Mit dem Regierungswechsel in Niedersachsen zu Beginn dieses Jahres war absehbar, dass es als eines der zentralen Vorhaben der rot-grünen Landesregierung ein neues Landesvergabegesetz mit einem erweiterten Anwendungsbereich und einer starken Akzentsetzung auf Sozial- und Umweltbelange geben soll. Nunmehr steht fest, dass sich die Vergabelandschaft in Niedersachsen ab 2014 enorm verändern wird. Das neue Niedersächsische Gesetz zur Sicherung von Tariftreue und Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Nds. Tariftreue- und Vergabegesetz – NTVergG) vom 31.10.2013 ist am 7.11.2013 im Nds. Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet worden. Die Anforderungen an die niedersächsischen öffentlichen Auftraggeber, aber auch für Unternehmen, die sich an öffentlichen Auftragsvergaben beteiligen, werden dadurch deutlich steigen.
Das NTVergG soll Verzerrungen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge entgegenwirken, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen, und Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme mildern. Ziel ist es, dass bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen durch den Einsatz von Arbeitnehmern zu sozialverträglichen Bedingungen ein fairer Wettbewerb gewährleistet wird. Dumpinglöhne sollen durch die verpflichtende Forderung von Tariftreue bzw. die verpflichtende Forderung zur Einhaltung von Mindestentgelten verhindert werden. Zudem soll das Gesetz die umwelt- und sozialverträgliche Beschaffung durch die öffentliche Hand fördern.
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wesentlichen Änderungen des Gesetzes gegenüber dem bisherigen Nds. Landesvergabegesetz, das bis zum 31. Dezember 2013 befristet ist, gegeben werden:
· Die Anwendungsuntergrenze wird von 30 000 Euro auf 10 000 Euro (geschätzter Netto-Auftragswert) herabgesetzt.
· Das Gesetz gilt für alle niedersächsischen öffentlichen Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 1 bis 5 GWB (vormals waren nur die die klassischen öffentlichen Auftraggeber wie Landesbehörden, Gemeinden und Gemeindeverbände und die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts erfasst).
· Während das bestehende Landesvergabegesetz nur für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge gilt, bezieht sich der sachliche Anwendungsbereich gemäß § 2 Abs. 1 auch auf die Vergabe öffentlicher Aufträge über Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen. Lediglich freiberufliche Dienstleistungen sind ausgenommen.
· Alle niedersächsischen Auftraggeber werden zur Anwendung der VOB/A und der VOL/A unterhalb der EU-Schwellenwerte verpflichtet.
· Neben der Tariftreueerklärung wird ein vergaberechtlicher Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde eingeführt (vgl. § 5). Erstmals wird auch der öffentliche Personennahverkehr einbezogen. Es wird ein paritätisch besetzter Beirat zur Feststellung der anwendbaren Tarifverträge eingerichtet.
· Erstmals werden umweltbezogene und soziale Vergabekriterien in das Landesrecht aufgenommen (vgl. §§ 10 und 11). Die Berücksichtigung dieser Kriterien liegt aber im Ermessen der Auftraggeber (Ausgestaltung als Kann-Vorschriften).
· Die Auftraggeber sollen künftig stärker auf die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen hinwirken (§ 12). Nähere Anforderungen sind von einer entsprechenden Verordnungsregelung abhängig und werden auf bestimmte Produktgruppen oder Herstellungsverfahren beschränkt sein.
· Es werden verstärkte Kontrollen eingeführt, um die Einhaltung der Vorgaben des Gesetzes zu überprüfen (§ 14). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die sich aus der Tariftreue- und Mindestentgeltregelung ergebenden Verpflichtungen nicht eingehalten werden, so ist der Auftraggeber sogar zur Durchführung von Kontrollen verpflichtet. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung kann sich der Auftraggeber die vom beauftragten Unternehmen und den Nachunternehmen bereitzuhaltenden vollständigen und prüffähigen Unterlagen (insbesondere in Lohn- und Meldeunterlagen, Bücher und andere Geschäftsunterlagen und Aufzeichnungen) über die eingesetzten Beschäftigten vorlegen lassen.
· Es wird eine Servicestelle bei dem für das Öffentliche Auftragswesen zuständigen Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr eingerichtet, die kostenlos über die Anwendung des Gesetzes sowie über Tarif- und Mindestentgeltregelungen informieren soll.
Das neue Niedersächsische Tariftreue- und Vergabegesetz verschärft ab dem 01.01.2014 die von den niedersächsischen öffentlichen Auftraggebern zu beachtenden vergaberechtlichen Vorschriften ganz erheblich. Dies gilt insbesondere für öffentliche Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 2 und Nr. 4 GWB sowie für Aufträge über Liefer- und Dienstleistungen mit einem geschätzten Auftragswert unterhalb der EU-Schwellenwerte. Das neue Gesetz gilt für die Vergabe von Aufträgen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, also für sämtliche Auftragsvergaben, ab einem geschätzten Auftragswert von 10.000 Euro (netto). Ausgenommen sind lediglich die freiberuflichen Dienstleistungen. Sämtliche niedersächsischen öffentlichen Auftraggeber sind künftig auch unterhalb der EU-Schwellenwerte verpflichtet, die Vorschriften der VOB/A bzw. der VOL/A einzuhalten. Damit gilt grundsätzlich der Vorrang der öffentlichen Ausschreibung. Immerhin lässt das NTVergG aber weiterhin die Bestimmung von Wertgrenzen zur erleichterten Durchführung von beschränkten Ausschreibungen und freihändigen Vergaben zu.
Anders als in Landesvergabegesetzen anderer Bundesländer hat der niedersächsische Gesetzgeber hat darauf verzichtet, eine Vorinformationspflicht für nichtberücksichtigte Bieter aufzunehmen und einen speziellen Bieterrechtsschutz bei Vergabeverstößen für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte einzuführen. Die Bieter müssen also – wie zuvor – den sehr steinigen Zivilrechtsweg beschreiten, um vermeintlich vergaberechtswidrige Auftragsvergaben im Wege der einstweiligen Verfügung zu verhindern.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens haben sich der federführende Wirtschaftsausschuss und der mitberatende Rechtsausschuss eingehend mit der Frage befasst, ob die Mindestentgeltregelung des § 5 NTVergG mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Zwar habe sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit dieser Frage noch nicht direkt befasst; aus der EuGH-Rechtsprechung ergäben sich aber europarechtliche Bedenken, dass nämlich die Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmerschaft nur dann eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertige, wenn dieser Schutz allgemein verbindlich erfolge, nicht aber dann, wenn dieser Schutzzweck nur für den Bereich öffentlicher Aufträge verfolgt werde. Dementsprechend wird auch im vergaberechtlichen Schrifttum (Frenz, ZG 2011, S. 156, 161; Külpmann/Slopinski, NordÖR 2013, S. 277, 283 f.; Csaki/Freundt, KommJur 2012, S. 246) vertreten, dass vergaberechtliche Mindestlohnregelungen europarechtlich bedenklich sind. Dieses Risiko hat der Gesetzgeber aber in Kauf genommen. Eine weitere Klärung wird möglicherweise das von der Vergabekammer Arnsberg mit Beschluss vom 26.09.2013 (Az.: VK 18/13) angestrengte Vorlageverfahren zum EuGH zu der vergleichbaren Mindestentgeltreglung in § 4 Abs. 4 TVgG NRW bringen.
Es ist davon auszugehen, dass mit der Neuregelung der bürokratische Aufwand für die niedersächsischen öffentlichen Auftraggeber vor allem bei Vergaben von Dienstleistungs- und Lieferaufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte deutlich steigen wird. In jedem Vergabeverfahren ab einem geschätzten Auftragswert von 10.000 Euro sind von den Bietern zwingend mehrere Erklärungen (z. B. Tariftreueerklärung) und Nachweise zu fordern und ggf. nachzufordern. Falls die Tariftreueerklärung von den Bietern nicht vorgelegt wird, sind diese zwingend auszuschließen. Damit werden auch für die Bieter die formalen Anforderungen künftig stark erhöht. Es steht zu befürchten, dass sich gerade kleine Unternehmen durch diese zusätzlichen Anforderungen überfordert fühlen und auf eine Beteiligung an öffentlichen Auftragsvergaben verzichten.
Die Praxis wird zeigen, ob und inwieweit das NTVergG durch die – vom Nds. Städte- und Gemeindebund als „sehr kompliziert“ bezeichneten – Neuregelungen unnötige Bürokratie schafft oder ob es – wie es sich insbesondere die Vertreter der Gewerkschaften versprechen – einen wichtigen Schritt im Kampf gegen zu niedrige Löhne und gegen prekäre Beschäftigung bilden kann. Der Umstand, dass der Gesetzgeber von vornherein im Gesetz die Einrichtung einer Servicestelle vorgesehen hat, die die Rechtsanwender bei der Auslegung des Gesetzes und der Ermittlung der anwendbaren Tarif- und Mindestentgeltregelungen unterstützt, ist insofern bemerkenswert.
Der Autor Dr. Henning Holz, LL.M. ist Rechtsanwalt und Counsel bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am Standort Hannover. Er ist seit 2005 auf das Öffentliche Wirtschaftsrecht, insbesondere Vergaberecht, spezialisiert. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei komplexen Ausschreibungen und Bieterverfahren sowie in Nachprüfungsverfahren. Dr. Holz ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und tritt regelmäßig als Referent zum Vergaberecht auf.
Das bedeutet Stillstand unterhalb der Schwellenwerte für die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand. Wir hier in Rheinland Pfalz haben eine LTTG-20.000,- EUR Hürde.
Kann ein global agierendes Unternehmen in der IT-Branche die LTTG überhaupt unterschreiben? (Mindestlohn 8,50,-). Ja Leute denkt ihr den der Hotline-Mitarbeiter eines großen IT-Unternehmens der aus lohntechnischen Gründen seinen Service nach Ungarn verlagert hat bekommt diesen Mindestlohn. Oder Postdienstleistungen werden aus einem polnischen Standort angeboten? Die Gerichte und Rechtsanwaltbüros werden sich freuen.
Es wird Rügen hageln. Zumal das Rüffert-Urteil immer noch in der Diskussion ist. Und wie ist das bei einer Rüge die vor der Vergabekammer oder sogar dem OLG steht ? „Zuschlagstop“.
Die Leistung ist auf Monate auf Eis gelegt Den Ärger haben die Auftraggeber, insbesondere die Vergabestellen.
Beste Grüße
Von A.Wannagat