zahlreichen ähnlich gelagerten Vergaberechtsstreitigkeiten bekannt.“
Damit verschafft der Vergabesenat öffentlichen Auftraggebern erhebliche Spielräume bei der Ausschreibung verschiedener Hard- und Softwarekomponenten in einem Vergabeverfahren. Die Begründung läuft darauf hinaus, dass solche Ausschreibungen im Zweifel stets ohne Fachlosaufteilung durchgeführt werden dürfen. Denn Kompatibilitätsprobleme können bei einer Losaufteilung nie gänzlich ausgeschlossen werden.
Abgrenzung zu typischem Mehraufwand entscheidend
Auf den ersten Blick verschwimmen die Grenzen zu der Rechtsprechung des Vergabesenats über die Losvergabe von Reinigungsdienstleistungen (vgl. Schröder, Vergabeblog vom 18.07.2012). In seinem Beschluss vom 11.01.2012 (VII-Verg 52/11) führte der Senat aus:
„Der mit einer Fachlosvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsmehraufwand sowie ein höherer Aufwand bei Gewährleistungen können eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen, weil es sich dabei um einen Fachlosvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand handelt, der nach dem Zweck des Gesetzes grundsätzlich in Kauf zu nehmen ist.“
Eine scharfe Abgrenzung erscheint beim Lesen beider Beschlüsse schwer möglich: Sind nicht auch Kompatibilitätsprobleme bei der Ausschreibung verschiedener Hard- und Softwarekomponenten der Fachlosvergabe „immanent“ und ein „typischer Mehraufwand“, der vom Auftraggeber grundsätzlich in Kauf zu nehmen ist? Und können nicht mit fast jeder Gesamtvergabe Kosten im Vergleich zu einer Losaufteilung eingespart werden?
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass nach § 5 Abs. 1 EG der zum 19.07.2012 in Kraft getretenen VOB/A 2012 Bauaufträge so ausgeschrieben werden sollen, dass eine einheitliche Ausführung und zweifelsfreie umfassende Haftung für Mängelansprüche erreicht wird. Deshalb sollen Bauleistungen in der Regel gemeinsam mit den hierfür benötigten Materiallieferungen vergeben werden. Eine schnittstellenfreie Ausgestaltung der Gewährleistungsrechte soll also nach dem Willen des Verordnungsgebers, anders als nach Meinung des OLG Düsseldorf, eine Gesamtvergabe von Bauleistungen und der zu verbauenden Materialien ausdrücklich rechtfertigen.
Um verlässlich beurteilen zu können, ob die betreffenden Gründe eine Gesamtvergabe rechtfertigen, bietet sich folgende Kontrollüberlegung an:
Bestehen die Nachteile einer Losaufteilung unabhängig von der konkreten Leistung, darf eine Gesamtvergabe nicht auf sie gestützt werden. Es handelt sich in diesen Fällen um einen typischen Mehraufwand, etwa in Form höherer Verfahrenskosten, der bei jeder Losvergabe anfällt. Dieser ist nach dem gesetzlichen Ansatz der §§ 97 Abs. 3 S. 2, 3 GWB, 2 Abs. 2 S. 2, 3 EG VOL/A vom Auftraggeber zu tragen.
Sind die Argumente hingegen gerade in der spezifischen Beschaffenheit der Leistungen begründet, rechtfertigen sie ein Absehen von der Losvergabe. Das ist bei den hier betroffenen Kompatibilitätsproblemen bei der Integration verschiedener IT-Komponenten der Fall. Denn die Schwierigkeiten hängen mit der konkreten Leistung zusammen und treten nicht bei jeder beliebigen Losvergabe auf.
Wie so oft, wird es im Streitfall auf eine sorgfältige und sachlich nachvollziehbare Dokumentation der Gründe ankommen, wenn der Auftraggeber von der Losvergabe absehen will. Bei vergleichbaren IT-Ausschreibungen dürfte dies künftig nicht allzu schwer sein.
Der Autor Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Er berät Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Außerdem betreut er Projekte der öffentlichen Hand. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
Sehr geehrter Herr Soudry,
interessante Entscheidung, die jedoch – worauf Sie zutreffend hinweisen – eine Einzelfall Entscheidung ist. Das OLG hat keineswegs gesagt, das bei IT Leistungen immer ohne Losaufteilung ausgeschrieben werden darf. Der Verzicht auf die Losaufteilung muss „gerade in der spezifischen Beschaffenheit der Leistungen begründet“ sein (siehe Ihr Schlusswort). Es darf hier nämlich nicht vergessen werden, dass der Gesetzgeber in der Begründung des Vergaberechtsänderungsgesetzes ausdrücklich IT Leistungen als der Losvergabe zugänglich identifiziert hat: „Computer können marktüblich getrennt nach Rechner, Eingabegeräten und Monitor beschafft werden“ (BT Drucksache 16/11428, Seite 33).
Gruß
Mark Münch