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Mehrere Hauptangebote desselben Bieters: Chancen und Risiken (OLG München, Beschluss v. 29.10.2013 – Verg 11/13)

ParagraphEin Bieter kann in einem Vergabeverfahren zwei oder mehr Hauptangebote (ja, Hauptangebote!) einreichen. Das begründet ein großes Spekulationspotential. Gleichwohl gelten mehrere Hauptangebote schon seit Längerem als zulässig, wie das OLG München jetzt erneut bestätigt hat (Beschluss v. 29.10.2013 – Verg 11/13). Bei den Unternehmen und Vergabestellen ist das bisher allerdings kaum bekannt. Die Einzelfragen zur Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote kommen daher jetzt mit einiger Verzögerung in der Rechtsprechung an, die zu diesem Thema noch am Anfang steht. Entsprechend groß sind die Unsicherheiten.

Einführung

Schon Anfang 2010 hatte das OLG Düsseldorf mit klaren Worten festgestellt, dass es – unter bestimmten Voraussetzungen – keinen Bedenken begegnet, wenn ein Bieter in einem Vergabeverfahren zu demselben Vergabegegenstand zwei Angebote abgibt (Beschluss vom 23.03.2010 – VII-Verg 61/09). Dennoch, weil es so selten vorkommt, geht regelmäßig ein erstauntes Raunen durch den Raum, wenn bei der Submission der Name eines Bieter ein zweites Mal verlesen wird, ohne dass es sich dabei erkennbar um ein Nebenangebot handelt oder schlimmer, wenn Nebenangebote gar nicht erst zugelassen waren. Verständnis- und Ratlosigkeit verbreiten sich dann nicht nur im Bieterpublikum, sondern auch auf der Auftraggeberbank. Daher eine kurze Einführung:

Ein Nebenangebot liegt nur dann vor, wenn darin von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abgewichen wird – quasi eine (in gewissen Grenzen) „erlaubte“ Änderung der Verdingungsunterlagen. Ohne eine solche Abweichung von der Leistungsbeschreibung gibt es kein Nebenangebot. Das gilt sogar dann, wenn der Bieter das Angebot (irrtümlich) als „Nebenangebot“ bezeichnet haben sollte. Die Fehlbezeichnung ist unschädlich und irrelevant. Wenn ein Angebot die vorgegebene Leistungsbeschreibung – ggf. unter Ausnutzung eines darin gewährten Spielraumes – vollständig einhält, dann ist es stets ein Hauptangebot.

Ein klassischer Fall liegt dort vor, wo ein Leitfabrikat mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ vorgegebenen ist. Hier haben die Bieter die Wahl, ob sie das Leitfabrikat oder ein gleichwertiges Alternativprodukt anbieten. Beides wäre von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung gedeckt. In beiden Fällen läge somit ein Hauptangebot vor.

Hat nun ein Bieter mehrere Angebote abgegeben, die jeweils für sich alle Vorgaben der Leistungsbeschreibung vollständig einhalten, so liegen folglich mehrere Hauptangebote vor. Eine etwaige (Nicht-)Zulassung von Nebenangeboten ist dann unbeachtlich. Die für Nebenangebote geltenden Regeln (Zulassung durch den Auftraggeber, Einhaltung der Mindestanforderungen, Gleichwertigkeit usw.) sind dann nicht anwendbar. Ein Ausschluss z.B. als „nicht zugelassenes“ oder „nicht wertungsfähiges“ Nebenangebot würde sich von vornherein verbieten. Die von einem Bieter vorgelegten Hauptangebote – auch in der Mehrzahl – sind vielmehr als solche, eben als mehrere Hauptangebote, zu behandeln und zu werten.

Ein anderes Problem: „Doppelbewerbung“

Von der Abgabe mehrerer Hauptangebote thematisch zu trennen ist das ähnlich bezeichnete Problem der „Doppelbewerbung“. Die Bezeichnungen dafür variieren von „Doppelangebot“ bis „Parallel-“ oder „Mehrfachbewerbung“, gemeint ist stets dasselbe.

Dieses Problem der „Doppelbewerbung“ zielt in eine ganz andere Richtung, nämlich auf die Einhaltung des Geheimwettbewerbs. Danach dürfen keine zwei Bieter ihre Angebote jeweils in gegenseitiger Kenntnis ihrer Angebotsgrundlagen erstellen (siehe z.B. OLG München, Beschluss vom 17.01.2011 – Verg 2/11).

Eine problematische „Doppelbewerbung“ liegt dann vor, wenn sich ein Unternehmen zugleich als Mitglied einer Bietergemeinschaft und als Einzelbieter oder zugleich als Nachunternehmer und als Hauptbieter – also quasi „doppelt“ – an demselben Vergabeverfahren beteiligt. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass zwei Bieter ihre Angebote jeweils in Kenntnis der Angebotsinhalte oder -grundlagen des anderen abgeben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.09.2004 – W[Kart] 24/04; vom 16.11.2010 – VII-Verg 50/10).

Die begriffliche Ähnlichkeit dieses Problems darf aber nicht zu Verwechslungen führen. Das Problem der „Doppelbewerbung“ entsteht nur dort, wo zwei nicht personenidentische Bieter handeln (also z.B. eine Bietergemeinschaft und ein Einzelbieter). Bei der Abgabe mehrerer Hauptangebote durch ein und denselben Bieter kann ein solches Geheimwettbewerbsproblem grundsätzlich nicht entstehen.

Technisch verschiedene Hauptangebote sind zulässig

Dass die Abgabe mehrerer Hauptangebote durch ein und denselben Bieter grundsätzlich zulässig ist, wurde in der Rechtsprechung bisher weitgehend einhellig und ständig anerkannt. Das OLG Düsseldorf hat seine Rechtsprechung nun schon in mehreren Entscheidungen verfestigt (Beschluss vom 23.03.2010 – VII-Verg 61/09; vom 09.03.2011 – VII-Verg 52/10; vom 01.10.2012 – VII-Verg 34/12; vom 19.12.2012 – VII-Verg 37/12). Auch das OLG München geht in zwei bestätigenden Entscheidungen davon aus, dass es grundsätzlich zulässig ist, wenn ein Bieter mehrere Hauptangebote einreicht (Beschluss vom 06.12.2012 – Verg 25/12; vom 29.10.2013 – Verg 11/13). Die genauen Einzelheiten sind allerdings noch nicht geklärt.

Einig ist sich die Rechtsprechung jedenfalls dahingehend, dass technisch verschiedene Hauptangebote zulässig sind. Solange die Hauptangebote untereinander eine – wie auch immer geartete – technische Unterscheidung aufweisen, bestehen keine Bedenken. Dabei genügen auch kleine, für den Wettbewerb unerhebliche Unterschiede (z.B. eine Verkleidung, Türklinke oder Farbwahl). Besondere Anforderungen sind an die technische Unterschiedlichkeit der Angebote nicht zu stellen. Es genügt, dass sie sich in technischer Hinsicht voneinander unterscheiden.

Grundvoraussetzung einer Mehrzahl von Hauptangeboten ist selbstverständlich, dass die Leistungsbeschreibung dem Bieter einen (technischen) Spielraum lässt, von dem der Bieter in seinem Hauptangebot Gebrauch machen darf. Umso größer dieser Spielraum ist, umso mehr Möglichkeiten für – technisch verschiedene – Hauptangebote gibt es.

Ein klassischer Fall für mehrere Hauptangebote liegt dort vor, wo im Leistungsverzeichnis neben einem Leitfabrikat durch den Zusatz „oder gleichwertig“ Alternativprodukte zugelassen sind. Hier könnte ein Bieter ein alternatives, gleichwertiges Fabrikat anbieten wollen. Unter Umständen könnte der Bieter aber unsicher sein, ob sein Alternativfabrikat vom Auftraggeber als gleichwertig anerkannt wird. Bekanntlich hat der Auftraggeber dabei einen (nur schwer vorhersehbaren) Beurteilungsspielraum. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, könnte der Bieter nun zwei Hauptangebote abgeben, eines mit dem (ggf. teureren) Leitfabrikat und eines mit dem (ggf. günstigeren) gleichwertigen Produkt. Auf diese Weise kann der Bieter sicher gehen, dass er jedenfalls mit dem Leitfabrikat im Wettbewerb bleibt und zugleich mit dem Alternativprodukt seine Chancen auf den Zuschlag verbessert.

Andere Fälle für mehrere Hauptangebote sind überall dort denkbar, wo die Vergabeunterlagen bzw. die Leistungsbeschreibung den Bietern sonst einen Spielraum lassen, insbesondere etwa bei funktionalen oder teilfunktionalen Leistungsbeschreibungen. So könnte etwa ein Zuschlagskriterium „Technischer Wert“ den Bietern ermöglichen, unterschiedliche Ausführungskonzepte einzureichen. Ein Bieter könnte dann mehrere Hauptangebote abgeben in der Hoffnung, der Auftraggeber möge eine hochwertig konzeptionierte, teure Ausführungsvariante ausreichend gut bewerten oder aber an einer einfachen, billigen Variante nicht vorbeikommen können. In einem anderen Fall könnte ein Bieter unsicher sein, mit welchem subjektiven Einschlag eventuelle Zuschlagskriterien wie „Ästhetik“, „Zweckmäßigkeit“ oder „Gebrauchstauglichkeit“ gewertet werden. Der Bieter könnte dann in mehreren Hauptangeboten verschiedene Gestaltungsvarianten, Ausführungsalternativen oder Muster (Form, Farbe, Material usw.) anbieten in der Hoffnung, der Auftraggeber möge die ihm gefälligste Variante mit der besten Wertung bedenken.Deutsches VergabenetzwerkTechnisch identische „Doppelangebote“ sind unzulässig

Auf der anderen Seite ist sich die Rechtsprechung ebenfalls einig, dass jedenfalls echte Doppelangebote (identische Angebote) unzulässig sind. Genauere Angaben, was die Rechtsprechung darunter versteht, fehlen leider. Klar ist nur, dass jedenfalls mehrere Hauptangebote, die sowohl technisch als auch preislich übereinstimmen, nicht zulässig sind. Aus den bisherigen Entscheidungen geht allerdings nicht hervor, wann – wenn nicht aus Versehen – ein solcher Fall in der Praxis vorliegen könnte. Es ist daher nur schwer nachzuvollziehen, wann genau dieses Verbot identischer Doppelangebote greift.

Noch nicht endgültig geklärt, aber verständlicher ist die weitere Auffassung der Rechtsprechung, dass darüber hinaus auch inhaltlich identische Hauptangebote, die sich nur in den Preisen unterscheiden, unzulässig sein dürften. Das ergibt Sinn. Der Grund, den ein Bieter haben könnte, für dieselbe (identische) Leistung unterschiedliche Preise zu verlangen, kann nur in einer Spekulation oder darin liegen, dass er sich selbst nicht sicher ist, ob sein Angebot einer Auskömmlichkeitsprüfung durch den Auftraggeber stand hält. Im schlimmsten Fall könnte ein Bieter auf diese Weise versuchen wollen, Kalkulationsvorgaben (z.B. Mindestlohn) oder das Verbot der Mischkalkulation zu umgehen. Schon um dem Versuch („Probieren wir‘s mal!“) vorzubeugen, erscheint es sinnvoll, in solchen Fällen alle Angebote dieses Bieters auszuschließen. Eine ausdrückliche Entscheidung hierzu gibt es zwar noch nicht. Die Tendenz der Rechtsprechung ist aber eindeutig. Es wäre daher nicht zu empfehlen, es darauf ankommen zu lassen.

Noch ungeklärt, aber ebenfalls negativ in der Tendenz, ist die Auffassung der Rechtsprechung zu Hauptangeboten, die sich zwar inhaltlich, aber eben nicht „technisch“ voneinander unterscheiden. Es ist erkennbar, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass auch solche nur kaufmännisch verschiedenen Hauptangebote unzulässig sein dürften. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss. Die Rechtsprechung meint, dass nur „technisch“ verschiedene Hauptangebote zulässig sind. Daraus folgt umgekehrt, dass technisch übereinstimmende, lediglich kaufmännisch verschiedene Hauptangebote unzulässig wären. Klare Aussagen hierzu fehlen in den bisherigen Entscheidungen allerdings. Es ist daher schwer, genaue Grenzen zu ziehen, zumal diese Grenzen ohnehin fließend sind. Es ist durchaus möglich, dass ein Auftraggeber die Ausführungs- oder Lieferfristen, die genaue Vertragslaufzeit, etwaige Zahlungsziele oder bestimmte Vertragsklauseln (z.B. Gewährleistung) nicht fest vorgeben, sondern im Rahmen geeigneter Zuschlagskriterien bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung berücksichtigen möchte. Es wäre nicht verständlich, warum es in solchen Fällen unzulässig sein sollte, dass ein Bieter dem Auftraggeber mehrere Hauptangebote mit jeweils verschiedenen Konditionen zur Bewertung vorlegt. Wegen der eher schlechten Tendenz ist ein solches Vorgehen aber derzeit nicht zu empfehlen. Klarheit wird erst die weitere Rechtsprechung bringen.

„Kalkulatorisch“ verschiedene Hauptangebote? (hier: OLG München)

Das OLG München hatte sich nun in seiner eingangs genannten Entscheidung mit einer Konstellation zu beschäftigen, die durchaus häufiger auftritt, als gedacht. Das ist der Fall, wenn die Leistungsbeschreibung den Bietern zwar einen (technischen) Spielraum lässt, aber vom Bieter nicht verlangt, diesen Spielraum bereits im Angebot näher auszufüllen und zu konkretisieren. Der Klassiker ist eine produktneutrale Leistungsposition, zu der keine Bieterangabe (Hersteller/Typ) verlangt ist. Auch bei funktionalen Leistungsbeschreibungen kann es sein, dass der Auftraggeber die Ausführung den Bietern überlässt, ohne dazu nähere Angaben im Angebot haben zu wollen.

Auf den ersten Blick erscheint es fraglich, warum ein Bieter in solchen Fällen überhaupt zwei oder mehr Hauptangebote einreichen wollen würde. Wenn der Auftraggeber keine näheren Angaben im Angebot verlangt, bleibt die Ausführung dem späteren Auftragnehmer überlassen. Es besteht gegebenenfalls ein Leistungsbestimmungsrecht des Auftragnehmers (§ 315 BGB). Er kann nach billigem Ermessen die am besten geeignete Wahl treffen. Ein Bedarf für mehrere Hauptangebote wäre dann nicht ersichtlich. Gleichwohl gibt es einen solchen Bedarf in der Praxis immer wieder.

Im o.g. Fall des OLG München entstand dieser Bedarf dadurch, dass ein Bieter die versteckte Produktbezogenheit einer Leistungsposition gerügt hatte. Wenn allerdings ein Bieter kurz vor Angebotsabgabe die Produktbezogenheit erkennt und rügt, dann erreicht ihn die (erwartungsgemäß abschlägige) Rügeantwort eventuell nicht mehr rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist. Um seine Chancen im Wettbewerb zu wahren, wird der Bieter also zwei Hauptangebote abgeben, eines mit der gerügten (ggf. teuren) Produktvorgabe und eines mit einem (ggf. günstigeren) Alternativprodukt. Im Fall eines nachträglichen Sieges etwa vor der Vergabekammer könnte der Bieter mit dem Alternativprodukt sogar den Zuschlag erzwingen, wenn sich die Produktvorgabe als vergaberechtswidrig herausstellt (siehe OLG München, Beschluss vom 06.12.2012 – Verg 25/12).

Ein weiterer Bedarf kann sich dort ergeben, wo Unsicherheiten bei der Auslegung der Vergabeunterlagen bzw. Leistungsbeschreibung bestehen, etwa weil mehrdeutige Formulierungen in den Vergabeunterlagen verschiedene Interpretationen zulassen und Bieterfragen nicht (mehr) zulässig sind oder keine Klärung gebracht haben. Spätestens im Zuge der Angebotsaufklärung könnte der Bieter in die Verlegenheit kommen, beantworten zu müssen, was er kalkuliert hat – mit dem Risiko eines Ausschlusses (siehe EuG, Urteil vom 26.02.2002, Rs. T-169/00, Rn 58; OLG München, Beschluss vom 02.09.2012 – Verg 17/10; vom 15.11.2007 – Verg 10/07). Um dieser Unsicherheit vorzubeugen, könnte der Bieter zwei Hauptangebote einreichen wollen, eines mit einer eventuell ungünstigen (ggf. teuren) Interpretation und eines mit einer anderen (ggf. günstigen) Interpretation der Vergabeunterlagen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2012 – VII-Verg 37/12). Damit könnte der Bieter sicher gehen, dass im schlimmsten Fall nur eines seiner beiden Hauptangebote ausgeschlossen wird.

In all diesen Fällen ist es jedoch problematisch, dass die technischen Unterschiede zwischen den Hauptangeboten eines Bieters nicht nach außen dringen würden, weil sie vom Auftraggeber bei der Angebotsabgabe nicht abgefragt werden. Die technischen Unterschiede zwischen diesen Hauptangeboten könnten dann allenfalls aus der (Ur-)Kalkulation ersehen werden, die nicht Bestandteil des Angebotes ist. Die vorgelegten Hauptangebote würden daher, obwohl ihnen verschiedene technische Lösungen zugrunde liegen, auf den ersten Blick technisch identisch aussehen und sich allenfalls im Preis unterscheiden. Der Ausschluss nach der o.g. Rechtsprechung wäre die Folge.

Das OLG München hat dieses Problem in seiner eingangs genannten Entscheidung jetzt – teilweise – dadurch gelöst, dass es dem Auftraggeber in solchen Fällen die Möglichkeit der Aufklärung zuspricht. Wenn zwei Hauptangebote eines Bieters auf den ersten Blick technisch identisch aussehen und damit ein Ausschluss nahe liegt (s.o.), dann sieht das OLG München eine nähere Aufklärung als zulässig und sogar geboten an. Der Auftraggeber hat dann ein berechtigtes Interesse, zu erfahren und zu prüfen, welche Art der Ausführung vom Bieter vorgesehen ist und ob diese die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses erfüllt. Im Rahmen dieser Aufklärung kann dann – zur Vermeidung eines Ausschlusses – auch geklärt werden, ob und wie sich die Angebote technisch unterscheiden (s.o.) und deshalb als mehrere Hauptangebote gewertet werden dürfen. Auf Auftraggeberseite ist das Problem damit geklärt.

Aus Bietersicht bleibt allerdings die Unsicherheit, ob der Auftraggeber zu einer solchen Aufklärung nur berechtigt oder auch verpflichtet ist. Gemeinhin wird eine Aufklärungspflicht nur in besonderen Ausnahmefällen gesehen: Der Auftraggeber darf aufklären, muss aber nicht. Ob ein Ausnahmefall hier in Betracht kommt, ist nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung offen. Das OLG München geht in seiner o.g. Entscheidung zwar davon aus, dass eine Nachfrage „geboten“ ist. Ein „Gebot“ bedeutet, dass von der Aufklärung regelmäßig Gebrauch zu machen ist, wenn keine Gründe entgegenstehen. Das spricht für eine Aufklärungspflicht. Auch die Schwere der Ausschlusssanktion spricht dafür, dass dem Bieter vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Eine verlässliche Basis fehlt jedoch bisher. Den Bietern ist daher vorerst zu raten, schon in den (Haupt-)Angeboten darauf hinzuweisen, dass ihnen jeweils verschiedene technische Lösungen zugrunde gelegt wurden. Dabei ist es sinnvoll und empfehlenswert, nicht nur die betroffenen Stellen in den (Haupt-)Angeboten zu bezeichnen. Es sollte auch erläutert werden, worin die technische Verschiedenheit der (Haupt-)Angebote besteht, ggf. ergänzt um die erforderlichen Angaben, die der Auftraggeber benötigt, um jeweils die Einhaltung der Anforderungen der Vergabeunterlagen zu prüfen. Der Auftraggeber wird damit in die Lage versetzt, sich ohne weitere Nachforschungen von der technischen Unterschiedlichkeit der (Haupt-)Angebote und – damit – ihrer Zulässigkeit zu überzeugen. Etwa dennoch verbleibende Zweifel könnten dann im Rahmen der Aufklärung beseitigt werden. In jedem Fall dürfte aber der Auftraggeber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben keine Ausschlussentscheidung treffen, bevor nicht dem Bieter zuvor die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.
Deutsches VergabenetzwerkFazit

Es ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig, dass ein Bieter in einem Vergabeverfahren zwei oder mehr Hauptangebote abgibt. Vorausgesetzt ist, dass sich diese Hauptangebote (unter Ausnutzung eines nach den Vergabeunterlagen erlaubten Spielraumes) in technischer Hinsicht voneinander unterscheiden. Die Regeln für Nebenangebote (z.B. Nichtzulassung) sind dann nicht anwendbar; die Hauptangebote sind als solche zu behandeln und zu werten. Für den Fall, dass die technischen Unterschiede (z.B. wegen nicht verlangter Bieterangaben) in den Hauptangeboten nicht offen zu Tage treten, sollten die Bieter diese Unterschiede bereits mit Angebotsabgabe erläutern, damit sich der Auftraggeber von der technischen Unterschiedlichkeit der Hauptangebote und ihrer jeweiligen Einhaltung der Vergabeunterlagen überzeugen kann.

Unzulässig sind hingegen „Doppelangebote“, die in jedweder Hinsicht identisch sind oder (bei technischer Identität) lediglich verschiedene Preise aufweisen. In solchen Fällen sind alle betroffenen Angebote des jeweiligen Bieters auszuschließen. Für Angebote, die sich zwar nicht in technischer Hinsicht, wohl aber kaufmännisch voneinander unterscheiden, bietet der derzeitige Stand der Rechtsprechung noch keine verlässliche Grundlage. Die Tendenz ist eher negativ. Die Abgabe mehrerer, nur kaufmännisch verschiedener Hauptangebote ist daher derzeit nicht zu empfehlen und mit einem hohen Risiko verbunden.

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Über John Richard Eydner

John Richard Eydner ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei LANGWIESER | Rechtsanwälte Berlin | München. Er berät und begleitet bundesweit Auftraggeber bei der Konzeption und Durchführung von Vergabeverfahren ebenso wie Unternehmen bei der Teilnahme daran. Durch seine Erfahrungen auf „beiden Seiten“ steht Rechtsanwalt Eydner für problembewusste, konfliktvermeidende und störungsresistente Vergaben. Er ist Vorsitzender der DVNW-Regionalgruppe Berlin-Brandenburg

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